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E.T.
– Der Außerirdische
Der
mit vier Oscars bedachte Spielberg-Klassiker wurde zum 20. Jubiläum nicht
nur digital bearbeitet. Ebenso wurden aus einigen Szenen, heißt es, Waffen
entfernt. Natürlich habe ich damals E.T. ebenso begeistert verschlungen
wie Millionen andere. Allein lang, lang ist’s her und ein Vergleich der alten
mit der jetzigen Fassung schier unmöglich. Interessant aber scheint mir,
wie E.T. angesichts eines solchen zeitlichen Abstands heute gesehen werden kann.
Da steht er nun, mitten im Wald, der Außerirdische,
den sein Raumschiff vergessen hat bzw. nicht mitnehmen konnte, weil NASA und
FBI die Landung registriert hatten. Im Geräteschuppen der Familie von Mary (Dee Wallace Stone) und ihren Kindern
Elliot (Henry Thomas), Michael (Robert MacNaughton) und Gertie (Drew Barrymore
als süßes kleines Mädchen mit Zöpfen) findet er Unterschlupf
und wird natürlich von Elliot entdeckt. Das Erschrecken ist beiderseitig.
E.T., wie Elliot ihn ab sofort nennt, grunzt nur leise vor sich hin, Elliot
hat es die Sprache verschlagen. Doch es dauert nicht lange, und beide verkriechen
sich im Zimmer des Jungen. E.T. bekommt zu Essen, und schnell werden aus den
Fremden Freunde.
Elliot
bleibt nach einigen Tagen nichts anderes übrig, als seine zwei Geschwister
einzuweihen. Während der große Bruder Michael ebenso sprachlos vor
E.T. steht, bekommt seine kleine Schwester einen Schreianfall. Doch Mutter Mary
darf nichts merken. Denn Elliot hat das unbestimmte Gefühl, dass es E.T.
nicht gut bekommen wird, wenn die Erwachsenen von ihm wüssten.
E.T.
schaut und hört Fernsehen, liest Kinderbücher, hört den Kindern
zu und lernt sehr rasch die menschliche Sprache so weit, dass eine Verständigung
möglich ist. Ja, und dann kommt der berühmte Satz mit dem Fingerzeig:
»Nach Hause ...«
Ich
will es dabei belassen, denn die Geschichte dieses Sciencefiction-Klassikers
dürfte den meisten bekannt sein, und wer E.T. noch nicht gesehen hat, dem
geht es auch besser, wenn er nicht mehr erfährt.
»E.T.«
war – soweit ich das sehe – der erste große Sciencefiction, in dem ein
Außerirdischer nicht als bösartige Bedrohung, gar als Gefahr für
die gesamte Menschheit eingeführt wurde, sondern als emotionales, mitfühlendes
Lebewesen, das sich recht schnell mit den Gepflogenheiten der Menschen zurechtfindet.
Die Bedrohung kommt in Spielbergs Film eher von einem Teil der (institutionalisierten)
Menschheit, dem FBI und der NASA, deren Repräsentanten in den ersten Szenen
des Films im Schatten, in der Dunkelheit, fast anonym bleiben und erst gegen
Schluss ins Helle, ins Tageslicht treten. Potentielles Opfer ist E.T., nicht
die Menschheit.
Spielberg
führt den Zuschauer (einmal mehr) in die Welt der Phantasie, der Kinder,
der Kindheit, in die Welt vor allem von drei Kindern, deren Vater sich von Mary
getrennt hat, den sie alle vermissen. Doch es wäre kurzschlüssig,
in E.T. eine Art phantasievollen Vaterersatz sehen zu wollen. Das Vertraute,
der Vater, ist zwar weit weg, in Mexiko, aber er lebt in den Herzen der Kinder
weiter; wie alle Kinder wünschen sie sich instinktiv den Elternteil wieder,
der die Familie verlassen hat. Und dann erscheint dort, im wahrsten Sinn vom
Himmel gefallen, etwas Fremdes, ein Fremder, der anders aussieht, aber eben
doch sehr menschenähnliche Züge hat, der verwelkte Blumen wieder zur
Blüte verhilft, der kleine Wunden heilen kann, aber nicht als Vater, sondern
als etwas, was so fremd und doch so nah ist.
