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Der
Exorzist
Vade
retro, Satanas!
Sehnsucht nach Kontrolle über das
Böse
Wenn der Dämon kommt: Der katholische
Exorzismuskodex
„Der Teufel täuscht die Menschen,
er versucht ihnen vorzugaukeln, dass sie ihr Glück finden mit Geld, Macht
oder fleischlicher Lust." Soweit Kardinal Jorge Arturo Medina Estévez,
katholischer Kardinal, der 1999 den überarbeiteten „Exorzismuskodex"
der katholischen Kirche vorstellte. Die Veränderungen gegenüber der
Urversion von 1609 sind dabei eher marginal. Der Exorzismus - also die Heilung
eines vom Teufel oder von Dämonen Besessenen durch religiöse Rituale
- ist auch heute noch Bestandteil katholischer Lehre. Die „Vatikan-Universität",
das Athenaeum Pontificium Regina Apostolorum, bietet Fortbildungen für
Nachwuchsexorzisten an: Die Geschichte des Satanismus und ihr biblischer Kontext
gehören ebenso zum Curriculum wie psychologische und rechtliche Schulung.
Die Existenz des Teufels ist laut Kardinal
Estévez eine Säule katholischen Glaubens und nicht in Frage zu stellen.
Der Teufel, dieser gefallene Erzengel und ewig verneinende Verführer, wird
nach der reinen Lehre von anderen abgefallenen Engeln, den Dämonen unterstützt, welche in unsichtbarer Form die Menschen
zu verführen suchen. Die seit jeher schauerlich abgebildeten Gestalten
der mittelalterlichen Altäre sind nicht nur künstlerische Phantasiegebilde,
sondern versuchen, den Glauben an das Böse, der zum christlichen Glauben
gehört, zu materialisieren. Die erschreckenden Dämonen der Altäre
eines Grünewald oder Lochner dienen der Veranschaulichung dieses real existierenden
Bösen und seiner grässlichsten Fratzen, durch die erst die Erhabenheit
des Schöpfers und der Heiligen und ihr Triumph am Jüngsten Tage hervortreten
kann. Kein Glaube ohne den Teufel: Die Versuchung, die Ursünde, gehört
von Anfang an zur christlichen Schöpfungsvorstellung, ebenso wie der Glaube
an die Überwindung des Bösen. Denn letztlich ist Gott natürlich
stärker als der Teufel, und wenn der Mensch stark genug ist im Glauben,
wenn er sein faustisches Wesen überwindet, dann kann er, wie der biblische
Hiob, die unermesslichsten Leiden erdulden und allen Versuchungen des Bösen
widerstehen .
Im Gegensatz zu früheren Zeiten unterscheidet
die katholische Kirche mittlerweile zwischen psychisch Kranken und „Besessenen"
- in der Regel überlässt sie Ärzten und Psychologen die Behandlung,
Fälle praktizierten Exorzismus' sind selten geworden. Allerdings besteht,
wenn vermeintlich „eindeutige Anzeichen" für eine Besessenheit vorliegen,
die Möglichkeit, einen Exorzismus durchzuführen. Als abschreckendes
Beispiel ereignete sich in Deutschland 1976 der Fall der Anneliese Michel, die
nach einem kirchlich angeordneten Exorzismus verstarb. Der Fall war Vorbild
für den eindringlichen und an Gruseleffekten wohltuend armen Film „Requiem" von Hans-Christian Schmid (2005),
sowie für die Hollywood-Adaption „Der
Exorzismus von Emily Rose"
(2006).
Auch der Film „Der Exorzist" von
William Friedkin („The
French Connection",
1971) ist als existenzielle Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse angelegt,
zwischen den beiden Priestern Karras (Max von Sydow) und Merrin und einem Dämon,
der in den Körper der kleinen Regan gefahren ist. Dabei behalten zwar nach
langem Kampf die Weihwasser versprühenden Exorzisten die Oberhand, müssen
dies aber beide am Ende mit dem Leben bezahlen. Als der „Exorzist" Ende
des Jahres 1973 in den USA in die Kinos kam, waren die Reaktionen auf den Horrorschocker
gewaltig. In erregten Diskussionen und vielen Leitartikeln wurde auch der Vorwurf
der Blasphemie erhoben.
