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A
History of Violence
Die Kamera setzt sich in Bewegung, sanft, dazu, fast
nicht im Hintergrund, das gleißende Surren der Natur. Zwei Männer,
amerikanische Provinz, das Auto, eine sanfte Kamerabewegung, ein Ausbruch von
Gewalt, die Toten, die dem Blick dargeboten werden wie eine nicht weiter spektakuläre
Szenerie am Straßenrand. Ein Schuss, ein Schnitt, ein Szenenwechsel.
Der denkbar größte Kontrast, den der Film
mit denkbar großer Gründlichkeit kollabieren lassen wird. Eine Kernfamilie,
Vater, Mutter, zwei Kinder, man eilt ans Bett der Kleinen, die böse geträumt
hat, die Grammatik der Erzählung legt uns nahe: den sanften Traum vom Bösen,
der uns soeben vor Augen geführt wurde. Es scheint wie bei Stephen King:
Das Böse nähert sich, es ist noch nicht da. "A History of Violence"
aber hat mit Kings Mythisierung des Bösen als übernatürliche
Kraft wenig zu tun. Seine Mythen nimmt er von anderswo.
Das Szenario scheint klar. Die amerikanische Kleinstadt
mit amerikanischer Kleinfamilie, ein kleines Leben, in dem es aber, da es eben
das ganze Leben ist, zum Drama wird, wenn der Sohn an der High School den Schultyrannen
im Baseball vorführt. Die Struktur von Gewalt, das führt Cronenberg
in seiner übertrieben scheinenden Inszenierung dieser Szene vor, liegt
im alltäglichen Leben der Kleinstadt, in der die Welt nicht in Ordnung
ist, weil sie nie und nirgends in Ordnung ist. Die Zeitstruktur der Gewalt ist
die der fortwährenden Latenz einer Vergangenheit, die jederzeit gegenwärtig
werden kann.
Also dringt auch zum Schein nur die Gewalt ein in
diese säuberliche Welt. Wenn man "A History of Violence" in einen
Satz zusammenfassen kann - und es ist eine Schwäche des Films, dass man
das kann -, dann muss er lauten: Die Gewalt war immer schon da, keine Domestizierung
ist von Dauer. Und vielleicht eine Weiterung, die man realistisch, aber auch
reaktionär und machistisch finden kann: Die Gewalt, die in die Domestizierung
bricht, bereitet uns Lust. Cronenberg macht den domestizierten Helden im Cheergirl-Sex
lächerlich und zeigt uns den Gewaltfick auf der Treppe als sehr viel lustvoller.
Wohl nicht ohne Ambivalenz, aber die Blessur der Frau ist als Manifestation
dieser These lesbar.
Es gibt in "A History of Violence" Ambivalenzen,
aber keine Subtilitäten. Der Grund, der diese Untersuchung zur Gewalt tragen
muss, ist reine Pulp Fiction. Gegen die Verhärtung der Figuren zum Klischee
unternimmt Cronenberg - gewiss mit Absicht - nichts. So landet er erst beim
Western, dann beim blutigen Gangsterfilm. Die Vermittlung zwischen der Schießerei
im Saloon, der Verteidigung des eigenen Hauses mit der Schrotflinte und dem
todesmutigen Angriff auf die Festung des feindlichen Bruders liefert nur die
Vertrautheit mit den jeweiligen Versatzstücken der Genres.
Es lässt sich zweifeln, ob diesen Versatzstücken
sehr viel mehr abzugewinnen ist als letztlich dem Genre immanent bleibende Verfremdungen.
Cronenberg arrangiert sie kunstvoll, aber es bleibt die Frage, ob er über
Aussagen zum exploitativen Charakter der Klischees hinauskommt. Es könnte,
anders gesagt, sein, dass wir hier nüchterne Betrachtungen über die
Lust an der Gewalt im Genrekino vor uns haben. Aber werden wir daraus klüger
als aus unseren ambivalenten Erfahrungen mit der Gewalt im Genrekino erster
Ordnung? Hat "A History of Violence", wie vielfach unterstellt, tatsächlich
die analytische Kraft einer Gewaltbeobachtung zweiter Ordnung - oder verfällt
er nicht doch der Lust am Genre, deren Wahrheit eine vermittelte ist, analysierbar,
aber eben nicht: analysiert?
Ekkehard
Knörer
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diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Kritiken
A
History of Violence
USA
2005 – Regie: David Cronenberg. Buch:
Josh Olson. Nach einer graphic novel von John Wagner, Vince Locke. Kamera: Peter
Suschitzky. Schnitt: Ronald Sanders. Musik: Howard Shore. Mit: Viggo Mortensen,
Maria Bello, William Hurt, Ashton Holmes, Stephen McHattie, Peter MacNeill,
Ed Harris, Heidi Hayes, Greg Bryk, Sumela Kay, Kyle Schmid, Deborah Drakeford.
Warner, 96 Minuten.
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