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Down
by Law
Am Anfang gleitet die Kamera in einer langen Fahrt
durch einen Außenbezirk von New Orleans: baufällige Baracken, altersschwache
Holzhäuser, hier und da ein Balkon, eine Veranda, die einmal bessere Zeiten
gesehen haben - ein Revier am Rande des Verfalls, von einem der sumpfigen Nebenarme
des Mississippi aus gesehen. Weitwinkelperspektive, „schwimmender Blick“. Dazu
die rauhkehlige Blues-Stimme von Tom Waits: „Jockey full of Bourbon“, sehnsuchtsvoll
krächzend, rebellisch wimmernd, besoffen...
Vermutlich teilt der Film schon mit dieser ersten
Sequenz seine Zuschauer in zwei Lager: hier entscheidet sich, ob man Down by Law
von nun an hassen oder lieben wird. Zwei Jahre zuvor, 1984, hatte Jim Jarmusch
für seinen zweiten Film, das Roadmovie Stranger
than Paradise, den amerikanischen
Kritikerpreis erhalten - nun sollte sich zeigen, wie groß tatsächlich
die Gemeinde der Jarmusch-Enthusiasten war. Anfang Oktober 1986, nach der Premiere,
bot die "Washington Post" gleich zwei ihrer Starkritiker auf: Rita
Kempley, um Down by Law zur „Komödie für Kenner“ zu nobilitieren
- und Paul Attanasio, um den Regisseur als Sonderling abzuqualifizieren: „He’s
made a Jim Jarmusch film instead of just making a film...“ Seine Kenner und
Liebhaber hat der Film in der Folgezeit dann auch vorwiegend in Europa gefunden.
Ein Autorenfilm also - aber einer aus einer ganz
besonderen Hexenküche: Off-Hollywood allemal, zudem Hip-Kultur, Mitte der
80er Jahre, morose Beat-Rhythmen, gallige Songs, heiser vom Alkohol, dazu Drop-out-Gestik
und jäh aufflackernder No future-Humor. Alles zusammengebraut von einem
verschworenen Trio schräger Talente: John Lurie, der die versponnen-lyrische
Musik schreibt und das Zuhälter-Wrack Jack spielt, ist als Filmkomponist
und Darsteller seit Permanent Vacation, Jarmuschs erstem Film von 1982, dabei;
jetzt stößt Tom Waits mit seinen Songs hinzu und spielt einen arbeitslosen
Radio-Diskjockey - ein Beruf, der ihn noch in Mystery
Train (1989) verfolgen wird,
bis er in Coffee
and Cigarettes III (1993) endlich
(nur) sich selbst spielen kann. Zwei Multitalente, wie Jarmusch selbst, der
seit Permanent
Vacation nicht nur als Autor
und Regisseur, sondern auch als Produzent, Kameramann, Komponist und Cutter
aktiv ist und später, in den Filmen anderer, auch immer wieder spielen
wird. Die Obsessionen dieser drei Musketiere des hip feeling, bereichert um
den singulären Witz eines entgleisten italienischen Touristen (Roberto
Benigni), das Ganze verrührt zu einer Häftlingsgeschichte, die aus
einer Gefängniszelle in New Orleans in die schwülen Sümpfe des
Mississippi-Deltas und von dort direkt ins reine, von aller Erdenlast unbeschwerte
Märchen führt: das ist Down
by Law, ein filmisches Amalgam, das
als Kultobjekt für Exzentriker, aber genialerweise auch als pures Kino
funktioniert.
