zur startseite
zum archiv
Für eine Handvoll Dollar
Ein Fremder kommt in eine von zwei Banden beherrschte Stadt und spielt
sie gegeneinander aus - der Durchbruch des Italowestern.
Inhalt
Ein Fremder (Clint Eastwood) reitet ins heruntergekommene mexikanische
Grenzstädtchen San Miguel und wird recht unsanft begrüßt: ein Toter mit
einem "Adios Amigo"-Plakat auf dem Rücken kommt ihm entgegen und die
Urheber dieses Scherzes lassen auch gleich mal sein Maultier mit
Pistolenschüssen tanzen. Schnell ist die Lage sondiert: zwei
rivalisierende Banden beherrschen den Ort und können sich alles erlauben.
Waffen respektive Spirituosen sind die Einnahmequellen der amerikanischen
Baxters beziehungsweise der mexikanischen Roccos, Mord und Totschlag ihr
Beruf. Der Fremde, der nur seinem Colt und barer Münze vertraut, ahnt
eine lukrative Zukunft zu haben. Zuerst einmal lenkt er die
Aufmerksamkeit auf sich, indem er die Störenfriede vom Anfang dem
örtlichen Sarghändler überantwortet, dann geht es ans Paktieren. Ramon (Gian Maria Volonté), der Chef der
Roccos, hat einen mexikanischen Goldtransport überfallen und will, daß
Ruhe im Ort einkehrt bis Gras über die Sache gewachsen ist. Der Fremde
stellt sich das anders vor - abwechselnd bietet er den beiden Banden
Dienste an, die nur dazu dienen, sie wieder gegeneinander aufzuhetzen
(und den eigenen Säckel zu füllen). Nebenher befreit er auch noch die von
Ramon beim Kartenspiel gewonnen Marisol (Marianne Koch), wird aber
unglücklicherweise von Ramons Schergen erwischt, die ihn halbtot prügeln.
Durch einem Trick gelingt ihm die Flucht, während die Roccos gerade die
Baxters zur Gänze ausrotten. Nach einer Erholungspause kehrt er zurück
und stellt sich den verbliebenen Überlebenden der mexikanischen Sippe zum
letzten Duell.
Kritik
So ändert man das Kino. Eigentlich wollte der italienische Regisseur und
Westernfan Sergio Leone nur eine schlaue Idee umsetzen. Nachdem Hollywood
Akira Kurosawas Die sieben Samurai mit großem Erfolg in Die Glorreichen 7
umgewandelt hatte, plante er etwas ähnliches mit seinem geringen Budget
in Spanien nachzuvollziehen. Aus Kurosawas Yojimbo - Der Leibwächter, in
dem Toshiro Mifune als entehrter, zynischer Samurai zwei rivalisierende
Banden gegeneinander ausspielt (und der wiederum nach Dashiell Hammets
großartigem Detektivroman Rote Ernte modelliert ist), ließe sich doch ein
Western machen. Flugs engagierte man den amerikanischen
Fernsehseriendarsteller Clint Eastwood und ein paar italienische und
deutsche (sowie österreichische) Schauspieler und kurbelte im Sommer 64
eine sarkastische Genre-Variante herunter. Was folgte, ist Geschichte:
Für eine Handvoll Dollar wurde zu einem gigantischen "Schläfer" der
Filmgeschichte - er spielte ein Vielfaches seiner Entstehungskosten ein.
Der Italowestern als Marktsegment war geboren - und der erste Schritt
Leones zu seiner persönlichen Vorstellung von Kino getan.
