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Fargo
Der nördliche Mittelwesten der USA wirkt, bei Nacht vom Flugzeug
aus betrachtet, wie ein gigantischer, marmorgefliester Fußboden. So weit
das Auge reicht nur völlig flache, rechtwinklig abgegrenzte Felder, mit
Schnee bestäubt und vom landwirtschaftlichen Anbau mit Mustern durchzogen.
Nur ab und zu erblickt man, verloren in diesen Weiten, kleine Ansammlungen von
Lichtern. Dies sind die spärlich gesäten Städte, die Namen tragen
wie Brainerd, Wahpeton, und eben Fargo. Dies ist keine Gegend, in die sich viele
Touristen verirren, und auch die Amerikaner in den übrigen Regionen des
Landes interessiert an ihr nur, daß dort ein Großteil ihrer Nahrung
produziert wird. Ansonsten kann dieser Landesteil kaum mit Attraktionen aufwarten,
und seine Bewohner gelten als etwas rückständig, langsam und verschroben.
Es ist keine Landschaft, die eine große Zahl von Filmemachern
anzieht. Regisseure lassen ihre Geschichten lieber in den Metropolen der Küsten
spielen, oder in den mythischen Südstaaten. Und wer hier aufwächst
und Kino machen möchte, der bemüht sich, möglichst schnell nach
Kalifornien zu entkommen. So auch die Coen-Brüder, Joel und Ethan, die
seit längerem zu den erfolgreichsten Filmemachern aus den Nischen Hollywoods
abseits des Mainstream gehören. Spätestens mit BARTON FINK wurden sie zu Lieblingen der Kritiker, und der unerwartete Erfolg
dieses Films hat dazu geführt, daß ausgerechnet der Spezialist für
große Action-Projekte, Joel Silver, ihnen einen erstaunlich hohen Etat
und kreative carte blanche für ihren nächsten Streifen zur Verfügung
stellte. Der sträflich unterschätzte THE HUDSUCKER PROXY fand dann allerdings beim großen Publikum doch nicht den vom
Produzenten erträumten Anklang, und so sind die Coen-Brüder mit ihrem
neuen Film wieder zu bescheideneren Dimensionen zurückgekehrt. "Back
to the roots" lautet die Devise, und dies nicht nur insofern, als FARGO
in vielem an das Erstlingswerk der Coens, BLOOD SIMPLE erinnert, sondern auch da sie sich in FARGO ihrer ehemaligen Heimat
widmen, eben dem nördlichen Mittelwesten, der Gegend um Minneapolis.
Jerry Lundegaard (William Macy, der mit seiner großartigen Leistung
beweist, daß er mehr verdient hat, als stets nur die ihm üblicherweise
zugedachten Nebenrollen zu spielen) ist ein Gebrauchtwagenhändler, der
nur zu gerne an das Geld seines Schwiegervaters Wade Gustafson (Harve Presnell,
den Fans alter Musicals ein Begriff) herankäme. Dazu hat er einen geschickten
Plan ausgetüftelt: er läßt seine Frau (Kristin Rudrud) entführen,
läßt die Entführer ihn als alleinigen Geldboten bestimmen, steckt
den Großteil der Beute selbst ein und zahlt mit dem Rest die von ihm angeheuerten
Kidnapper aus. In der Theorie klingt das wunderbar einfach, doch wie so oft
läuft alles nicht so wie geplant. Es fängt damit an, daß die
beiden von Jerry mit der Entführung beauftragten Kriminellen die Sache
nicht so fest im Griff haben wie erhofft. (Steve Buscemi, in den meisten Coen-Filmen
mit von der Partie, ist als einziger "Auswärtiger" von der Gegend
und den Leuten extrem genervt, und er wird nicht müde, dies seinem Partner
kundzutun; doch Gaear Grimsrud, dargestellt von Peter Stormare, ist von der
extrem schweigsamen Sorte und Konversationen nicht zugeneigt, was er am Ende
auf recht drastischem Weg beweist.) Schon die Entführung selbst läuft
beinahe schief, und auf dem Weg in ihr Versteck sehen sich die beiden Kidnapper
dann genötigt, einen Polizisten und die Insassen eines vorbeikommenden
Autos zu erschießen. Und als ob dies noch nicht genug wäre, weigert
sich Jerrys Schwiegervater auch noch strikt, auf die Konditionen zur Geldübergabe
einzugehen. Außerdem bekommt es Jerry von dem Zeitpunkt der unbeabsichtigten
Morde an mit einer formidablen Opponentin zu tun: auf den Fall wird die Kleinstadt-Polizistin
Marge Gunderson angesetzt (Frances McDormand, die zu sehen stets eine Freude
ist, die sich in dieser Rolle jedoch noch selbst übertrifft). Marge ist
im höchsten Grade schwanger und furchtbar nett, doch ihre detektivischen
Fähigkeiten sind nicht zu unterschätzen. In einem verzweifelten Wettlauf
mit der Zeit versucht Jerry Lundegaard, seinen Plan zu retten, doch die Situation
eskaliert zunehmends, und bis zu ihrem Ende wird die Geschichte auf grausige
Weise noch einige Opfer fordern.
