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Die
durch die Hölle gehen
Roulette
...
Michael
Vronsky (Robert de Niro) kehrt aus Vietnam zurück. Und als ihn seine Kumpels
nach den langen Jahren der Abwesenheit wieder mit zur Hirschjagd nehmen, der
Hirsch vor ihm steht, stolz, ohne Furcht, legt Michael auf ihn an. Doch er schießt
nicht, jetzt nicht mehr. Eine Kugel – das war immer Michaels Meinung – müsse
genügen, um einen Hirschen zu töten. Nun hat sich sein bester, eigentlich
sein einziger Freund, Nick (Christopher Walken), mit einer Kugel das Leben genommen
– in Vietnam.
Michael
Cimino („Die letzten beißen die Hunde“, 1974; „Tor zum Himmel“, 1980;
„Der Sizilianer“, 1988) inszenierte „The Deer Hunter“ ein Jahr vor Coppolas
„Apocalypse
Now“.
Und ähnlich, wenn auch in Geschichte und Inszenierung ganz verschieden,
ist „The Deer Hunter“ wohl einer der Ausnahmefälle, sowohl bezüglich
des Genres Kriegsfilm, als auch in bezug auf die Auseinandersetzung über
den Krieg der Vereinigten Staaten gegen Vietnam. Cimino selbst sieht seinen
Film, der fünf Oscars einheimste, nicht als Vietnamfilm, sondern als Film
über die USA. Und genau das ist er auch.
Wir
begegnen russisch-stämmigen Stahlarbeitern in Pennsylvania, Michael und
seinem besten Freund, der Spielernatur Nick, dem querköpfigen und unsicheren
Stanley (John Cazale), dem kurz vor der Heirat stehenden, nicht sehr gesprächigen
und sensiblen Steven (John Savage), dessen Braut von einem anderen schwanger
ist, dem brummeligen dicken Axel (Chick Aspegren) und schließlich dem
Barbesitzer John (George Dzundza). Stanley ist in die reizende Linda (Meryl
Streep) verliebt, die bei ihrem Vater (Richard Kuss) auszieht, weil er sie unter
Alkoholeinfluss regelmäßig verprügelt. Als Nick, Steven und
Michael nach Vietnam müssen, zieht sie in die Wohnung von Michael und Nick
ein. Steven heiratet Angela, wobei nicht klar ist, ob Angela Steven überhaupt
liebt oder nur einen Vater für ihr Kind sucht.
„Serving
God and country proudly“ steht auf einem großen Spruchband, als die drei
Männer in den Krieg ziehen.
Im
zweiten Teil des Films sehen wir, wie Michael, Steven und Nick zusehen müssen,
wie nordvietnamesische Soldaten unschuldige vietnamesische Bauern, vor allem
Frauen und Kinder, töten und alle drei in Gefangenschaft des Vietcong geraten.
Zusammen mit anderen traumatisierten Gefangenen zwingt der Vietcong die drei
zu einem bestialischen „Spiel“, in dem sie sich nacheinander einer Art russischem
Roulette unter einem Bild Ho Chi Minhs aussetzen müssen. Michael aber findet
eine Möglichkeit, dem selbstmörderischen Spiel des Vietcong zu entkommen.
Die
Folgen dieser, hier absichtlich nicht in allen Einzelheiten geschilderten Erlebnisse
für die drei Männer sind katastrophal. Nick ist psychisch am Ende,
kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Über einen Franzosen
(Pierre Segui) kehrt er zurück zum russischen Roulette in einer Spelunke,
in der die Überlebenden des mörderischen Spiels eine Stange Geld verdienen
können. „What
is there to be afraid of in this war?“, sagt der Franzose zu Nick. „The war
is a joke, a silly thing [...] I pay my players – cash – American. However,
should you prefer German marks or perhaps Swiss francs, that of course can be
arranged.“
Im
dritten Teil des Films schließlich sehen wir wiederum ein Spruchband:
„Welcome home Michael.“ Der allerdings – gerade nach etlichen Jahren aus Vietnam
zurückgekehrt – wartet, bis seine Freunde und Bekannte, die in seinem kleinen
Haus eine Willkommensfete veranstalten wollen, bis alle außer Linda gegangen
sind. Michael findet sich zu Hause nicht mehr zurecht. Verstört, aber nicht
so stark psychisch belastet wie Nick, zu dem er in Vietnam den Kontakt verloren
hatte, versucht er, sich wieder zurechtzufinden. Nichts ist mehr so wie sieben
Jahre zuvor. Und Steven? Der hat beide Beine verloren und befindet sich in einem
Heim. Und Nick? Michael kehrt nach Vietnam zurück, um seinen besten Freund
zu suchen ...
