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Apocalypse Now Redux
„Krieg
ist zunächst die Hoffnung, dass man selbst besser abschneidet; als nächstes
die Erwartung, dass der andere schlechter dasteht; dann die Genugtuung, dass
der andere nicht besser abschneidet; und schließlich die Überraschung,
dass alle schlechter dastehen als vorher.“
(Karl
Kraus)
Einen
animalischen Albtraum hat man Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ einmal
genannt, eine Reise in das Innere der menschlichen Hölle, in den Urgrund
des Bösen in uns. Der Film ist ein Vietnam-Film und er ist keiner. Es gibt
kaum einen Krieg, in dem er nicht hätte spielen können. Es gibt kaum
eine Zivilisation, in die die Handlung nicht verankert hätte werden können.
„Apocalypse Now“ ist ein Kriegsfilm und auch keiner. Er lässt eine Ahnung,
eine Spur davon zurück, was das, was wir so unzureichend mit dem Wort „Krieg“
zu beschreiben suchen, zwischen Menschen anrichtet – nicht nur im „wirklichen“
Krieg, sondern ebenso in den „zivilisierten“ und „unzivilisierten“ Formen des
Krieges in der Zivilgesellschaft und ihrem Alltag.
„Apocalypse
Now“ ist ähnlich dem „Paten“ ein breit angelegtes Epos. Während „Der
Pate“
(Teile 1 bis 3) jedoch als eine Reise durch die Verzweigungen einer Familie
und einer mafiösen Sozialstruktur konzipiert ist und eine vertikale (historische)
wie horizontale (Sozialgeflecht) Dimension sich die Waage halten, scheint in
„Apocalypse Now“ die Zeit still zu stehen. Obwohl wie ein Reisebericht konstruiert,
den uns mit verhaltener Stimme Captain Willard (Martin Sheen) vorliest, wirkt
diese Reise mit dem Patrouillenboot zu Colonel Kurtz (Marlon Brando) wie eine
Bestandsaufnahme eines Zustands, eines seelischen, brutalen, skrupellosen, erbärmlichen
Status Quo. Und hier treffen sich beide Epen. Denn am Schluss des „Paten“ wie
am Ende von „Apocalypse Now“ schließt sich ein Kreis am selben Punkt,
an dem die Reise begann. Den Figuren hinterlassen diese Reisen kaum eine Spur
von Hoffnung. Die Epen enden, wo sie begannen. Die Apokalypse nimmt keinen Anfang
und kein Ende, sie währt, sie dauert. Coppola erweist sich an diesem Punkt
als Pessimist, auch wenn man nicht weiß, was die Überlebenden in
beiden filmischen Meisterwerken mit ihrem Leben und vor dem Hintergrund der
Geschichte ihrer Familie, ihres Landes, ihrer Freunde usw., in der rückschauenden
Betrachtung, anfangen werden. Sicher, es gibt in beiden Epen zarte, vage Hinweise,
Andeutungen – mehr allerdings auch nicht.
Den
Auftrag, den Willard von General Corman (G. D. Spradlin) und Colonel Lucas (Harrison
Ford) erhält, kommentiert er mit den Worten: „Ich wollte eine Mission,
und all meiner Sünden wegen gaben sie mir eine.“ Willard soll mit einem
Patrouillenboot die Flüsse hinauf zur kambodschanischen Grenze, um den
für verrückt erklärten, hoch dekorierten, aber abtrünnigen
Colonel Kurtz zu liquidieren. Die Akte über Kurtz nimmt Willard mit. Nach
und nach informiert er sich über diesen Mann, den das Grauen des Krieges
offenbar zu einem Psychopathen werden ließ. Willards Crew, gegenüber
der der Auftrag lange Zeit geheimgehalten bleibt, besteht aus dem afroamerikanischen
Steuermann Chief (Albert Hall), einem ehemaligen Taxifahrer, der das Boot nicht
nur sicher durch die Flüsse lenken, sondern auch auf seine drogensüchtigen
Kameraden aufpassen muss, nämlich Chef (Frederic Forrest), einen ehemaligen
Gourmet-Koch, den jungen Clean (Laurence Fishburne), einen Teenager aus der
Bronx, und Lance (Sam Bottoms), einen Sonnyboy aus Kalifornien. Ihre erste Station
ist ein Kampfgebiet, in dem Colonel Kilgore (Robert Duvall) die Befehle gibt.