Elliot,
Michael und Gertie reagieren zunächst ganz unterschiedlich auf E.T. Elliot
ist sehr schnell mit ihm verbunden; E.T. hat die Fähigkeit, ihn das spüren
zu lassen, was in E.T. vorgeht. Man könnte sagen, die beiden sind wie ein
Herz und eine Seele. Michael, der ältere Bruder, dagegen geht anfangs auf
Distanz, zweifelt, ob da doch noch Gefahren lauern könnten. Die kleine
Gertie hat zunächst einfach nur Angst. Doch sowohl Angst wie Zweifel verfliegen
bei den Kindern schnell, während Mary das kalte Entsetzen im Gesicht geschrieben
steht, als sie E.T. das erste Mal sieht, und ihr Schutzinstinkt gegenüber
den Kindern sofort in Aktion tritt.
Elliot
repräsentiert eine Art (kindliches) Urvertrauen in das Fremde. Bei ihm
setzen sich sofort Schutzmechanismen in Gang, geleitet von seinen Emotionen,
aber nicht gegen das Fremde, sondern gegen das Vertraute, Eigene, die Gefahr,
die E.T. von denjenigen zumindest drohen könnte, die ihn zu Forschungszwecken
missbrauchen oder gar töten könnten. Für die Kinder ist E.T.
kein Spielzeug, sondern Freund; für die Erwachsenen eher Objekt von Forschung
und Abwehr, auch wenn der NASA-Forschungsleiter (Peter Coyote) zum Schluss friedlich
mit ansieht, wie E.T. von seinen Leuten wieder abgeholt wird. Doch er kann dies
nur, weil er sich seinen Kindheitstraum bewahrt hat, wie Elliot einmal einem
Außerirdischen in Frieden zu begegnen.
Spielberg
geht (nicht nur in E.T.) zurück in die Kindheit, nicht um des Außerirdischen,
sondern um unser Verhältnis zu »unseren eigenen Fremden«, zum
Fremden in uns selbst willen. E.T. verkörpert vielleicht das, was wir in
uns selbst als fremd verdrängt, ausgeschieden haben und was sich in unserem
Verhältnis zu »anderen Kulturen« oft als Ablehnung, Aggression
oder Schlimmeres äußert.
Ich
nehme an, dass es kein Zufall ist, dass Spielberg seinen Film »A.I.
– Künstliche Intelligenz«
ähnlich wie »E.T. – Der Außerirdische« betitelt hat.
Der von Menschen geschaffene David in »A.I.« ist der Figur des Elliot
in »E.T.« sehr ähnlich, auch wenn er reine Technik ist. Das
Absurde in »A.I.« ist, dass David über Jahrhunderte hinweg
die längst ausgestorbene Menschheit überlebt und im Schlaf das Menschliche
sucht und verstehen will. David ist Technik, die Mensch werden will, Kind, das
wissen will, wo seine Mutter, auf die er programmiert ist, geblieben ist. David
kennt keine Zeit; Zeit ist nicht sein Problem, Technik nicht, sondern seine
»Programmierung auf das Menschliche«. Elliot ist in seinem Urvertrauen
ebenso »programmiert«, zwar nicht leichtsinnig sich jeder Gefahr
auszusetzen, aber die Nähe zu spüren, egal wie »etwas«
oder jemand aussieht, sich bewegt, oder wo jemand herkommt.
Verkörpert
»A.I.« eine düstere Vision des Verlusts all dessen, was Humanität
ausmacht, ist in »E.T.« 19 Jahre früher das Menschliche in
den Kindern und E.T präsent; die Erwachsenen müssen es in sich suchen.
Beide Filme stehen in einer denkbar merkwürdigen Tradition zu der alten
Geschichte von Pinocchio, der Holzpuppe, die ein Kind werden wollte, was ja
auch bedeutet, dann erwachsen zu werden.
Die
Bearbeitung des Films ist mir im nachhinein ehrlich gesagt ziemlich egal. Die
Waffen bei der Verfolgung in der Schlussszene wurden entfernt, OK. Aber am Gesamteindruck
ändert das nichts wesentliches. Es war schön, diesen Film nach so
langer Zeit wieder und vielleicht neu zu sehen. Es hat sich gelohnt.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
E.T.
– Der Außerirdische
[E.T. the Extra-Terrestrial] USA 1982, überarbeitete
Fassung 2002
Laufzeit:
114
Drehbuch:
Melissa Mathison
Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Dee
Wallace Stone, Henry Thomas, Peter Coyote, Robert MacNaughton, Drew Barrymore,
K. C. Martel, Sean Frye, C. Thomas Howell, David M. O’Dell, Richard Swingler,
Frank Toth
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