Auf
fast leise, ja nahezu bedächtige Art schildert Cimino die Lebensumstände
der Beteiligten vor, während und nach dem Vietnamkrieg. Er zeigt die Selbstverständlichkeit,
mit der amerikanische Stahlarbeiter und ihre Angehörigen dem Einsatz der
US-Truppen im fernen Osten begegnen. Der Patriotismus ist eingefleischt, als
wäre er Teil des Körpers wie Hände und Füße. Man redet
nicht groß oder gar laut darüber; es reicht „Serving God and Country
Proudly.“ Patriotismus ist für sie keine Frage, die ständig verbalisiert
und diskutiert werden müsste. Patriotismus ist in Fleisch und Blut übergegangen.
Erst nach Vietnam empfinden nicht nur Michael und Steven, sondern auch alle
anderen etwas anderes. Einer wurde aus ihren Reihen gerissen.
Gerade
die Szene mit dem russischen Roulette verdeutlicht als Symbolisierung des Krieges
die Regellosigkeit bezüglich der Frage, wer überlebt und wer stirbt.
Dass hier der Vietcong als unmenschlicher Vollstrecker des Krieges gezeigt wird,
hat dem Film, vor allem von sowjetischer Seite, viel Kritik eingebracht. Wie
eine weitere Szene zeigt, in der sich Nick, nicht mehr Herr seines Lebens, dem
tödlichen Spiel „freiwillig“ ausliefert, geht es jedoch nicht darum, irgendeine
Kriegspartei als „gut“ oder „böse“ darzustellen. Die Symbolik des Geschehens
liegt woanders; vor allem Michael hat dies verstanden, als er nach Rückkehr
aus Vietnam den Hirschen am Leben lässt. Die Kugel, die er nicht abfeuert,
trifft in gewisser Weise Nick, der nur noch im Tod Erlösung zu finden glaubt.
Der Hirsch geht seiner Wege, unberührt und nicht verwickelt in eine Lebensweise,
die Krieg genannt wird. Die Beziehungen der Menschen werden zerrissen, zerstört.
Linda will nach dessen Rückkehr aus Vietnam mit Michael schlafen – nicht
aus Liebe, vielleicht aus inniger Freundschaft, vor allem aber um sich gegenseitig
zu trösten. Michael lehnt zunächst ab, will weg: „Nein, ich kann nicht.
Nicht hier. Ich muss hier weg. [...] Ich spüre nur noch viel Distanz und
will weit weg.“ Dann schläft er doch mit Linda.
Heimat
ist nicht mehr das, was sie einmal war. Das Zuhause hat sich drastisch und gründlich
geändert. Es ist entrückt, ver-rückt.
„The
Deer Hunter“ beeindruckt vor allem auch, weil seine Figuren einem nahe sind.
Man spürt die Veränderung des Sich-Heimisch-Fühlens. Der fast
schon natürlich wirkende Patriotismus verliert durch die Kriegserfahrungen
seinen illusionären Schleier, offenbart statt dessen seinen tragischen,
Tod bringenden Charakter. Die Sensibilisierung der Charaktere verändert
die Sichtweise von Heimat als einem nur scheinbar glückseligen Ort. Heimat
verändert sich zu einem Ort, aus dem der Rest der Welt nicht mehr ausgeklammert
werden kann. Am Ende stehen nicht Hass, Wut und Rache, sondern Verzweiflung,
Enttäuschung und Trauer.
Der
von Michael am Leben gelassene Hirsch symbolisiert das Fünkchen Hoffnung
für eine Gemeinschaft, die sich bislang bedenkenlos eben auch dem Krieg
und seinem „Bruder“ Patriotismus verpflichtet hatte.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist – unter dem Namen „Posdole“ - zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Die
durch die Hölle gehen
(The
Deer Hunter)
USA
1978, 183 Minuten
Regie:
Michael Cimino
Drehbuch:
Michael Cimino, Deric Washburn
Musik:
Stanley Myers
Director
of Photography: Vilmos Zsigmond
Schnitt:
Peter Zinner
Produktionsdesign:
Ron Hobbs, Kim Swados
Hauptdarsteller:
Robert de Niro (Michael Vronsky), John Cazale (Stanlay), John Savage (Steven),
Christopher Walken (Nick), Meryl Streep (Linda), George Dzundza (John), Chuck
Aspegren (Axel), Shirley Stoler (Stevens Mutter), Rutanya Alda (Angela), Pierre
Segui (Julien), Mady Kaplan (Axels Mädchen), Mary Ann Haenel (Stans Mädchen),
Richard Kuss (Lindas Vater)
Internet
Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0077416
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