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The
Five Obstructions
"The
Five Obstructions" stellt Unklarheiten her. Darüber, ob das, was wir
sehen, ein Spiel ist oder Ernst. Oder, anders gesagt: Klar ist, dass es sich
um ein ernstes Spiel und spielerischen Ernst handelt, ohne Scheidelinie dazwischen.
Wenn aber - Definitionen, die ich jetzt nicht ganz ad hoc setze - das Spiel
sich dadurch auszeichnet, dass es dabei gegebene Regeln einzuhalten gilt und
der Ernst durch die Unmöglichkeit, sich an feste Regeln zu halten, durch
die Notwendigkeit, über mögliche Regeln nachzudenken, dann ist das
Spiel, das die Regisseure Lars von Trier und Jorgen Leth hier miteinander treiben,
eine sehr ernste Sache, weil das Geben von Regeln ins Spiel kommt, zum Spiel
gehört, Teil des Spiels wird, das so seinen Charakter potenziell immerzu
verändert.
Jorgen
Leth hat im Jahr 1967 einen Film gedreht, "Der
perfekte Mensch".
Der Film kennt keinen Ort, nur einen weißen Raum, er spielt Szenen durch,
ein Mann, eine Frau, Körperteile, Tätigkeiten (sich rasieren, essen,
springen, fallen, Strümpfe ausziehen); der perfekte Mensch zerfällt
in Körperteile und Tätigkeiten und einen Kommentar, der Fragen stellt,
der beschreibt, was zu sehen ist: so fällt der perfekte Mensch; jetzt hören
wir Musik; jetzt hören wir keine Musik mehr. Jorgen Leths "Der perfekte
Mensch" ist Teil von "The Five Obstructions", nicht einfach,
sondern vielfach. Der alte Film, 12 Minuten lang, ist über den neuen Film
verteilt. Zerstückelt, zerschnitten, aber - so ist anzunehmen - vollständig,
in zerstückelter Gänze.
Der
neue Film rückt nur nach und nach mit der Sprache heraus, konfrontiert
uns und sich mit dem alten Film über den Umgang mit ihm, der in den Regeln
liegt, die Lars von Trier gibt, den Regeln, denen er Jorgen Leth unterwirft,
damit neue Filme entstehen als Remakes des alten. Der alte Film ist also mehrfach
präsent: als zerstückelter Körper; der perfekte Mensch, der perfekte
Film: zerstückelt. Und als Ausgangs- und Bezugspunkt, aus dessen Rippe
Jorgen Leth (sich) unter Anleitung von, in Auseinandersetzung mit, im Widerstand
gegen Lars von Trier weitere Filme schneidet, die willkürlichen Änderungskategorien
sich unterwerfen und zugleich gegen sie aufbegehren.
Grundlage
des Spiels ist, auf den ersten Blick, eine Umkehrung. Jorgen Leth war der Lehrer
Lars von Triers auf der Filmhochschule. Er bewundert seinen Lehrer und dessen
Film, den er, wie er sagt, zig Mal gesehen hat. Und doch plant er einen Vatermord,
mit offenem Visier. Er will den Vater töten, genauer gesagt: Er will, dass
der Vater sich unter Anleitung des Sohnes selbst tötet. Im Spiel, im Ernst.
Die Obstruktionen sind Anweisung zur Zerstörung dessen, was - für
Lars von Trier - die Filme Jorgen Leths ausmacht: ihre Virtuosität, ihre
Perfektion. Jorgen Leths Filme entziehen sich, verweigern sich dem Leben und,
dies wiederum Lars von Triers Schlussfolgerung, auch der Filmemacher selbst
schützt sich durch diese Virtuosität. Lars von Trier will seinen Lehrer
zwingen zu scheitern. Scheitern als Chance, und zwar als einzige Chance für
den Perfektionisten Jorgen Leth, zum Leben zu finden. Ästhetisch wie biografisch,
mehrfach spricht Lars von Trier von der Depression Leths, der als Botschafter
in Haiti lebt. Die Obstruktionen sind also eine Therapie. Der Schutzpanzer eines
Perfektionisten ist zu durchdringen, wunde Punkte und Schwachstellen des virtuosen
Filmemachers sind ausfindig zu machen. Vatermord, als Therapie. Der Therapeut
inszeniert sich als Souverän, der den Patienten brechen will, zu dessen
Nutzen. Die Obstruktionen sind Strategien in diesem Spiel.
Jorgen
Leth spielt mit. Er unterwirft sich diesen Regeln. Er akzeptiert die Therapie.
Darin aber liegt seine Souveränität. Die Regeln des Spiels sind, das
zeigt sich schnell, weit weniger klar als zunächst schien. Die Souveränität
des Gebens der Regel sieht sich mit der Souveränität der Akzeptanz
der Regeln konfrontiert. Es kommt dazu: Jorgen Leth weigert sich zu scheitern.