Als der erfährt, dass Lance auch Surfer ist, lässt er ihn und andere
während des Angriffs auf ein vietnamesisches Dorf nach der Landung dort
in den hohen Wellen surfen. Der Angriff selbst, von Hubschraubern aus, wird
auf Kilgores Geheiß mit Wagners Walkürenritt musikalisch untermalt.
Kilgore liebt den Geruch von Napalm, sagt er, und erweist sich als ebenso psychopathischer
Offizier, wie man es von Kurtz berichtet.
Auch
die nächste Station Willards ist eine Station auf einem Weg des Grauens.
Mitten im Urwald feiern US-Einheiten zur Musik der Rolling Stones („I can't
get no satisfaction“) eine Show mit dancing girls. Das „amerikanische Lebensgefühl“
soll in der Hölle reproduziert werden. Auf ihrer Weiterfahrt knallen sie
sinnlos eine ganze vietnamesische Familie auf einem Boot ab. Willard selbst
gibt der einzigen überlebenden Frau den Rest, weil er kein Risiko eingehen
will, dass die Nordvietnamesen oder der Vietcong ihn an der Erfüllung seines
Auftrags hindern. Clean stirbt bei einem Angriff. Sie landen bei einer französischen
Einheit, deren Mitglieder, Soldaten wie Zivilisten, auf wundersame Weise an
einem versteckten Platz im Dschungel ihre „Heimat“ errichtet haben, wie sie
es nennen. Clean wird begraben. In einer langen, erregten Debatte zwischen den
Franzosen und Willard, der allerdings fast nur zuhört, kommt es zum Streit.
Die schöne Roxanne (Aurore Clément) verführt Willard. Dem „verlorenen
Soldaten“ erklärt sie: „Zwei Seelen wohnen in dir, eine die tötet
und eine die liebt.“ Ein Speer tötet Chief. Wenig später treffen Willard,
Lance und Chef auf einen völlig durchgeknallten Fotojournalisten (Dennis
Hopper), der von Kurtz schwärmt wie ein Irrer von einen anderen. Kurtz
weiß längst, warum Willard zu ihm geschickt wurde. „Sie sind ein
Laufbursche, von Kolonialwarenhändlern geschickt, um die Rechnung vorzulegen.“
Kurtz lebt in einer Gesellschaft des Todes. Überall Leichen, aufgespießte
Köpfe. Die Gewalt beherrscht eine Gesellschaft, in der die Vietnamesen
sich mit weiß gemalten Gesichtern wie ihre Vorfahren bewegen. Willard
scheint keine Chance zu haben, diesen Ort der Welt jemals wieder verlassen zu
können, zumal Kurtz Chef den Kopf abgeschlagen und diesen Willard zwischen
die Beine geworfen hat ...
Willard
ist letztlich die Hauptfigur in dieser apokalyptischen Fahrt durch die Hölle.
Er, längst heimatlos geworden, in seinen Gedanken versunken, auf eine zutiefst
erschreckende Weise hilflos, ohnmächtig und verloren und dadurch zugleich
immer noch gefährlich und unberechenbar. Als er sieht, dass auf dem Boot
eine Vietnamesin noch lebt, nach dem Massaker, die nichts weiter versteckt hielt
als einen Welpen, knallt er sie ab. Er beweist das, was ihm Kurtz wenig später
in seinem langem Monolog, im Halbschatten, halb im Dunkeln, halb im Licht, zu
erklären versucht, ohne es erklären zu können, weil es nichts
zu erklären gibt: „Das Grauen. Das Grauen hat ein Gesicht. Und man muss
sich das Grauen zum Freund machen. Das Grauen und der moralische Terror sind
deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde“
(der Monolog ist unten vollständig wiedergegeben [1]).
