zur
startseite
zum
archiv
Casino
Leben
und Sterben in Las Vegas
Las
Vegas, Nevada, in den siebziger Jahren, wie der Regisseur Martin Scorsese es
sieht. Es leuchtet. Zunächst aber bedeutet es dies: Geld, Geld, haufenweise
Geld.
Das
Geld wird gefressen von den slot machines, den einarmigen Banditen, die hier
an jeder Hotelecke stehen. Es wird in Chips getauscht und dann beim Roulette
verloren. Es wandert, die Scheine sorgfältig gefaltet, dezent von Hand
zu Hand. Letztlich aber hat der Weg des Geldes in Martin Scorseses neuem Film
Casino nur eine Richtung: Alle Münzen und Scheine landen irgendwann in
einem unauffälligen Hinterraum des "Tangier", des ersten Casinos
am Platze. Eine Schatzkammer. Hier werden die Scheine gezählt und gestapelt
- schränkeweise. Hier warten sie, bis der Mann mit der Ledertasche kommt:
der Geldbote der Mafia. "Das ist alles, worum es geht", sagt Robert
De Niro einmal als Casino-Manager Sam Rothstein, "es dreht sich alles nur
darum, euer Geld zu kriegen." Kurze Pause. Dann: "Und wir kriegen
es."
Natürlich
kriegen sie es. Im ersten Drittel seiner drei Stunden Laufzeit zeigt "Casino"
beinahe in der Art eines Dokumentarfilms, wie es in den Siebzigern zuging in
dieser merkwürdigen, in die Wüste gebauten Spielhölle Las Vegas.
Genüßlich breitet Scorsese alle Tricks aus, die ein Casino-Manager
beherrschen muß; und Sam Rothstein beherrscht sie alle. Manchmal umkreist
die Kamera mit geringer Tiefenschärfe, leicht von unten De Niros unbewegtes
Gesicht, während im unscharfen Hintergrund die Lichter der Glücksspielautomaten
explodieren. So wurden bisher nur Könige gefilmt, die ihr Reich überblicken.
In
die Dokumentarfilm-Ästhetik zieht sich Scorsese immer wieder zurück
- um immer wieder daraus auszubrechen. So ist die Geschichte, wie Rothstein
seine große Liebe kauft, einerseits eher dokumentiert als tatsächlich
erzählt ("Du wirst nie wieder Geldsorgen haben", sagt er während
des Heiratsantrags, da willigt Sharon Stone als Ginger McKenna ein). Andererseits
hat bisher noch kein Film die Stone so sehr mit der Kamera gefeiert wie dieser.
Und siehe: Noch nie war sie so gut. Wiederum einerseits könnte das blutige
Treiben von Nicky Santoro, Rothsteins Jugendfreund, einem Lehrbuch über
die Grausamkeit der Mafia entlehnt sein (tatsächlich basiert der Film auf
wahren Begebenheiten). Andererseits verleiht der Schauspieler Joe Pesci den
Sünden des Nicky Santoro unschuldige Größe.
Schon
zu Beginn ist "Casino" eben nur beinahe ein Dokumentarfilm, und im
Verlauf der Handlung gewinnt er eine Höhe, die jeden Realismus hinter sich
läßt. Randvoll gefüllt sind die Szenen mit Realien aus den siebziger
Jahren, der Soundtrack ein einziges Hit-Museum, die Kostüme so perfekt,
als würden alle Modekataloge der Zeit aufgearbeitet. All das benutzt Scorsese
allerdings nur als Basis. Sein Kino war stets eins der Überhöhungen
und der Intensitäten. So auch hier. Nicht nur weil es um eine Mafia- und
Aufsteigergeschichte geht, ist "Casino" nach den Subtilitäten
des Vorgängers "Zeit der Unschuld" wieder ein "echter"
Scorsese-Film. Es finden sich darin sein kompletter Themenkosmos (Mafia, Schuld,
Sühne, Gewalt, Katholizismus) und sein unbändiger formaler Ehrgeiz,
letzterer so gespannt, daß er an den Rand des Manierismus gerät.
Überhöhungen:
Natürlich ist auch "Casino" mit allerhand religiösen Unter-
und Obertönen gesättigt. Wir haben es letztlich mit nichts Geringerem
zu tun als mit einem Film über die Erlangung des - allerdings falschen
- Paradieses: das des Geldes. Und mit der Geschichte der Vertreibung aus ihm.
Am Schluß wird ein blutiges Strafgericht gehalten. Wer nicht irgendwo
verarmt krepiert, den liquidiert die Mafia. Und wen die Mafia nicht erwischt,
den kriegt das FBI.
Intensitäten:
Einfache Einstellungen gibt es auch in diesem Film. Öfter aber hat Scorsese
die riskantestmögliche gewählt. So fliegen denn die Spielwürfel
nicht einfach in die Luft, als Ginger McKenna sie einmal hochwirft. Sie fliegen
bis in den Himmel, einen Himmel aus Licht. Und man hält für einen
Moment den Atem an. Nicht nur in dieser Szene: Selbst in den scheinbar schlichten
Einstellungen ist oft eine Besonderheit versteckt. Man achte etwa auf die Hände
der Schauspieler. Sie leuchten. Scorsese hat auf sie scharfe Scheinwerfer-Spots
gesetzt.
Der
Film leuchtet. Liebe, Vertrauen, Freundschaft - all das ist vom Allesgleichmacher,
dem Geld, infiziert. Aber dagegen setzt Scorsese eine schier überbordende
ästhetische Pracht und Glorie. Ganz am Schluß wird das Las Vegas
der siebziger Jahre gesprengt. Die neuen Investoren brauchen Platz für
die heutigen Pappmachépyramiden und Schloßattrappen. Mag sein,
daß Scorsese das alte Las Vegas verklärt. Aber was für ein Abgesang!
Dirk
Knipphals
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Das
Sonntagsblatt
Casino.
USA 1995. Von Martin Scorsese. Mit
Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, James Woods. 178 Minuten
zur
startseite
zum
archiv