Die Obstruktionen erweisen sich als Gelegenheiten, als Anstoß für
eigene Produktivität. Der Angegriffene nutzt den Angriff des Gegners für
einen souveränen Wurf und verwandelt vor den Augen des Souveräns die
Situation. Der Schüler, der Lehrer war, der Vater, dem vom Sohn die Waffe
zum Suizid immer wieder neu in die Hand gedrückt wird, entzieht sich dem
Tod nicht durch Widerstand, sondern gerade durch Übererfüllung der
Regeln.
Überaus
elegant gelingt die erste Übung, ein Dogma seltsamer Art: Kein Set und
nur zwölf Bilder pro Einstellung. Die Perfektion wird zerstört, so
die Strategie des Lars von Trier, durch den Schnitt als Disfiguration. Wo die
"Dogma"-Regeln - deren Charakter hier auch verhandelt wird, das versteht
sich von selbst, das ganze ist immer auch ein "Dogma"-Nachspiel -
(vorgeblich) Natürlichkeit herstellen wollten im Abbau der "falschen"
Mittel des Films, da soll nun, in der ersten Obstruktion, die Natürlichkeit
der Film-Bewegung zerstört werden durch die ständige Unterbrechung,
den Bruch, den Schnitt, die Gewalt gegen den Willen des Auges zur Bewegungsillusion.
Der Zug scheint genial, denn er setzt an am tiefsten Fundament des Films, dieser
Illusion und der Lust daran. Dem Avantgardefilmer Leth aber, das wird schnell
klar, spielt von Trier damit nur in die Hände. Der zaubert aus der Reduktion
eine Schnittpreziose, deren Virtuosität sich gerade am Umgang mit der Disfiguration
erweist. Aus der vermeintlichen Ungestalt macht der Regisseur eine neue bella
figura, deren Voraussetzung gerade die Regel zur Disfiguration der natürlichen
Bewegungsfigur ist. Der Virtuose zaubert gerade aus dem Schnitt, der Beschneidung,
eine neue Fülle.
Der
zweite Versuch setzt nach dem Scheitern des ersten anders an. Nicht an der Form,
sondern an der Moral. Hier liegt vielleicht der entscheidende Punkt dieses ernsten
Spiels. Lars von Trier will die Form zur Moral zwingen, Jorgen Leth will die
Form und weigert sich, sie moralisch zu lesen. Für Lars von Trier, dessen
Karriere als Regisseur mit formal virtuosen Manierismen begonnen hat, liegt
in der Verweigerung der virtuosen Form seit seiner "Dogma"-Wende die
Wahrheit. Er ist ein zum Jansenisten gewendeter Katholik, oder - da er im Grunde
zu durchtrieben dafür ist - er wäre es gerne. "The Five Obstructions"
ist ein Missionierungsunternehmen, am Lehrer, der ihn die Lüge gelehrt
hat, die Lüge, die Lars von Trier virtuos auszutreiben in immer neuen Anläufen
unternimmt. Wie man aber - wirklich, nicht nur zum Schein - hinter die Virtuosität
zurückfallen kann, wie eine Rückkehr zur wirklichen Einfachheit gelingen
soll, das ist Lars von Triers Frage, die er an Jorgen Leth so vergeblich wie
an seinen eigenen Projekten exekutiert. Denn auch das Scheitern des Lars von
Trier ist eine Scheitern am Scheitern: Es gelingt ihm nicht zu scheitern, alle
Reduktionen laufen auf die Virtuosität der Reduktion hinaus.
Die
Regel zur Reduktion der Form auf die Moral: Suche das Elend auf, drehe deinen
Film inmitten einer Situation, die zur Aufgabe der Form zwingt - und schließe
diese Umgebung aus, zeige sie nicht. Jorgen Leth fährt in den Rotlichtbezirk
von Bombay, dreht seinen Film mitten auf der Straße, inmitten des Elends.
Er zieht sich den Frack an, er speist feudal. Die entscheidende Regel aber "interpretiert"
er, wie er sagt. Die Wand, die ihn von der Umgebung trennt, ist halb transparent.
Sie zieht eine Grenze, macht aber den Akt der Grenzsetzung deutlich, indem sie
die Menschen durch die Wand, die eine Scheibe ist, mit ins Bild rückt.
Lars von Trier tobt. Nicht weil die Regel gebrochen ist (obwohl er genau das
behauptet), sondern weil Jorgen Leth noch mit der Perversion spielt. Er macht
aus der Moral eine Form, er pervertiert den Willen des Therapeuten zur Ethik.
Er nimmt die Regel und stellt sie auf den Kopf. Er macht, kurz gesagt, die Idee
Lars von Triers, dass der Künstler auf seine Umwelt reagieren muss, eine
exemplarisch moralische Idee, die hier exemplarisch vorgeführt werden soll,
lächerlich durch die Form, die er ihr gibt. Indem das Elend spielerisch
zur Form wird, durch Einfügung ausgegrenzt, als ausgegrenztes vorgeführt,
negiert der Film den Ernst, auf den Lars von Trier hinaus zu wollen behauptet
- während er sich auf perverse Spiele, wie dieser Film eines ist, umso
lustvoller immer erneut einzulassen.
