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Ekel
Wenn im Vorspann zu Roman Polanskis Film "Ekel" (1965) der Name des Regisseurs in einer Zeile geschrieben von
rechts nach links durch das Bild läuft, und dabei vor der Großaufnahme
eines weiblichen Augapfels vorbeizieht, dann erinnert dies sicherlich nicht
zufällig an Buñuels Rasierklingenschnitt durch den Augapfel am Anfang von "Ein andalusischer Hund". Bunuels düster-bedrohlich surreale Albtraumvision beeinflusste
zahlreiche Filmemacher. So standen die klaustrophobischen Innenräume des
Klassikers sicherlich Pate für David Lynchs Spielfilmerstling "Eraserhead", und auch Polanskis "Ekel" scheint mit seinen beengenden, angsteinflößend gefilmten
Innenräumen wie ein von Buñuel inspirierter, filmgewordener Traum.
Das Bild der Catherine Deneuve, die in einem erdrückend eng scheinenden Gang angsterfüllt zurückschreckt vor den zahllosen Händen, die sich aus den Wänden ihr entgegenschrecken, ist typisch für die Art und Weise, in der in "Ekel" Angst erzeugt wird: Der Zuschauer wird mit der Hauptfigur des Films, einer Mitarbeiterin eines Londoner Schönheitssalons, in deren psychische Verfassung gezogen, er dringt tiefer und tiefer ein in ein Geflecht aus Angstzuständen, Halluzinationen und Einsamkeit.
Das Besondere hieran, auch für die Entstehungszeit des Filmes, ist die Art und Weise, in der der Zuschauer immer mehr mit der weiblichen Hauptfigur verschmilzt, wie der Blick Catherine Deneuves zum Blick der Kamera, des Zuschauers wird. Die Geschichte von der einsamen Frau, die alleine von ihrer Schwester in der gemeinsamen Wohnung zurückgelassen wird, und in der ihr unerträglichen Einsamkeit sich immer mehr abschottet von ihrer Umgebung, so sehr gepeinigt von ihrem eigenen halluzinierenden Geist, dass sie die beiden einzigen Menschen, die versuchen, in ihre Welt - die nur aus dem Bereich der Wohnung zu bestehen scheint - einzudringen, grausam ermordet, wird von Polanski mit sicherem Gespür für die Ängste des Publikums inszeniert.
"Ekel" ist eine zutiefst bewegende Studie der Einsamkeit, der Klaustrophobie und der Isolation, aber auch eine Untersuchung der daraus entstehenden Gewalt, ein Manifest der Angst, dessen beunruhigende Atmosphäre einen noch lange nach dem Kinobesuch verfolgt. Der Titel gebende Ekel der Protagonistin vor allem Fremden, beispielsweise der Zahnbürste des Geliebten ihrer Schwester oder gar dem ungewollten Kuss ihres eigenen Verehrers scheint eine Metapher auf die Xenophobie des modernen Menschen zu sein. Diese Fremdenangst manifestiert sich im gänzlichen Rückzug in die vermeintlich schützende Wohnung, die im Verlauf des Films immer mehr selbst zur Bedrohung für die Protagonistin wird. Der Rückzug aus einer scheinbar beängstigenden Außenwelt in eine noch ungleich beängstigendere Innenwelt wird auch filmisch einfühlsam dargestellt: Während die Außenaufnahmen der Straßen Londons begleitet sind von Jazzmusik und gelegentlich auftauchenden Straßenmusikern, konzentriert sich die Geräuschkulisse im Wohnungsinneren gänzlich auf diegetischen Sound. Der Zuschauer hört, und auch hier wird, wie schon visuell, der Standpunkt der Protagonistin eingenommen, das überlaute Ticken der Uhr, das die Angstphantasien von Vergewaltigungen begleitet, die die Heldin durchleidet, er hört das monotone Auf und Ab der Tonleiter auf dem Klavier des übenden Nachbarn, er hört die Schritte auf den knarzenden Dielen, das Rauschen der Wasserleitung, das Läuten der Kirchenglocken vor dem Fenster, all die Geräusche, die eine hellhörige Wohnung normalerweise zu beleben scheinen, in diesem Falle jedoch durch den starken Kontrast zur musikalischen Außenwelt sie als einen dem Tode nahem Ort definieren.