Es passiert nicht sehr viel. In irgend einer maroden
Wohnung des heruntergekommenen Stadtviertels schüttet eine entnervte junge
Frau, Laurette (Ellen Barkin), ihre Verzweiflung über das verkorkste Leben
mit ihrem Lover, dem haltlosen DJ Zack aus; Tom Waits sitzt nur da, mal nickt
er bekümmert, mal wiegt er wie in Trance sein mächtiges Haupt - schließlich
schmeißt sie ihn raus, und Zack ist’s zufrieden, wenn er nur ein Paar
blitzblanker Stiefel mitnehmen darf. Szenenwechsel: eine andere marode Wohnung,
ein anderes kaputtes Paar. Bobbie (Billie Neal) wälzt sich nackt auf dem
Lager und verhöhnt ihren nicht gerade brillanten Zuhälter Jack; John
Lurie aber sitzt nur apathisch am Tisch und zählt stumm sein Geld, bis
der Halunke Preston (Vernel Bagneris) hereinschneit und ihm ein glänzendes
Geschäft mit einer Top-Frau verspricht. Doch im Hotel wartet statt der
Spitzenkraft ein verängstigtes kleines Mädchen - das Ganze ist eine
Falle und Jack im Handumdrehen im Gewahrsam der Polizei. Szenenwechsel: inzwischen
ist es Nacht, am dreckigen Straßenrand sitzt lallend der arme Zack und
wischt seine blitzblanken Stiefel sauber. Ein zwielichtiger Typ bietet ihm tausend
Dollar an - Zack soll nur einen Jaguar vom einen Ende der Stadt zum andern fahren.
Auf der Fahrt hält ihn prompt eine Polizeistreife an - und prompt liegt
im Kofferraum eine Leiche, tot genug, um Zack auf dem direktesten Weg ins Gefängnis
zu bringen.
Dies alles geschieht in einem Stil, den man nur als
lyrischen Sarkasmus bezeichnen kann. Die beiden moribunden Helden bleiben erst
einmal so gut wie stumm, reagieren mit verlangsamten Bewegungen, als habe ihre
Körper eine allmählich fortschreitende Lähmung befallen. Rauhe,
körnige Schwarzweiß-Bilder von Schauplätzen, in denen sich die
Depression eingenistet hat. Die Kamera von Robby Müller läßt
sich Zeit, zieht die pragmatische Nüchternheit langer Einstellungen aufwendigen
Bewegungen vor, beobachtet wie abwartend, oft aus einer leichten Untersicht,
die Szene wie eine Bühne, auf der das Drama längst vorbei ist, ohne
daß sich der Vorhang geschlossen hat. Eine Komödie ist dies vorerst
nicht, eher ein Beckettsches Endspiel mit autistischen Figuren, die wie unter
Hypnose in ihr Unheil wanken. Der Humor, wenn es ihn hier gibt, ist von schwarzer
Farbe; er entspringt nicht den Situationen, sondern dem in der Tiefe vergrabenen
Innenleben zweier Outcasts und ihrer gleichsam post-verbalen Verfassung, die
sich in halbgeformten Lauten äußert, nachdem alle Worte und Sätze
ein für allemal verschlissen sind.
Jack und Zack landen in derselben Gefängniszelle,
mustern sich wie zwei Bestien von unterschiedlichen Gestirnen und versuchen,
sich zu ignorieren. Irgendwie vergeht auch in diesem Film die Zeit, denn der
Strichkalender, den Zack auf einer der kalkweißen Zellenwände angelegt
hat, wird umfangreicher. Ein paar Worte sind nicht ganz vermeidlich, während
offenbar Wochen verstreichen - stets am Rande des Gewaltausbruchs. Bis sich
Zack bequemt, mit einer virtuos improvisierten Nummer Jack zu demonstrieren,
daß er tatsächlich ein ganz passabler DJ gewesen ist. Und bis Roberto
(Roberto Benigni) auftaucht und die Atmosphäre in der Zelle schlagartig
verändert - ein munterer Italiener, Kommunikationskünstler und unentwegter
Optimist, eine Mischung aus Woody Allen und Chico Marx, Prototyp des radebrechenden
Immigranten, der den beiden unschuldig Inhaftierten sogleich gesteht, daß
er, wenn auch in Notwehr, zum Mörder mittels einer Billardkugel geworden
sei. Ein Sprach-Artist und Wortwitz-Händler, der emsig jede neu erlernte
Vokabel notiert und mit seinen Konjugationsübungen erst die beiden Zellengenossen,
dann alle anderen Insassen ansteckt und sie fast bis zur Gefängnisrevolte
treibt: „You scream, I scream, we all scream for icescream!“
Mit Roberto (der schon zuvor ganz kurz durch die
düstere Szene mit Tom Waits kreuzte, gleichsam ankündigend, daß
im fatalen Spiel noch ein Joker versteckt ist) springt das Nachtstück in
den hellen Tag, die gefährlich brodelnde Lethargie des ersten Teils ins
Vivace einer optimistischen Gaunerkomödie, in der es für jedes Problem
eine Lösung gibt. Die Flucht in die Sümpfe von Louisiana, die Roberto
dem Trio ermöglicht, führt in einen von Mücken durchsummten Märchenwald,
gleichzeitig - nach dem Urbild von Mervyn LeRoys I
am a Fugitive from a Chain Gang von
1932, der ebenfalls in den Sümpfen der Südstaaten spielt - in jenen
Traum, den alle amerikanischen Gefängnisausbrecher, im Rücken das
Gekläff der Bluthunde, von der amerikanischen Freiheit träumen. Hier
bleiben die Hunde bald zurück, ihr Gebell verliert sich in der Ferne; die
rauhen, kontrastreichen Bilder, die Robby Müller im ersten Teil gedreht
hat, wechseln nun in ein sanftes, wie von Nebeln verhangenes Grau.