Die
dritte Obstruktion ist ein erneuter genialer Zug: Lars von Trier streckt, zum
Schein, die Waffen und verzichtet auf das Geben von Regeln. Jorgen Leth, der
alle Obstruktionen virtuos zu wenden wusste, soll die totale Freiheit als Widerstand
erleben. Tatsächlich, könnte man sagen, gelingt es dem Schüler
als Therapeuten hier am ehesten, den Lehrer vorzuführen als zwanghaften
Virtuosen. Leth dreht einen formal brillanten Thriller mit Split Screens und
der Andeutung eines Plots, der sich doch entzieht. Dieses Scheitern auf nicht
nur hohem, sondern geradezu erst auf dem Meta-Niveau genügt Lars von Trier
nicht. Statt die Leere der Virtuosität und damit gerade wieder nur die
Notwendigkeit der Therapie vorzuführen, will der Therapeut, dass sein Lehrer
und Patient Mist baut. Einen schlechten Film dreht, als Ausweis der Authentizität,
des Menschlichen. Nicht die Perfektion, sondern das Menschliche, so das Mantra
Lars von Triers, so das Mantra einer von Beginn an zu simplen Entgegensetzung.
Nächste
Obstruktion: Ein Animationsfilm. Ich hasse das, sagt Jorgen Leth und fährt
nach Austin, Texas, wo Bob Sabiston lebt, der virtuose Zauberer der Rotoskopie,
des Zeichentricks als Verfremdung von Realfilmaterial (vgl. Richard Linklaters
"Waking Life"). Das Ergebnis, wiederum: eine formal brillante Variation,
nun nicht mehr nur auf das Original, sondern auch schon auf die Remakes. Steigerung
der Remake-Form zur Meta-Form, die Künstlichkeit des Zeichen-Tricks lädt
Jorgen Leth ein zum Um-Schnitt und zur Re-Komposition, spielerisch triumphiert
der Virtuose im unvertrauten Medium, eignet es sich an und erkennt sofort sein
Potenzial zur Refigurierung der zuvor den Obstruktionen abgetrotzten Form.
Als
Coda führt Lars von Trier die Therapie ad absurdum. Er dreht einen letzten
Film, selbst, nennt aber Jorgen Leth als Regisseur. Er schreibt einen Text,
einen Brief Jorgen Leths an Lars von Trier, den Leth selbst vorlesen muss, er
legt ihm Worte in den Mund; dazu sieht man Material, das bei den Vorbereitungen
zu den Obstruktions-Remakes entstanden ist. Was aber wäre dieser letzte
Film, diese letzte Obstruktion anderes als die Perversion des Spieles selbst?
Der zuvor gewahrte Schein der Trennung von Dokument und Fiktion löst sich
in der Verkehrung der Rollen auf und fällt zurück auf den ganzen Film.
Wie Ernst war es Lars von Trier mit der Therapie, mit den Regeln, mit dem Spiel?
War das Scheitern in der Anlage des Spiels schon programmiert, gar mit Absicht?
Hatte Lars von Trier nicht von Beginn an nichts weiter als die perverse Verstrickung
in eine Lust des Scheiterns an der Virtuosität des anderen als Genuss dieser
Virtuosität im Sinn? Und wäre das nicht genau die Fortsetzung seines
eigenen Projekts, in dem Jorgen Leth nicht mehr als ein Mittel zum Zweck wäre?
Ist nicht Lars von Trier derjenige, dem das Scheitern unmöglich ist, ein
Virtuose der Obstruktion, der über jede Regel und jeden Widerstand immer
nur triumphieren kann? Der an der Lust leidet, die ihm das bereitet und der
an diesem Leid Lust hat? In fünf Obstruktionen führt sich Lars von
Trier an Jorgen Leth, der dieses Spiel gerne mitspielt, als großer Perverser
vor. Die Unklarheiten, die auf diesem Wege produziert werden, können das
nicht verschleiern, weil in ihrer lustvollen Entfaltung die Perversion dieser
Lust des Lars von Trier nur immer neue, virtuose Gestalt gewinnt. Lars von Trier
baut sich mit "The Five Obstructions" ein Spiegelkabinett aus Ambivalenzen,
in dem ihm ein ums andere Mal nichts anderes als die eigene Fratze entgegenblickt.
Ein Spiel, in dem der Teufel sein Treiben mit teuflischer Lust am eigenen Leiden
betrachtet.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
The
Five Obstructions
Dänemark
2003 - Originaltitel: De Fem Benspænd - Regie: Jørgen Leth, Lars
von Trier - Darsteller: Alexandra Vandernoot, Patrick Bauchau, Jørgen
Leth, Lars von Trier, Claus Nissen, Daniel Hernández Rodríguez
- Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90 min. – Dt. Start:
8.7.2004
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