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Duell
- Enemy at the Gates
Annaud
reduziert Stalingrad auf ein Westernduell
Es
ist wohl nicht allzu schwer, diesem Film nachzuweisen, wie sehr er ästhetisch
und moralisch danebengegangen ist, wie fast jede künstlerische Entscheidung
genau die falsche war. Der falsche Regisseur verfilmt zur falschen Zeit mit
einer schon sehr, sehr falschen Konzeption das falsche Drehbuch zum falschen
Sujet mit den falschen Schauspielern in der definitiv falschen Sprache im falschen
Land.
Jean-Jacques
Annaud hat nichts zu sagen, deswegen macht er archaische Filme, was durchaus
in Ordnung geht, solange er sich an Bären und Urzeitmenschen hält.
Er scheitert schon bei mittelalterlichen Mönchen, die ganz gewiss komplizierter
und klüger waren als der Film, den Annaud ihnen widmete. An Stalingrad
als historischem Augenblick, der als reine Gegenwärtigkeit so unmöglich
darzustellen ist wie als reine Vergangenheit, sind schon kompliziertere und
klügere Regisseure verzweifelt. Wenn eine Filmindustrie einen Regisseur
wie Annaud an ein solches Sujet setzt, dann ahnt man, dass sie selbst als System
eher noch dümmer ist als dieser Regisseur, der offensichtlich glaubt, es
sei sein Job, eine fundamentale Action-Geschichte für den "Weltmarkt"
vor dem Hintergrund eines "wirklichen" Desasters so zu erzählen,
dass auf gar keinen Fall so etwas entsteht wie ein Gedanke. Unnütz zu sagen,
dass nicht einmal das geklappt hat.
Wichtiger
aber vielleicht als das Scheitern eines solchen Films ist sein symptomatisches
Scheitern. Wenn er uns nämlich nichts über den Krieg im Allgemeinen
und schon gar nichts über Stalingrad im besonderen zu sagen hat, dann hat
er uns doch eine Menge über den europäischen Film im Allgemeinen und
das deutsche Kino im Besonderen zu sagen. Alles beginnt damit, dass man ein
Produktionsvolumen aufstellt, das ein merkwürdiges Glitzern in den Augen
aller Beteiligten auslöst: Man will diesen Film haben. Das Studio Babelsberg
will ihn haben. Die Schauspieler wollen ihn haben. Jude Law will ihn haben,
weil er "noch nie einen solchen Charakter gespielt hat". Das Berliner
Festival will ihn haben, gleich zum glamourösen Auftakt. Vielleicht will
ihn überhaupt der "deutsche Film" haben, um zu zeigen, wohin
er will und was er kann. Ein Kriegsfilm ist für so etwas immer besonders
geeignet, weil eine Industrie da ihre Rüstung und Techniker ihr strategisches
Geschick demonstrieren können. Offensichtlich sieht man 180 Millionen DM
und gerät dabei so in Verzückung, dass man das Drehbuch schon nicht
mehr liest, dass man keinen Blick für Konzepte und Bilder mehr hat. Die
Summe wirkt so magisch, dass es niemandem mehr auffällt, dass dieses Geld
nicht einmal wirklich auf der Leinwand zu sehen ist. So bildet ein Film nicht
mehr die Produktivkraft seines Apparates ab, sondern nur noch Zins- und Karrierefantasien.
Die
Story, die dann erzählt wird, wäre gerade recht für einen Trash-Endzeitfilm
aus Cinecittà in den frühen achtziger Jahren: Ein guter Killer gegen
einen bösen Killer. Der Gute, der russische Killer, wird von seiner Armee
als Held aufgebaut und soll Hoffnung bringen. Der Böse, der deutsche Killer,
hat nur einen zutiefst persönlichen Grund: Sein Sohn hat hier sein Leben
verloren. Also ist er eigentlich auch kein vollkommen böser Killer. Paranoid
vielleicht, aber so sind ja nun mal Killer.
Dass
ein wahrhaft mordsmäßig aufwändiger Kriegsfilm dann doch nur
etwas vom Kampf "Mann gegen Mann" zu erzählen weiß, mag
unangenehm erscheinen. Aber leisten wir uns den Luxus eines kurzen Blickes auf
seine ideologische Tiefenstruktur. Der Film konstruiert seine eigene Lust am
Kriegsspielen, an Feldherrnhügel, Bomberangriff und Zielfernrohr, ganz
direkt selbst. Zuerst sehen wir eine der Annaudschen Archaismen: ein Junge und
sein Großvater auf der Jagd nach dem Wolf. Der Junge ist schon ein guter
Jäger, der mit der Natur verschmilzt, aber dann versagt er doch im entscheidenden
Moment.