Willard
fährt zu den Quellen des Horrors, des Wahnsinns, der dunklen Seite seiner
Seele und der dunklen Seite der Zivilisation. Er sieht, wie Soldaten angesichts
des überwältigenden Horrors, zu dem sie selbst maßgeblich beitragen,
verzweifelt und ohne irgendeine Chance auf Erfolg eine Normalität des Zu-Hause-Seins
inszenieren wollen, wie sie eine Show veranstalten, Willard und seinen Leuten
bereitwillige Mädchen zur Verfügung stellen. Er sieht aber auch –
als wenn es ein Albtraum im Albtraum wäre – eine Insel der vorherigen Kolonialmacht
Frankreich, eine Truppe Heimatloser, die weder weggehen, noch wirklich da bleiben
können, die sich einbilden, ein Zuhause in der Verlorenheit errichten zu
können, die mit ihrer Vergangenheit nicht fertig werden und sehen, wie
ihre Nachfolger, die Amerikaner den gleichen Kreislauf durchlaufen wie sie selbst,
nur noch brutaler. Das Lager von Kurtz ist der Höhepunkt der apokalyptischen
Vision, die zur Realität geworden ist. Schon der Speer, der Chief tötet,
deutet den Rückbezug auf eine Barbarei an, die nichts anderes war als der
Beginn der Zivilisation. Ganz anders und doch ähnlich wie Kubrick in der
Anfangssequenz von „2001: A Space Odyssey“, „entdecken“ wir und Willard hier
die Ursprünge einer Kultur, die das Werkzeug als verlängerten Arm
erfand und damit direkt einhergehend als Waffe gegen sich selbst, gegen die
eigene Spezies. Die Vietnamesen haben ihre Kleidung, ihre Uniformen abgelegt,
sich angemalt wie ihre Vorfahren. „This is the end, my friend“, singen die „Doors“. Das
Ende und der Anfang zugleich.
Die
gespenstische Stille im Dschungel, der nicht mehr für sich selbst, sondern
für den Dschungel des Lebens steht, in dem Kurtz seine letzten Tage verbringt,
drückt die Perversion dessen aus, was Zivilisation ausmacht. Nicht die
Menschenrechte, irgendein humaner Forschritt oder dergleichen herrschen hier,
sondern der Krieg gegen den Krieg, den Kurtz mit aller Brutalität führt.
Die Zivilisation wendet sich gegen sich selbst und erfüllt doch zugleich
ihr ureigenes Anliegen: die Herrschaft des Menschen über den Menschen,
über die Natur, über das Dasein. Willard ist Augenzeuge, Täter
und Opfer zugleich. Er tötet Kurtz wie die Vietnamesen den Ochsen in einer
Opferzeremonie, mit einer Machete. Der Mythos des (religiösen) Opfers aber
verkommt zum Eingeständnis der völligen Unterordnung unter die Regeln
der kriegerischen Gesellschaft, als die sich die Zivilisation letztlich erweist.
Aus dem Kult der Vorfahren wird der Kult des Todes. „Apocalypse Now Redux“ besticht
noch mehr als die ursprüngliche Fassung durch seine kompromisslose Darstellung
dieses Gangs durch die Hölle. Die zivilisationskritische Tendenz des Films
schätze ich ebenso hoch ein wie die von Kubricks „2001: A Space Odyssey“.
Die zusätzlichen 49 Minuten passen sich meinem Gefühl nach nahtlos
in die ursprüngliche Fassung ein, vertiefen die Aussage des Films. Coppola
schuf damit neben dem „Paten“ ein weiteres Meisterwerk der Filmgeschichte.
Anhang
[1]
Kurtz Monolog: „Das Grauen. Das Grauen hat ein Gesicht. Und man muss sich das
Grauen zum Freund machen. Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde.
Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde. Als ich bei
den Green Berets war...