Eigentlich nachvollziehbarer war dagegen
die Reaktion der katholischen Kirche, welche die „religiöse Tendenz"
des Films lobte. Denn was unterscheidet letztlich den Dämon aus dem „Exorzist"
und die hässliche Fratze, die Regan im Verlauf der Geschichte annimmt,
von den mittelalterlichen Darstellungen des Fegefeuers und ihren höllischen
Protagonisten?
Im Film werden die Exorzisten als letzte
Hilfe gerufen, um der seltsam veränderten, mal apathisch, mal aggressiven
zwölfjährigen Regan (Linda Blair) zu helfen. Eine zunächst diagnostizierte
nervliche Erkrankung reicht als Erklärung für die zunehmend bösartige
und gewaltsame Veränderung des Mädchens nicht aus. Ihre Mutter stimmt
verzweifelt medizinischen Untersuchungen zu, bei denen Regan in allerhand dröhnende
und schmerzhafte medizinische Foltergeräte eingespannt wird. Die Medizin
wird hier zur Qual, zur Vorhölle, die keinerlei Linderung und nicht die
erhoffte Erlösung bringen kann. Die Hilflosigkeit einer gnadenlos rationalistischen
und fortschrittsgläubigen, und damit unmenschlichen Wissenschaft angesichts
der Besessenheit von Regan wird dabei offenbar. Die Medizin, repräsentiert
durch die technischen Analysegeräte, hat die Kontrolle über den Körper
und über die Gehirnströme - aber da ist ein anderer Bereich, den sie
nicht kontrollieren kann.
Gruselige Vorwegnahme: Von Vietnam in
den Irak
Der „Exorzist" im Jahre 2007 gesehen
- fast 25 Jahre nach seinem Erscheinen - ist auf geradezu unheimliche Weise
aktuell. Denn der Film beginnt nirgendwo anders als im von George Bush einst
zum Zentrum der „Achse des Bösen" erklärten Schurkenstaat: Im
Irak, dem aktuellen militärischen Desaster der USA.
Als „Der Exorzist" 1973 in die Kinos
kam, ging gerade ein anderer Krieg zu Ende: Vietnam. 1973, das war auch der
Anfang vom Ende von Nixons Präsidentschaft durch den Watergate-Skandal.
Ende 1973 hatte Nixon in seiner Partei und der Öffentlichkeit bereits den
Großteil der Zustimmung verloren, im Oktober 1974 trat er zurück.
Die USA befanden sich im Chaos: Der Krieg im Vietnam hatte im Desaster geendet,
zum ersten Mal in der Geschichte der USA sollte ein Präsident zurücktreten
und das Land stand vor einer Umbruchzeit. Vor diesem Hintergrund war der „Exorzist"
auch eine aktuelle politische Parabel: im Kalten Krieg ging langsam der Glaube
an den militärischen Sieg über den Dämon - den Kommunismus -
verloren. All die Propaganda vom fortschrittlichen, freien und überlegenen
Westen: Verloren im Dschungelkampf, den Napalmbomben, den Millionen von toten
Zivilisten und verheizten amerikanischen GIs in Vietnam. So wie bei der Heilung
der kleinen Regan die moderne Medizin sang- und klanglos versagt, so war Ende
der 60er Jahre der Glaube an den so lange proklamierten Sieg in Vietnam zu Ende
gegangen. Aufschwungsgefühle und Selbstbewusstsein der Kennedyzeit waren
längst vergessen, im Land formierte sich Ende der 60er Jahre eine neue
Protestbewegung, Hippies, schwarze Bürgerrechtler, Frauenaktivistinnen
protestierten gegen den Krieg und proklamierten den gesellschaftlichen Aufbruch.