In
den ersten Sequenzen eines Angriffs sehr junger, schlecht bis gar nicht ausgerüsteter
sowjetischer Soldaten, die offensichtlich dem Spielbergschen Einstieg in Saving
Private Ryan
entsprechen sollen, und die uns gleich persönlich auch die Rücksichtslosigkeit
der Roten Armee gegen die eigenen Leute vor Augen führen, ist dieser Jäger,
der nicht "zum Schuss" gekommen war, mitten in einem Wahrnehmungsrausch
mit nur einem Ziel: "Ich brauche ein Gewehr!" Vollständig und
eins werden durch die Waffe! Als er dann endlich das Gewehr von einem Toten
hat, beginnt der Aufstieg des "naiven" Helden zum gefürchteten
und verehrten Scharfschützen, aufgebaut vom "Intellektuellen"
(Brille!), der ihm natürlich moralisch so sehr unterlegen ist, dass er
auch das Mädchen nicht bekommt.
Vassili
(Jude Law) erwächst im blonden, starrbös guckenden deutschen Scharfschützen
Major König (Ed Harris, stahlblaue Augen!) ein Gegner, der ihm alles wegschießt,
was ihm lieb und teuer sein möchte (alles, was ihn hoffen lassen mag, nach
dem Krieg und durch ihn hindurch wieder zu einem wirklichen Menschen zu werden),
bis vor dem letzten Showdown auch noch ein kleiner Junge dran glauben muss,
ein Wanderer zwischen den Welten. Eine Boy/Hero- Beziehung der eher makabren
Art: Hat der Held den Boy nicht an den Schurken verloren, weil er sich so ausschließlich
um die Frau kümmerte? Dieser Film sieht nicht umso ferner, sondern umso
kränker zurück, je näher man ihn ansieht.
Natürlich
könnte man sich auf die absurden Konstruktionen eines solchen Plots einlassen
- die Konstruktion von kollektiver Hoffnung aus einer vollkommen hoffnunglosen
Situation des Einzelnen, umgekehrt die Vorstellung, einem Heldenbild selbst
entsprechen zu müssen, das sich immer weiter von einem selbst entfernt;
das Ineinandermontieren verschiedener einander bedingender Opfer-Bilder, der
Umstand vielleicht, dass in jedem Krieg, mag er noch so technifiziert und massenhaft
organisiert sein, dieses archaische Steinzeit-Duell steckt, und der Sieger derjenige
ist, der wie in Predator am
ehesten eins mit dem Schlamm und den Trümmern wird. Wahr ist das nicht,
fragen Sie Alexander Kluge! So scheinheilig er seine Denunziationen in der Erzählung
"aus russischer Perspektive" entwickelt, so scheinheilig trägt
Enemy
at the Gates
sein Interesse an Menschen vor. In Wirklichkeit braucht Annaud nämlich
tatsächlich nichts anderes als ein paar Augen, ein Gewehr und ein Tier
(oder eben: einen Feind), um "seine" Geschichte zu erzählen.
179 von den 180 Millionen hat er dafür verpulvert, dass das niemand merkt.
Es
sind also vielleicht gar nicht die so offensichtlichen Fehler, die mythische
Verdichtung des Krieges auf ein Western-Duell, die unfreiwillig komische englische
Sprache der Protagonisten, die von bizarren deutschen SS-Brocken unterbrochen
wird, die formelhafte Verbindung von Liebesgeschichte und Katastrophe, die russischen
Folklore-Klischees, tote Soldaten aus dem Computer, etc., es ist dieser Versuch
einer anti-politischen und anti-historischen Re-Archaisierung, der Enemy
at the Gates
nach dem ökonomisch-ästhetischen auch zum moralisch-politischen Präzedenzfall
werden lässt. Ein Kino, das glaubt, es könne auf dem Weltmarkt reüssieren,
indem es blind und dumm macht.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Duell
– Enemy at the Gates
Enemy
at the Gates
BRD/Großbritannien/Irland
2001. R:
Jean-Jacques Annaud. B: Alain Godard, Jean-Jacques Annaud. P: Jean-Jacques Annaud,
John D. Schofield. K: Robert Fraisse. Sch: Noelle Boisson, Humphrey Dixon. M:
James Horner. T: Eddy Joseph, Martin Müller. A:
Wolf Kroeger, Steven Lawrence, Dominic Master. Ko: Janty Yates. Pg: Mandalay/KC
Medien/MP Film Management/DOS/Repérage/Swanford/Little Bird. V: Constantin.
L: 131 Min. FSK: 16, ffr. FBW: wertvoll. DEA: Berlinale 2001. Da: Jude Law (Vassili),
Joseph Fiennes (Danilov), Rachel Weisz (Tania), Bob Hoskins (Chruschtschow),
Ed Harris (König), Ron Perlman (Koulikov), Gabriel Marshall-Thomson (Sacha),
Eva Mattes (Mutter Filipov).
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