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Bad
Lieutenant
Abel Ferrara präsentiert uns einen gewalttätigen und blasphemischen Film, der aber zugleich ein zutiefst religiöser Film ist. Es ist ein hoher Anspruch, den Ferrara erhebt und er scheitert letztlich auf hohem Niveau. Hauptfigur ist der Bad Lieutenant (Harvey Keitel), dessen Namen wir während des ganzen Films nicht erfahren. Er ist der Inbegriff des korrupten Bullen. Er ist selbst alkohol- und drogensüchtig und seine ganze Energie gilt waghalsigen Wetten, mit denen er seine Spielschulden begleichen will und die er doch nur immer höher treibt. An der Aufklärung von Verbrechen ist er überhaupt nicht interessiert, im Gegenteil: er beteiligt sich daran und nutzt seine Stellung schamlos aus.
Wir erfahren seinen Namen nicht und auch sonst nicht
viel über sein Leben. Oberflächlich gibt es den Schein eines Mittelklasse-Lebens
mit Familie. Doch ist diese Verbindung längst abgerissen. Wir sehen den
Lieutenant, wie er nachts betrunken nach Hause kommt und auf das Sofa fällt,
und wie er morgens seine Kinder zur Schule bringt, um gleich darauf eine Prise
Koks zu schnupfen. Seine Frau (Peggy Gormley) ignoriert ihn wie ein Möbelstück
und wir sehen ihn einmal nachts am Bett seiner schlafenden Kinder. Doch wirkt
er wie ein Fremdkörper in seiner Familie.
Der Film zeigt uns in quälender Intensität
sein zerstörtes Leben, das sich noch immer in einer Abwärtsspirale
befindet. Wir sehen ihn, wie er sich bei einem Dealer Drogen besorgt oder sich
einen Schuss setzen lässt, wie er Prostituierte bezahlt und mit ihnen nackt
im Delirium tanzt. Als Tiefpunkt seines Machtmissbrauchs wird uns eine Szene
präsentiert, in der er zwei Mädchen, die er ohne Führerschein
im Wagen ihres Vaters aufgreift, verbal missbraucht und sie zu Obszönitäten
zwingt, um dabei an ihrer Autotür zu masturbieren.
Der Film handelt in einem New York, das Ferrara uns
als einen Ort äußersten Verfalls zeigt. Gewalt, Drogen und Prostitution
prägen diese Welt und korrespondieren dem Verhalten der Hauptfigur. Seine
Kollegen wirken kaum besser, denn das einzige, was all die zynischen Cops interessiert,
sind ihre Wetteinsätze. Der „Bad Lieutenant“ taumelt durch diese düstere
Stadt wie im Fieber.
Harvey Keitel bietet als anonymer Lieutenant eine
darstellerische Glanzleistung, die an die Grenze des Möglichen geht. Ohne
alle Scheu oder Reserviertheit zeigt er uns die Abgründe der menschlichen
Seele. Er stellt den kaputten Bullen in seiner ganzen Nacktheit dar, sowohl
körperlich als auch seelisch, ohne an irgendwelchen Grenzen Halt zu machen.
Er gibt alles. Und es gelingt ihm, die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der
Figur spürbar werden zu lassen.
Wir erfahren nichts über den Lieutenant, außer
der Tatsache, dass er katholisch und religiös ist. Ein Schlüsselereignis
wird für ihn die brutale Vergewaltigung einer Nonne (Frankie Thorn). Der
Film zeigt uns die Tat, die in einer Kirche stattfindet als eine blasphemische
Gewaltphantasie. Zu den Klängen des harten Rap-Songs "Signifying Rapper"
von Schooly D.,wird die Nonne von den beiden Tätern auf dem Altar vergewaltigt,
während wir Christus am Kreuz rhythmisch zucken sehen. Die Szene ist im
Stil eines Musik-Videoclips inszeniert, das die enthaltene Gewalt bewusst stilisiert.
Der Lieutenant mischt sich in die Ermittlungen ein.
Was ihn im Kern trifft, ist die Tatsache, dass die Nonne ihren Vergewaltigern
vergibt und sich weigert, die Namen der Täter zu nennen. Hier wird eine
etwas übertriebene Parallele zur Figur Jesus’ gezogen: Vergib denen, die
dir Böses tun. Der Lieutenant, der in seiner Existenz schon so tief gesunken
ist, dass es kaum vorstellbar scheint, er könne noch tiefer sinken, bekommt
dadurch eine Ahnung, dass es vielleicht auch für ihn Vergebung und damit
Erlösung geben könnte.