Ein Teil des Protestes driftete ab ins Psychedelische und Unpolitische. 1968
schockierte die Ermordung Martin Luther Kings das Land. Der „Exorzist"
steht auch stellvertretend für eine Zeit der gesellschaftlichen Verunsicherung,
einen Kontrollverlust der Politik, die Friedkin mit der Hilflosigkeit gegenüber
der Besessenheit Regan verdeutlicht. Erst der vermeintlich irrationale, religiöse
Akt des Exorzismus kann die Erlösung bringen.
30 Jahre später betrachtet bekommt
der Film eine beklemmende, geradezu prophetische Aktualität: Denn mit dem
Irakkrieg hat ein neues Trauma begonnen, ein neues Schreckgespenst die USA befallen.
Was als einfacher Exorzismus nach dem 11. September geplant war - die „Teufelsaustreibung"
Saddam Husseins durch den nach eigenem Glauben von Gott beseelten Bush - endet
mit einer neuen Katastrophe, einem Land im Bürgerkrieg, tausenden Toten,
Millionen von Flüchtlingen.
Die 2001 neu aufgelegte Version des „Exorzisten“
beginnt zwar im Gegensatz zur Originalversion mit zwei kurzen Einstellungen
in Georgetown, Washington. Aber schon kurz darauf folgt die Eröffnungssequenz
in Sinjar und Mossul, im Nordirak, inmitten einer antiken Ausgrabungsstätte.
Auf der Kommentarspur zum Film berichtet Regisseur Friedkin von den Dreharbeiten:
Als Amerikaner stellte er ein britisches Team zusammen, denn offizielle Beziehungen
zwischen den USA und dem Irak gab es 1973 nicht, das Land war eng mit der Sowjetunion
verbündet. Auch sechs Jahre vor dem Machtantritt Saddam Husseins 1979 war
der Irak bereits eine Baath-Diktatur, Saddam als Vizepräsident bereits
der tonangebende starke Mann. Hoffähig wurde er erst durch den Iran-Irak-Krieg
zwischen 1980 und 1988, als der Westen den Diktator gegen die verhasste Islamische
Republik Iran aufrüstete. Der so gefestigte Saddam ging mit Giftgas gegen
sein eigenes Volk vor. Der erhoffte Erretter geriet zunehmend außer Kontrolle
und stilisierte sich selbst zum neuen Nebukadnezar. 1991 wurde er militärisch
aus dem besetzten Kuwait vertrieben, 2003 flieht er vor Bushs Koalition der
Willigen in ein Erdloch, wo der Dämon schließlich mit alttestamentalisch
anmutendem Bart aufgegriffen und Ende 2006 von seinen Rächern auf den Galgen
gebracht wird.
Im Film findet Pater Merrin bei Ausgrabungen
im Nordirak nahe Mossul die steinerne Fratze eines Dämons, von der eine
negative Energie ausgeht und die im Film das Böse, das in Regan gefahren
ist, repräsentiert. Mossul im Jahre 2007, das ist einer der gefährlichsten
Orte im Irak. Hier herrschen heute radikale sunnitische Islamisten und ermorden
rücksichtslos all jene, die sie zu Ungläubigen erklären. Genau
dort, wo im Film bei Ausgrabungen Pater Merrin den steinernen Dämon findet,
scheint sich die Büchse der Pandora geöffnet zu haben, um 30 Jahre
später fatale Wirkung zu zeigen: Der vermeintliche Exorzismus des Saddam
Hussein bringt nicht Kontrolle, sondern Anarchie und Bürgerkrieg ins Land.
Aber George Bush hatte selbst nicht an einer religiös aufgeladenen Propaganda
gespart, die den Krieg im Irak zu einem gerechten Krieg, einer Glaubenssache
machen sollte. Dieser Kampf „Gut gegen Böse" hat in der Realität
kein gutes Ende genommen. Was im „Exorzist" als Metaphorik auf den Vietnamkrieg
anlegt ist, wirkt mit Blick auf Irak im Jahre 2007 betrachtet bei weitem gruseliger
als die mit grünem Glibber um sich spuckende, vom Teufel besessene Regan.