FARGO ist nur schwer in eine Kategorie einzuordnen (abgesehen davon,
daß es ganz deutlich ein Coen Bros. Film ist), aber am ehesten trifft
wohl noch die Bezeichnung "Dialekt-Krimi-Komödie". Einer der
heimlichen Hauptdarsteller des Films, neben den endlosen, schneebedeckten Weiten
der Landschaft, ist der Dialekt des nördlichen Mittelwestens. Die Sprache
war schon immer ein zentraler Weg zu den Charakteren der Coen-Brüder, doch
diesmal haben sie besonders viel Sorgfalt darauf verwandt, die eigenwilligen
Ausdrücke, den Klang und den Rhythmus des Dialekts ihrer ehemaligen Heimat
in hyperrealistischer Stilisierung nachzubilden. Die Sprache wird damit zur
wichtigsten Quelle der Komik des Films; dies bedeutet aber auch, daß es
wenig Sinn hat, sich den Film in einer synchronisierten Fassung anzusehen -
ich rate dringend zum Original.
Der Film basiert angeblich auf einer wahren Begebenheit, doch bei
den Coens heißt dies glücklicherweise nicht, daß deshalb mit
"Reality-TV" zu rechnen wäre. FARGO ist äußerst stilisiert
und läßt die Handschrift der Macher deutlich erkennen. Es herrscht
eine surreale Atmosphäre vor; alles wirkt um ein kleines, aber entscheidendes
Quentchen übertrieben. Die Figuren werden nie zu Parodien ihrer selbst,
aber sie agieren atemberaubend nah an der Grenze; die Dialoge wirken oft wie
unter Drogen angefertigte Transkripte des belanglosen Geredes echter Konversationen;
die Gewaltdarstellung nimmt groteske Züge an; und immer wieder gibt es
Einstellungen, in denen das weiße Nichts der Landschaft die Menschen zu
kleinen, schwarzen Punkten auf der Leinwand macht, deren geschäftige Bewegung
seltsam sinnlos erscheinen. Doch der Film erreicht gerade durch seine Absurdität,
durch die aus sinnleeren Dialekt-Formeln bestehenden Dialoge, durch die unvermittelte
Gegenüberstellung von schon fast gruselig beschaulicher Kleinstadt-Atmosphäre
und bizarren Gewaltausbrüchen, daß er auf seine eigene, schiefe Weise
fast schon wieder wirkt wie das wirkliche Leben.
FARGO hat ein zwiespältiges Verhältnis zu seinen Charakteren.
Einerseits erzielt er etliche Lacher auf ihre Kosten; nicht nur ihre eigenwillige
Art zu reden, auch ihr seltsames Verhalten und ihr naiver Geist werden oft der
Lächerlichkeit preisgegeben. Aber der Film hat auch einen tiefsitzenden
Respekt vor diesen Menschen, die sich, verloren in der leeren, weißen
Landschaft, so beharrlich durchs Leben schlagen. Die Coens führen ihre
ehemalige Heimat und deren Bewohner vor wie eine Freakshow, deren Monstrositäten
allesamt geliebte Verwandte sind. Und vor allem ist da Marge Gunderson, der
schwangerste Sheriff der Filmgeschichte, bei der es dem Zuschauer unmöglich
ist, sie nicht nach ein paar Minuten ins Herz zu schließen. Es ist ihre
bodenständige Liebe zu ihrem Mann (dessen Traum es ist, eines seiner Gemälde
von Enten auf einer Briefmarke verewigt zu sehen), die immer wieder als nostalgisches
Gegenbild zu der absurden Brutalität der umgebenden Welt beschworen wird,
und in diesem Aspekt offenbaren die sonst so zynischen Coen-Brüder, aller
ironischen Brechung zum Trotz, eine erstaunliche, aber willkommene und keineswegs
vordergründige Sentimentalität.
In Amerika, wo der Film bereits Anfang des Jahres zu sehen war, hat
FARGO eine Unmenge an enthusiastischen Kritiken eingeheimst, und das Verblüffende
daran ist lediglich, daß es einem so ungewöhnlichen und eigenwilligen
Werk gelungen ist, auch bei der Mainstream-Presse die verdiente Anerkennung
zu gewinnen. FARGO mag für den Zuschauer ein wahres Wechselbad der Gefühle
sein; man ist stets hin- und hergerissen zwischen Lachen, Entsetzen, Mitgefühl
und Schadenfreude. Vor allem ist der Film aber ein großartiges Vergnügen,
wie es im Kino in letzter Zeit nur selten zu finden ist - mit FARGO ist den
Coens einer der schönsten Filme dieses (und manch anderen) Jahres gelungen.
Da kann man nur, mit den Worten Marge Gundersons, sagen: Thanks a bunch!
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: artechock
Fargo
USA 1996 - 98 Minuten -
Regie: Joel Coen
Kamera: Roger Deakins
Drehbuch: Ethan Coen
Besetzung: William Macy, Steve Buscemi, Frances McDormand, Harve Presnell
u.a.
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