Augen
der Angst (Peeping Tom)
Peeping Tom ist mittlerweile zu einem Klassiker des Kinos geworden,
einem der üblichen Verdächtigen auf den Listen der besten Filme aller
Zeiten. Die Affinität vieler Cineasten zum Michael Powells Werk hängt
sicherlich zusammen mit der Thematisierung des Mediums Film, welche Peeping Tom vornimmt. Powell erzählt dabei die Geschichte vom mordenden Kameraassistenten Mark Lewis
(der ganz ähnlich wie 15 Jahre später in Fassbinders Martha
wundervoll psychopathische Karlheinz Böhm). Lewis tötet seine stets
weiblichen Opfer mit einem ans Stativ montierten Bajonett, während seine
Kamera die verängstigten Frauen filmt. Vor dem Objektiv montiert ist ein
halb durchsichtiger Spiegel, der es erlaubt, durch ihn hindurch zu filmen, während
die Ermordeten sich selbst im Augenblick ihres Todes im Spiegel zu sehen bekommen.
Es ist eine komplexe Konstruktion, dieses perfide Mordinstrument,
mit dem in Peeping Tom getötet wird. Die Selbstfindung des Subjektes im
Lacanschen Spiegel wird hier mit brachialer Gewalt umgedeutet, ja pervertiert:
der Blick ins eigene Gesicht bedeutet für die getöteten Frauen nicht
mehr die Bildung, sondern vielmehr die Auslöschung des Ich, der Tod wird
zum ultimativen Identitätsverlust. Bei all dieser Verarbeitung von Sehen
und Gesehen Werden ist es nur konsequent, dass das einzige Opfer, von dem Lewis
vor dem Vollzug der Tat ablässt, sein Augenlicht bereits vor langer Zeit
verlor. Die Unfähigkeit der Frau, selbst zu blicken, die Unfähigkeit
damit, sich in Lewis Apparat einzufügen, lässt diesen kollabieren.
Ohne den Blick ist in Peeping Tom weder der Tod eine Möglichkeit noch die Wiedergeburt
auf der Leinwand.
Die Taten Lewis' werden erklärt durch ein Kindheitstrauma
- der Vater des Täters filmte diesen als kleinen Jungen, während er
ihn bewußt in einen Zustand größter Angst versetzte und nutzte
die Aufnahmen zum Zwecke seiner psychologischen Untersuchungen. Das Trauma kann
nur durch die immer wiederkehrende Wiederholung verarbeitet werden, Lewis folgt
der symbolischen Ordnung der Gesellschaft in die Fußspuren seines Vaters
auf dem für ihn einzig möglichen Weg - dem der Nachahmung. Angst als
diejenige Emotion, die die Beziehung zum Vater prägte, ist auch jene, welche
einzig den Zugang zum anderen Geschlecht ermöglicht. Die Bilder der Frauen
können Eingang finden in Lewis' Erinnerung nur über den Weg als Bild
im Filmarchiv. Das Archiv wird zum Gedächtnisersatz. Wenn dann schließlich
in Lewis' Leben doch noch die erlösende Kindfrau auftaucht, jenes unschuldige
Geschöpf, welches ihn erkennen lässt, was Liebe auszeichnet, ist es
nahe liegend, dass sich die Zuneigung zu ihr nur darin äußern kann,
dass Lewis eben nicht weiter filmt. Erst, wenn kein vermittelndes Medium mehr
zwischen ihm und dem Objekt seiner Begierde steht, wird echte Kommunikation
möglich.
Der Diskurs, der von Peeping Tom geführt wird, wirkt retrospektiv wie eine Vorwegnahme
des knapp 15 Jahre später erschienenen und inzwischen wohl zu oft zitierten
Aufsatzes Visuelle Lust und narratives Kino von Laura Mulvey. Diese untersucht "die Frau als
Bild, den Mann als Träger des Blickes" und analysiert dabei, inwiefern
Subjekte auf der Leinwand konstituiert und beherrscht werden durch den (immer
männlich konnotierten) Blick der Kamera. Genau wie Mulvey beschäftigen
Michael Powell in seinem Film die Beziehungen des Apparates zur Bildung und
Zerstörung von Identität und die psychologische Konstitution des Zuschauerblickes
im Kino, der immer zugleich der des Voyeurs ist.
Bleibt, sich zu fragen, was ein Film wie Peeping Tom in einer Reihe zum Splatterfilm zu suchen hat, handelt
es sich doch eher um einen vielschichtigen Thriller denn um ein Schlachtfest
wie Bad Taste oder The Hills Have Eyes. Es geht den Veranstaltern wohl eher - so verrät
auch ein Blick in den Katalogtext - um den Zusammenhang zwischen Bild und Form:
Die eigene Vorgehensweise wird zum Thema, so wie Peeping Tom selbst blickt und das Publikum blicken lässt, so
zerstückelt der Splatterfilm den Film in der Montage und den Körper
im Bild. Auch die Durchdringung des Körpers im wahren Wortsinne nimmt Peeping Tom dem Splatterfilm vorweg - wie im modernen Horrorfilm
werden Menschen durchbohrt, durchstoßen und dabei gefilmt - zum Lustgewinn
des Publikums. So betrachtet hält Peeping Tom wohl auch dem Splatterpublikum den Spiegel vor und hinterfragt
mitten zwischen "echten" Splatterfilmen mit leiser Kritik den Geisteszustand
all jener, die mit größter Lust der Destruktion der Körper im
Kino folgen.
Dieser Text ist anlässlich einer Splatterfilmreihe entstanden und zuerst erschienen bei: filmkritiken.org
(Augen der
Angst)
Michael Powell
GB, 1959