Mit den Dünsten, die aus brackigen Gewässern
aufsteigen und die Geräusche dämpfen, und mit dem unablässig
plappernden Roberto geht auf einmal ein Strom von Wärme, Vertrauen, Zuversicht,
verschämter Menschlichkeit durch den Film. Drei Charaktere, die unterschiedlicher
nicht sein könnten, bewähren sich in einer Situation, in der jeder
auf den anderen angewiesen ist: aus diesem alten Stoff zaubert Jarmusch eine
Erzählung, die zwar, weil sie nicht mehr an sich selbst glaubt, ihre eigene
Dramaturgie ironisiert, den Figuren jedoch ihre je eigene Kontur, ihre Eigenart,
ihren verborgenen Charme und ihre Abgründe zugesteht. Tom Waits’ rauh hechelndes
Lachen, John Luries maulfaule Sperrigkeit und Roberto Benignis Menschenliebe,
sein Hang zum nicht abreißenden, aufmunternden Selbstgespräch - dies
sind drei Haltungen zur Welt, die in dem Maße, wie sie sich zueinander
verhalten müssen, Modifikationen zulassen, unerwartete Nuancen, die alle
Klischees des Genres weit hinter sich lassen und den humanen Kern dieses Films
ausmachen. „They discuss poetry“, schreibt Rita Kempley über die drei ungleichen
Helden - und das gilt auch in einem ganz wörtlichen Sinn: plötzlich
zitiert Roberto den Dichter Robert Frost, wenngleich er einräumen muß,
daß er ihn aus dem Italienischen in sein holpriges Englisch rückübersetzt.
„Frost, Frost“, lacht Zack heiser in sich hinein, bevor er einschläft.
Das Happy End - Roberto findet sein Glück in
der Hütte und den Armen einer bildhübschen Italienerin (Nicoletta
Braschi als Nicoletta), die mitten in der Wildnis des Mississippi-Deltas ein
einsames Restaurant betreibt - ist Märchenwirklichkeit und deren sanft
gestimmte Parodie zugleich, Robertos Gegenbild zu jenem Traum, den der gescheiterte
Zuhälter Jack als Häftling träumte: vier schöne nackte Mädchen
in einem weißen Cadillac, die ihn vor dem Gefängnistor erwarten.
An einer Weggabelung nehmen Zack und Jack am Ende voneinander Abschied, und
mit dem heiseren, amüsierten, traurigen Lachen, das Zack seinem Kumpan
nachschickt, verabschiedet sich auch das Märchen wieder aus der Wirklichkeit.
Klaus Kreimeier
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Filmgenres – Komödie; Herausgeber: Heinz-B. Heller, Matthias Steinle; im Reclam-Verlag, Stuttgart 2005
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Down
by Law
(Down
by Law)
USA
1986, 107 Minuten
Regie:
Jim Jarmusch
Drehbuch:
Jim Jarmusch
Musik:
John Lurie, Tom Waits („Jockey Full of Bourbon“, „Tango Till They're Sore“)
Kamera:
Robby Müller
Schnitt:
Melody London
Ausstattung:
Janet Densmore
Darsteller:
Tom Waits (Zack), John Lurie (Jack), Roberto Benigni (Roberto), Nicoletta Braschi
(Nicoletta), Ellen Barkin (Laurette), Billie Neal (Bobbie), Rockets Redglare
(Gig), Vernel Bagneris (Preston), Timothea (Julie)
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