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Sin
City
Och,
wie süß, der kleine Robert will jetzt in den Kino-Olymp! Nachdem
er dem imaginären Über-Vater Hollywood seine phallische Potenz bewiesen
hat (mit El Mariachi 1-3, Spy Kids 1-3 und anderem Müll), sucht er nun die höheren Weihen
der Arthouse-Gemeinde. Ist das seinem besten Freund Quentin T. nicht schon geglückt?
Quasi per Zufall, vor 11 Jahren, mit einem Film, der auf ziemlich pulpige Weise
von toughen Guys und leichten Girls handelte, gegliedert in drei locker verknüpfte
Episoden, zusammengehalten von einer kleinen elliptischen Klammer, in der es
um ein heterosexuelles Pärchen geht? Könnte man da nicht, so im Prinzip…?
Also, einfach noch mal dasselbe…? Das kulturelle Gedächtnis ist ja schließlich
kurz. Die verschachtelten Zeitebenen und Erzählperspektiven des Originals
lässt der kleine Robert natürlich lieber weg. Das hat er vor 11 Jahren
schon nicht richtig verstanden, und das Publikum ist in der Zwischenzeit bestimmt
auch nicht klüger geworden. Leider hat Quentin T. mittlerweile die Messlatte
höher gelegt und mit Kill Bill den post-postmodernen Ultra-Hyper-Meta-Ironie-Pulpfilm gedreht.
Was soll's. Robert zieht die Sache ebenfalls richtig künstlich auf (ist
ja auch billiger), und 20 bpm (bodies per minute) schafft er auch, locker.
Natürlich ist das
hämisch und ungerecht, falsch wird es dadurch leider nicht. Erschreckend
an Sin City ist vor allem, wie lieb-
und gefühllos der Film seine Gewaltexzesse runterspult. Nach 5 Minuten
geht es los. Und dann hört es nicht mehr auf. Redundant, öde, leer
ist das Ganze spätestens nach 10 Minuten. Es folgen Variationen. Horror
vacui. Depression. Solipsismus. Leerlauf. Wo es bei Tarantino eine ganze Skala
der Gefühle und Intensitäten gibt, gibt es bei Rodriguez – nichts.
Tarantinos Humor kann warmherzig, bittersüß, bitter oder eiskalt
sein, der von Rodriguez ist einfach nur zynisch, ausschließlich. Und wo
die Gewalt bei Tarantino grotesk, schmerzhaft, lächerlich, lakonisch, tragisch
oder belanglos sein kann, ist sie bei Klein-Robert einfach nur belanglos. Schlimm
ist das nicht. Wirklich erschreckend ist aber, das offensichtlich eine ganze
Generation (männlicher) Kritiker zwischen 25 und 40 auf die technisch-ästhetizistische
Oberfläche des Films hereinfällt. Soll man MTV und den Brüdern
Scott etwa dankbar sein dafür, dass sie die Sozialisation des Kino-Blicks
einer kompletten Generation so erfolgreich verdorben haben?
Sin City dupliziert auf makellos
vollkommene Weise die Ästhetik der Comic-Vorlagen. Na und? Das ist keine
Ästhetik, sondern hohler Ästhetizismus. Und es ähnelt ein bisschen
einer Abitur-Aufgabe: "Wenden Sie Ihre Kenntnisse in X auf den Stoff Y
an!" Rodriguez hat den Comics nichts hinzuzufügen, er kommentiert
nicht, er reflektiert nicht, er imitiert. Noch einen wichtigen Einfluss, der
in Kritiken oft gar nicht genannt wird: die Ästhetik der Videospiele. Auch
hier hat Rodriguez nichts Originäres zu bieten, er macht gemeine Sache
mit einer alles verschlingenden, gleichmacherischen Ästhetik. Das ist nicht
visionär, sondern eine Degeneration der Sprache des Kinos. Neue Levels,
neue Figuren, aber die immergleichen Situationen, die durch Gewalt zu lösen
sind (oder auch nicht, das Spiel muss ja weitergehen). Da wird kunst- und filmhistorisch
alles geplündert, was nur zu fassen ist, und gleichzeitig jeder Bedeutung
beraubt. Da mag der sarkastische Off-Kommentar noch so raunen: Von der existenziellen
Verlorenheit des klassischen Noir-Helden findet sich in Sin
City nichts.
Eigentlich findet sich
überhaupt nichts in Sin
City. (Und
wenn jetzt jemand "Postmoderne" ruft, muss ich diesmal leider kotzen.)
Rodriguez hat seinen Film in der Haltung eines 11-jährigen Comic-Geeks
gedreht, der seinen Vorbildern huldigt. Eine Perspektive, einen eigenen Blick
hat er dabei nicht entwickelt. Der ganze Film dreht sich um das Phantasma des
unverletzlichen, gepanzerten männlichen Körpers (und die Make-Up-Applikationen
– ganze Gesichtsteile bei Mickey Rourke, Falten und Narben bei den anderen Helden
– unterstützen noch den Eindruck): Der männliche Täter als unkillbares
Stehaufmännchen wie im Slasherfilm. Verräterisch dabei, dass Sexualität
überhaupt keine Rolle spielt. Hier wird (noch) nicht gefickt, hier werden
furchteinflößende Frauen mit dickem Lip-Gloss begafft, die in Klamotten
stecken, wie man sie sonst nur aus schlechten HipHop-Videos kennt. Was für
ein epochales Werk, das unreflektiert die präpotente Perspektive eines
11-jährigen Jungen absolut setzt!
Wie in seinen Filmen From
Dusk Till Dawn
und The
Faculty
beschleicht mich schon im Kino das unschöne Gefühl, dass hier jemand
in einer wichtigtuerischen Optik menschenverachtend, sadistisch und distanzlos
Gewaltverherrlichung betreibt. (Um mal eine moralisierende Perspektive einzunehmen,
die mir normalerweise fremd ist.) Dass der fast vergessene Rutger Hauer hier
plötzlich, innerhalb weniger Sekunden, eine Intensität erreicht, die
an seinen Schlussmonolog in Blade
Runner
denken lässt, dass Rodriguez Mickey Rourke ein triumphales Comeback beschert
hat und dass es ihm gelingt, den süßen kleinen Frodo mit wenigen
Pinselstrichen in eine extrem furchteinflößende Figur zu verwandeln
– geschenkt. Das beweist eher die Skrupellosigkeit eines leichenfleddernden
Kinovampirs. Warum dreht Rodriguez nicht einfach mal eine Telenovela?
Dieser
Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem
Film gibt’s im archiv
USA
2005 - Regie: Robert Rodriguez - Darsteller: Bruce Willis, Clive Owen, Jessica
Alba, Rosario Dawson, Benicio Del Toro, Mickey Rourke, Brittany Murphy, Elijah
Wood, Josh Hartnett, Jaime King - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 124
min. - Start: 11.8.2005
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