Polanski versteht sich darauf, beengte Räume zu tödlichen und vor allem angsteinflößenden Fallen werden zu lassen: War es in seinem Erstling "Das Messer im Wasser" ein Schiff, auf dem die verfeindeten Protagonisten der Einsamkeit und sich selbst ausgeliefert wurden, So wurde es in "Ekel" und im zwei Jahre späteren "Rosemaries Baby" die großstädtische Wohnung, die trotz ihres urbanen Umfeldes zum abgeschiedenen Ort mutiert, in der der Mensch keinen Schutz finden kann, es sei denn, er verbündet sich, wie in "Rosemaries Baby", mit dem Bösen, das ihn umgibt. "Ekel" bleibt somit auch ein pessimistischer Film, ein Film, der die Stadt als Ort der Einsamkeit schildert, der den Menschen als seinen eigenen Ängsten ausgeliefert zeichnet und kaum Hoffnung lässt auf ein rettendes Ende.
Benjamin Happel
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
Zur Box mit 2 D V Ds und 1 Bluray von Pierrot Le Fou; Erscheinungsdatum: 27.4.2012
Technische Daten:
Originaltitel: Repulsion
Produktionsland + -jahr: Großbritannien, 1965
Genre: Thriller
Ton DVD: Deutsch (DD 2.0), Englisch (DD 2.0)
Ton BD: Deutsch (DD 2.0), Englisch (DD 2.0)
Untertitel: Deutsch
Bild
DVD: 1,77:1
Bild BD: 1,77:1 (1080p)
Laufzeit: ca. 100
Min. (DVD), 103 Min. (BD)
FSK:
16
Bonus:: Audiokommentar mit Roman Polanski und Catherine Deneuve
Extra-DVD: Dokumentation über EKEL "A British Horror Film", Interview mit Kameramann Stanley Long, Original Kinotrailer, Trailer
Die im April 2012 erschienene 3 Disc Special Edition von Pierrot Le Fou (Neupreis ca. 21,99 €) umfasst je eine Bluray-Disc und eine DVD mit Polanskis Film "Ekel" und zusätzlich eine Bonus DVD mit dem informativen Dokumentarfilm "A British Horror Film", einem Interview mit dem 2.Kameramann sowie Trailern des Films. Eine schöne Erweiterung gegenüber der inzwischen 8 Jahre alten ersten deutschen DVD-Ausgabe (von McOne) besteht in dem zuschaltbaren Audiokommentar von Roman Polanski und Catherine Deneuve, gleichzeitiges Manko dabei ist jedoch, dass die Audiospur dieses Kommentars nicht untertitelt werden kann, man also mit schwachen Englischkenntnissen keinen Vorteil gegenüber etwa der britischen DVD von Anchor Bay, dessen Audiokommentarspur hier offenbar übernommen wurde, erlangt. Ein weiterer Schwachpunkt der ansonsten sorgfältigen Edition liegt in der deutschen Untertitelung der Haupt-DVD: alle Umlaute sind in den Untertiteln fehlerhaft durch andere Zeichen ersetzt, was die Lesbarkeit deutlich erschwert. Die deutsche Untertitelung der Extra-DVD hingegen ist fehlerfrei.
Über die Bluray kann hier nichts gesagt werden, weil in der Testphase kein Bluray-Player zur Verfügung stand.
Andreas Thomas, 14.4.2012
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Ekel
(Repulsion)
Großbritannien
1965, 104 Minuten
Regie:
Roman Polanski
Drehbuch:
Roman Polanski, Gérard Brach
Musik:
Chico Hamilton
Director
of Photography: Gilbert Taylor
Schnitt:
Alastair McIntyre
Produktionsdesign:
Seamus Flannery
Darsteller:
Catherine Deneuve (Carole Ledoux), Ian Hendry (Michael), John Fraser (Colin),
Yvonne Furneaux (Hélène Ledoux), Patrick Wymark (Vermieter), Renee
Houston (Miss Balch), Valerie Taylor (Madame Denise), James Villiers (John),
Helen Fraser (Bridget), Hugh Futcher (Reggie)
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