Den Höhepunkt des Films inszeniert Ferrara als
reichlich plakative religiöse Vision, die sich sowohl als bloße Phantasie
einer überreizten Psyche als auch als tatsächliches Erweckungserlebnis
verstehen lässt. In jedem Fall ist die Szene in all ihrer überbordenden
Symbolik ernst gemeint. Die Nonne gibt dem Lieutenant zunächst den etwas
naiven Rat: „Reden Sie mit Jesus, beten Sie, Sie glauben doch an Gott?“ In dieser
Schlüsselszene des Films bleibt er allein in der Kirche zurück und
ihm entringt sich ein kreatürlicher Schrei, den Keitel mit quälender
Eindringlichkeit zelebriert. Er hat eine Vision von Jesus (Paul Hipp), den er
zunächst anschreit: „Sag was, steh doch nicht bloß so da. Was soll
ich denn tun? Kannst du mir das sagen?“ Nachdem er mehrmals „Wo warst du?“ geschrieen
hat, bricht er zusammen, um nur noch zu wimmern: „Es tut mir leid! Ich habe
soviel Böses getan! Ich versuche doch nur das Richtige zu tun. Aber ich
bin zu schwach. Hilf mir, Vergib mir!“ Er kriecht zu Jesus und küsst ihm
die Füße. Als er aufblickt sieht er eine alte Schwarze, die einen
Kelch zurückbringt, den die Vergewaltiger gestohlen hatten.
Er folgt ihr und findet die beiden Täter. Er
legt ihnen Handschellen an, raucht Drogen und sieht mit ihnen zusammen das Endspiel
der Baseball-Meisterschaft am Fernseher, seine Wetthoffnungen sind endgültig
zunichte. Anschließend setzt er die beiden in einen Bus, der New York
verlässt und schenkt ihnen die 30.000 $, die er als Anzahlung auf seine
Wettschulden besorgt hatte. In der letzten Szene wird er aus einem vorbeifahrenden
Auto von Handlangern seines Buchmachers erschossen. Mit diesem Schluss macht
der Film endgültig deutlich, dass in dieser Welt Gerechtigkeit überhaupt
nicht mehr gesucht wird. An die Stelle von Gerechtigkeit tritt Vergebung und
Erlösung. Den beiden Tätern wurde vergeben, deshalb dürfen sie
gehen. Der Lieutenant sucht mehr, er will Erlösung. Doch diese ist nur
um den Preis des Lebens zu bekommen. Eine solche religiöse Interpretation
legt der Film mit dem Katharsis-Erlebnis der Jesus-Szene nahe, wenn er sie auch
nicht erzwingt.
Man muss den Ernst anerkennen, mit dem Ferrara seinen
Film inszeniert, doch gelingt es ihm letztlich nicht, seinen hohen Anspruch
einzulösen. In seiner Themenwahl von Schuld und der Suche nach Erlösung,
in der Verknüpfung von Katholizismus, Gewalt und dem Handlungsort New York
lässt sich unschwer das Vorbild Martin Scorseses erkennen. Es sind große
und sehr große Themen, die Ferrara hier angeht. Doch zu vieles bleibt
nur Behauptung und wird nicht entwickelt. Gerade weil die Hauptfigur innerlich
so zerrissen ist, fällt der Mangel an biographischer Tiefe auf. Seine extreme
Verdorbenheit und sein unstillbares Erlösungsbedürfnis stehen so völlig
unvermittelt nebeneinander und seine plötzliche Wandlung am Schluss des
Films, als er den eigenen Tod bewusst heraufbeschwört, erscheint etwas
aufgesetzt. Auch die Figur der Nonne bleibt zu schablonenhaft, um wirklich glaubwürdig
zu wirken. Ferrara erreicht bei seinem hohen Anspruch sein Vorbild Scorsese
leider nicht.
Siegfried König
Dieser Text ist nur erschienen
in der filmzentrale
Bad Lieutenant
USA 1992, Regie:
Abel Ferrara, Buch: Zoe Lund und Abel Ferrara, Kamera: Ken Kelsch, Musik: Joe
Delia, Produzent: Edward R. Pressman. Mit: Harvey Keitel, Frankie Thorn, Victor
Argo, Paul Hipp, Victoria Bastel, Zoe Lund, Peggy Gormley, Paul Calderon, Anthony
Ruggiero, Robin Burrows.
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