Dabei ist der erste Film der Dollar-Trilogie, wenn man ihn mit seinen
Nachfolgern vergleicht, noch bei weitem nicht das ausufernde, barocke
Kino, für das man Leone so sehr schätzt. Tatsächlich verläuft der Film
wie ein vorzüglicher, vor allem auf Bewegung ausgelegter B-Western - nur
mit der Moral nimmt man es nicht mehr so genau. Was sich in den
neurotischen James-Stewart-Anthony-Mann-Kollaborationen sowie den
melodramatisch überhöhten Genreeintragungen Nicholas Rays schon
angekündigt hatte (nämlich die Loslösung von den moralischen Grundwerten
des "Edelwesterns") wurde von Leone auf die Spitze getrieben. Sein "Held"
ist genuin unheroisch (der Subplot um die Befreiung Marianne Kochs wirkt
wie ein Mißklang, wenn Eastwood seine Gründe dafür kundtut); wie alle
hier will er nur zu seinem Geld kommen. Zufällig ist er aber der beste
Schütze - und deswegen ist er der Held. Die Besetzung des (damals noch
unbekannten) Eastwood erweist sich als Geniestreich: seine wortkarge, von
understatement-Ironie getragene Minimaldarstellung ist der perfekte
Mittelpunkt in Leones Universum. Der Western ist hier zu einem absurden
Ritual verkommen: die billig-schäbige Kleinstadt, die außer
Bandenmitgliedern nur vom Totengräber bevölkert wird, ist nur noch
Chiffre für den Austragungsort, die Handlungshaken dazu da, um aufs
nächste Duell zuzusteuern, Brutalität und Korruption (die bisher fast
ausschließlich den Schurken vorbehalten war) das Um und Auf der
Existenz.
Die Zeit war reif für Leones Film: indem er den kapitalistischen
Hintergrund des Westerns völlig verinnerlichte, beraubte er ihn endgültig
seiner ethischen Vorwände - das ist der wahre Schock (der sich nur mehr
aus der historischen Perspektive nachvollziehen läßt, zu sehr hat Leones
Neuarrangement der Ideale seither Eingang in die Populärkultur gefunden)
des Films. Aber auch sonst hat er noch einiges zu bieten: zum einen den
tiefschwarzen Humor, der bisher fürs Genre undenkbar war, zum anderen
natürlich die überragende Verbindung von Leones überdrehten
Kameraentfesselungstricks und Ennio Morricones
avantgardistisch-melodischer Musik. Überlaute E-Gitarren, Streicher, die
ständig aus der Tonalität zu fallen drohen, Geräusche, die wie Noten
gesetzt sind - in den Filmen Leones ist die Musik immer kongenialer
Partner des Bilds: schaurig und schön zugleich. Letzteres hat hier
übrigens noch nicht seine volle Ausdruckskraft gefunden: anstelle der frenetischen Wechsel von
Nahaufnahme und Weitwinkel gibt es hier noch eine einigermaßen
"klassische" Gestaltung - noch sind mehr Leute im Bild und das auch noch
halbnah - man kann sie wirklich erkennen. Und anstelle der leeren Wüsten
gibt es hier großteils nur verkippte Perspektiven (die Häuserfronten des
Orts stehen fast immer schräg zu den Figuren) und Montagesequenzen, die
in ihrer Beschleunigung der Gewalt ebenso aufdringlich wie mitreißend
sind. Erst beim Showdown zeigt sich Leones volle Meisterschaft in ganzer
Breite: wenn der Fremde sich wie ein überirdisches Wesen aus einer
Rauchwolke schält, um bereitwillig als Kugelfang zu dienen, hat auch sein
märtyrerhaftes Leiden von zuvor Sinn, wenn die Selbstherrlichkeit der
Gangmitglieder in ihren Gesichtern langsam zerfällt, bietet erst das den
Kontrapunkt zu ihren zuvor ausgespielten Gewaltexzessen. Für eine
Handvoll Dollar mag als Film nicht ganz seiner historischen Bedeutung für
die Geschichte des Westerns gerecht werden - aber als feine, abseitige
Arbeit in den billigen Genrezonen hat er seinen Ruf auch so verdient,
etwa, wenn er plötzlich von der genialen Idee beseelt ist, die letzten
Momente eines Todes aus der Sicht des Sterbenden zu zeigen.
Christoph Huber, 15.05.2000
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Für eine Handvoll Dollar
Per un pugno di dollari/Fistful of Dollars
Italien 1964
Mit: Clint Eastwood, Marianne Koch, Gian Maria Volonté
Regie: Sergio Leone
zur startseite
zum archiv