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Birth
Die
vertäfelten Seelen
Klare,
einprägsame Bilder und eine somnambule Inszenierung umhüllen das Fantastische:
In Johnathan Glazers Drama "Birth" spielt Nicole Kidman eine Witwe,
deren toter Gatte im Körper eines Zehnjährigen wieder auferstanden
zu sein scheint
Wie
jede interessante Mystery-Erzählung beginnt Jonathan Glazers zweiter Film
"Birth" zunächst mit dem Offensichtlichen. Die visuelle Dichte
der Eröffnungssequenz liefert einen Vorgeschmack auf die folgende formidable
Inszenierung des Übernatürlichen: expressiv und streng zugleich, und
der Blick für Details ist untrüglich. Wohl nur ein ausgemachter Realist
kann so klare und einprägsame Bilder für das Fantastische finden,
und diese Erdung in vertrauten Sujets und Gefühlszuständen ebnet den
Weg für eine Geschichte, die im Grunde jeder Beschreibung spottet. Die
Einstellungen von Glazers Director of Photography Harris Savides ("Elephant")
finden seltene Balance zwischen dem nahe Liegenden und dem schier Unglaublichen.
Tod
und Geburt bilden am Anfang von "Birth" eine dialektische Einheit.
An einem farblosen Wintermorgen stirbt ein Mann beim Joggen im New Yorker Central
Park, und ein Kind wird geboren. So ist der Lauf des Lebens, und Jonathan Glazer
unterstreicht diesen Lauf mit einer linkischen Kamerabewegung. Während
der Jogger hilflos im Park zusammenbricht, zieht sich die Kamera in einen Fußgängertunnel
zurück. Gleich mit seiner Eröffnung etabliert Glazer eine Grundstimmung
von Verlorenheit, für die der einsame Tod des Joggers exemplarisch wird.
Die Geburt eines Babys stellt den Schritt zurück ins Licht dar; das reichlich
abgegriffene Bild des (Geburts-)Tunnels ist hier verzeihlich. Die Leben von
Mann und Kind scheinen in einem mysteriösen Zusammenhang zu stehen, der
sich der Witwe Anna (Nicole Kidman) erst zehn Jahre später offenbaren soll.
Dem
Realisten ist jede Form von Esoterik suspekt. Der Eröffnungssequenz ist
ein anonymer Satz aus dem Off vorangestellt: "Als Wissenschaftler kann
ich diesem Hokuspokus keinen Glauben schenken." Es ist sicher auch Glazer,
der hier spricht; das gesamte Figurenensemble in "Birth" widersetzt
sich dem Glauben an etwas, für dessen Existenz es nichts anderem bedarf
als eben Glauben. Doch eines Nachts platzt ein kleiner Junge mit Mondgesicht
(Cameron Bright) in diese zutiefst materielle Welt. Eine geschlossene Welt auch,
die man durch prunkvolle Foyers betritt, welche wiederum von Fahrstuhlführern
bewacht werden. Das Licht, das in dieses Reich des alten New Yorker Geldadels
fällt, ist gedämpft, das Milieu old money, es besitzt weder die Flexibilität
noch den Look der New Economy. Und plötzlich steht dieser Junge im fahlen
Kerzenschein wie eine Erscheinung während einer Séance und behauptet,
er sei Annas verstorbener Mann Sean.
Das
Verhältnis von Anna und dem Jungen hat viel Raunen verursacht. Grund war
eine Szene, in der Bright sich vor Kidman entkleidet und zu ihr in die Badewanne
steigt. "Was tust du?", fragt Anna perplex. "Ich betrachte meine
Frau", antwortet der Junge. Im Gesamtgefüge des Films kommt der Szene
keine gehobene Bedeutung zu, sie fügt sich nahtlos in Glazers somnambule
Inszenierung ein, die eher von kleinen Gesten und seismischen emotionalen Erschütterungen
getragen wird. Glazer gibt Dreyers "Die
Passion der Jeanne d'Arc"
als wichtigen Einfluss für "Birth" an, und wenn die Kamera während
einer Opernaufführung für drei scheinbar unendliche Minuten auf Nicole
Kidmans Gesicht verharrt, das mit minimalem Mienenspiel schwerste Trauerarbeit
verrichtet, bezeugt Glazer einen ebensolchen Respekt vor Kidman, wie Dreyer
ihn einst für Maria Falconetti empfunden hat.
Die
Zerbrechlichkeit Annas, die ihrem verstorbenen Mann zehn Jahre hinterher getrauert
hat, wird durch Kidmans Kostüme betont, die ihrer Figur eine beängstigende
Zartheit verleihen. Unsicherheit ist Anna ins Gesicht geschrieben. Doch wenn
dieser kleine Junge tatsächlich ihr verstorbener Mann wäre, würde
sie keine Sekunde zögern, mit den Konventionen der Gesellschaft zu brechen.
Glazer verlangt dem Zuschauer mit seiner abenteuerlichen Prämisse einiges
ab, doch je mehr Anna sich ihrer irrationalen Hoffnung hingibt, desto transparenter
wird die Reinkarnationsgeschichte von "Birth".
Denn
die unvorbereitete Ankunft des Jungen steht für eine fundamentale Leere
in Annas Leben; der Verlust eines Menschen, der sich durch nichts aufwiegen
lässt außer durch die Kraft der Imagination. Die bedrückenden
Interieurs der Manhattaner High Society bilden ein Spiegelbild von Annas Seele.
"Birth" ist ein Film über Selbstverleugnung und emotionale Sanktionen.
Lauren Bacall spielt in der Rolle von Annas Mutter die Wächterin dieses
gesellschaftlichen Status quo mit der Altehrwürdigkeit der Grande Dame.
Ihre kratzige Stimme befiehlt ein Regime absoluter Selbstbeherrschung. In der
besten Szene des Films bricht sich der psychische Druck, der dieses System zusammenhält,
schließlich Bahn. Während eines Kammerkonzerts verliert Joseph (Danny
Huston), Annas Gatte in spe, die Beherrschung und attackiert den zehnjährigen
Jungen vor den Augen seiner Gäste. Man sieht ihnen die Verlegenheit für
diesen Ausraster förmlich an. Scham ist das einzige ehrliche Gefühl,
das sich die Figuren in "Birth" noch zugestehen können.
Andreas
Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der TAZ
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Birth
USA 2004, Regie: Jonathan Glazer, Buch: Jonathan Glazer, Milo Addica,
Jean-Claude Carrière, mit Nicole Kidman, Cameron Bright, Danny Huston,
Lauren Bacall, Alison Elliott, Arliss Howard, Michael Desautels, Peter Stormare,
Ted Levine, Anne Heche, Kinostart: 23. Dezember 2004 bei Warner Bros.
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