Der Erfolg des „Exorzist" und die
Sehnsucht nach dem Irrationalen
Im Jahre 1973 wurde der „Exorzist"
zur Kinosensation. Was heute Gefahr läuft, wie ein eher konventioneller
Horrorfilm zu wirken, war damals ein Ereignis und ein spektakulärer Angriff
auf das filmische, aber auch gesellschaftliche Establishment. Umso mehr, als
dieser Film kein Independent-Projekt war, sondern aus der Mitte der Major-Studios
das Filmbusiness in Frage stellte. Nach dem Kinostart am 26. Dezember 1973 wurde
der „Exorzist" zum damals zweiterfolgreichsten Film nach „Der Pate"
und für zehn Oscars nominiert, obwohl reihenweise Zuschauer vor Ekel und
Empörung die Säle verließen. Viele Zuschauer gingen nicht bei
den gruseligsten Horrorszenen - wenn der Teufel mit tiefer Stimme aus Regan
herausgrunzt, oder sich ihr Kopf um 360 Grad um die eigene Achse dreht - sondern
in den Szenen, in denen das kleine Mädchen den strapaziösen medizinischen
Untersuchungen unterzogen wird und ihr Kopf in monströse Apparaturen eingespannt
ist. Diese Szenen, ebenso wie jene in einem Hospiz, in dem abgeschobene demente
und geisteskranke Alte vor sich hin vegetieren, gehörten zu den verstörendsten
und „anstößigsten" Szenen des Films.
Gott ist tot, proklamierte Nietzsche,
und der Tod des Teufels wurde damit impliziert. In der Moderne ist kein Platz
mehr für Geister und Dämonen, und was in der frühen Neuzeit noch
die Domäne der Kirchen, der Priester war, ist nun Sache der Psychologen,
der Psychoanalytiker, der Neurologen. Alles ist vermeintlich naturwissenschaftlich
erklärbar und kontrollierbar, und die Rituale des Exorzismus sind ganz
offensichtlich nur noch eine überkommene Tradition aus voraufklärerischen
Zeiten. Aber die rationale Wissenschaft versagt im Film angesichts der unerklärlichen
Besessenheit der kleinen Regan, es ist der völlige Kontrollverlust des
Diesseits - und endlich empfehlen sogar die Ärzte der fassungslosen Mutter
einen Exorzismus.
Wie mehreren Horrorfilmen der 70er Jahre
liegt auch dem „Exorzist" eine Fortschritts- und zivilisationskritische
Botschaft zugrunde. Zu einem gesellschaftlich kritischen Zeitpunkt in den USA
war die Empfänglichkeit für das Übersinnliche einer vermeintlich
entmystifizierten Gesellschaft groß. Das allgemeine Revival der Religion,
das Aufstreben der evangelikalen Kirchen und esoterischer Glaubenssysteme in
den USA, die gesellschaftliche Sehnsucht nach Spiritualität spiegelt sich
nicht zuletzt im bis heute anhaltenden Erfolg des „Exorzisten" wider.
René Wildangel
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.kinokarate.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Der
Exorzist
THE EXORCIST
USA - 1973 - 132 min. - Verleih: Warner-Columbia, Warner
Home (Video) - Erstaufführung: 20.9.1974 - Produktionsfirma: Warner Bros./Hoya
- Produktion: William Peter Blatty
Regie: William Friedkin
Buch: William Peter Blatty
Vorlage: nach seinem Roman
Kamera: Owen Roizman, Billy Williams
Musik: Krzysztof Penderecki, Hans Werner Henze, Anton Webern, Jack
Nitzsche, Mike Oldfield
Schnitt: Norman Gay, Jordan Leondopoulos, Evan Lottman, Bud Smith
Darsteller:
Ellen Burstyn (Chris MacNeill)
Max von Sydow (Pater Merrin)
Lee J. Cobb (Lieutenant Kinderman)
Linda Blair (Regan MacNeill)
Kitty Winn (Sharon)
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