Wir
gingen in ein Lager, um einige Kinder zu impfen. Wir verließen das Lager,
nachdem wir die Kinder gegen Polio geimpft hatten. Da kam ein alter Mann hinter
uns hergelaufen, und er weinte ... Wir gingen in das Lager zurück. Sie
waren inzwischen gekommen und hatten jeden geimpften Arm einfach abgehackt.
Sie lagen auf einem Haufen ... Und ich erinnere mich, wie ich schrie, ich weinte
wie ein altes Waschweib. Ich wollte mir die Zähne herausreißen, wusste
nicht mehr, was ich tun wollte. Und ich will mich daran erinnern. Ich will es
niemals vergessen. Ich will niemals vergessen.
Und
dann war mir, als würde ich durchbohrt, durchbohrt von einer diamantenen
Kugel, direkt durch die Stirn. Und ich dachte, mein Gott, diese Schöpferkraft,
dieses Genie dieser Wille, das zu vollbringen. Vollkommen, unverfälscht,
vollendet, kristallen, makellos. Und dann wurde mir klar, dass sie viel stärker
als wir waren. Weil sie alles ertragen konnten. Das waren keine Ungeheuer, geschulte
Einheiten. Diese Männer, die mit ihrem Herzen kämpften, die Familien
haben, Kinder, die erfüllt sind von Liebe. Dass sie die Kraft haben, die
Kraft, das zu vollbringen. Wenn ich aus solchen Leuten bestehend zehn Divisionen
hätte, dann wären wir unsere Sorgen hier rasch los. Denn dazu gehören
Männer, die Überzeugungen haben. Und die dennoch imstande sind, ohne
Hemmungen, ihre ursprünglichen Instinkte einzusetzen, um zu töten.
Ohne Gefühl, ohne Leidenschaft. Vor allem ohne Strafgericht, ohne Strafgericht.
Denn es ist das Strafgericht, was uns besiegt.
Mich
beunruhigt der Gedanke, dass mein Sohn vielleicht nicht verstehen wird, worum
es mir wirklich ging. Und falls ich getötet werden sollte, Willard, möchte
ich, dass jemand zu mir nach Hause geht und es meinem Sohn erzählt. Alles.
Alles, was ich getan habe. Alles, was sie gesehen haben. Denn es gibt nichts,
was ich mehr verabscheue als den Gestank von Lügen. Und wenn Sie mich verstehen,
Willard, werden sie das für mich tun.“
[2]
Interessant in diesem Kontext ist das Buch des englischen Filmpublizisten Peter
Cowie: „'The Apocalypse Now' Book, Faber and Faber, London 2001, das die Produktions-
und Wirkungsgeschichte des Films aufarbeitet.
Bemerkungen:
Besucher Deutschland: 3,3 Mio
Die
verlängerte, 203 Minuten lange Version "Apocalypse
Now Redux"
kam am 18.10.2001 in die Kinos.
Ulrich
Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Zu diesem Film gibt’s im
archiv der filmzentrale mehrere Texte
Apocalypse Now
APOCALYPSE NOW
USA - 1976-79 - 153 min. - Scope
Erstaufführung: 4.10.1979
Produktion: Francis Ford Coppola
Regie: Francis Ford Coppola
Buch: Francis Ford Coppola, John Milius
Vorlage: nach Motiven eines Romans von Joseph Conrad
Kamera: Vittorio Storaro
Musik: Carmine Coppola, Francis Ford Coppola
Schnitt: Richard Marks
Darsteller:
Martin Sheen (Willard)
Marlon Brando (Colonel Kurz)
Robert Duvall (Kilgore)
Dennis Hopper (Fotograf)
Frederic Forrest (Chef)
Samuel Bottoms (Lance)
Laurence Fishburne (Clean
Apocalypse Now Redux
USA 2001 - Regie: Francis Ford Coppola - Darsteller: Marlon Brando,
Robert Duvall, Martin Sheen, Frederic Forrest, Albert Hall, Sam Bottoms, Laurence
Fishburne, Dennis Hopper, Harrison Ford, Christian Marquand, Aurore Clément,
Jerry Ziesmer - Länge: 203 min. - Start: 18.10.2001
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