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Getaway
"Amerika
verschließt seine Augen
vor dem Hunger
und der Gewalt,
man muss diesem
Amerika die
Augen öffnen!"
(Sam Peckinpah)
Wenn Toots Thielemans, einer der
wohl bekanntesten Jazzmusiker der damaligen Zeit und auch heute noch, auf seiner
Mundharmonika Quincy Jones’ Liebeslied spielt, so wirkt dies zur Handlung des
Films bzw. zur Art und Weise der unterkühlten Inszenierung der Geschichte
um Doc McCoy und seine Frau Carol wie eine Art musikalischer Kontrapunkt. Man
hat Peckinpah, einem der wohl umstrittensten Regisseure jener Zeit, vorgeworfen,
er habe in diesem Film dem Machismo gehuldigt und Frauen als dumm und hinterhältig
(so die Rolle der Fran Clinton) bzw. untertänig (so die Rolle der Carol
McCoy) dargestellt. Außerdem habe Peckinpah ein gestörtes Verhältnis
zur Gewalt. Andererseits heißt es, der Regisseur habe selbst heftig gegen
den fertigen Film protestiert, auf dessen Inszenierung kein anderer als Steve
McQueen enormen Einfluss genommen habe. Doch Peckinpah, auch das muss man berücksichtigen,
hat Zeit seines Lebens gegen die Verschnitte seiner Filme protestiert und protestieren
müssen.
• I N H A L T •
Peckinpah erzählt die Geschichte
von Carter, genannt Doc, McCoy (Steve McQueen) und seiner Frau Carol (Ali McGraw).
Doc sitzt seit vier Jahren wegen bewaffneten Raubüberfalls im Gefängnis.
Die Bewährungskommission lehnt seine vorzeitige Haftentlassung trotz guter
Führung ab. Sheriff und Lokalpolitiker Jack Benyon (Ben Johnson), der McCoy
gut kennt und vor allem weiß, wie übermäßig hart das Eingesperrtsein
für McCoy ist, schlägt ihm einen Deal vor: Er will seinen Einfluss
geltend machen, damit Doc doch noch vorzeitig entlassen wird. Im Gegenzug verlangt
Benyon von Doc, er solle für ihn einen Banküberfall durchführen.
Der korrupte Benyon, sein Bruder und seine Hilfssheriffs haben sich bei der
in Aussicht genommenen Bank über Benyons Bruder, der bei der Bank im Vorstand
sitzt, bereits illegal mit 250.000 Dollar bedient. Doc bittet Carol, Benyon
auszurichten, er sei jetzt mit dem Deal einverstanden. Was er nicht weiß:
Benyon verlangt von Carol, Doc nach dem gelungen Coup zu erschießen.
Benyon will, dass Doc mit zwei
Leuten des Sheriffs den Banküberfall durchführt: dem jungen unerfahrenen
Jackson (Bo Hopkins) und dem skrupellosen Butler (Al Lettieri). Doc weiß,
dass der Safe der Bank jeden Morgen für einige Minuten geöffnet wird.
Er durchtrennt die elektrischen Leitungen im Keller der Bank, während Jackson
und Butler die Bank überfallen und die Angestellten in Schach halten. Doc
räumt derweil den Tresor aus. Mit 500.000 Dollar verlässt man die
Bank. Das ganze hat nur einen Haken: Der nervöse Jackson erschießt
den einzigen bewaffneten Wachmann der Bank. Dafür muss er mit dem Leben
bezahlen - Butler erschießt Jackson, weil er das Geld für sich allein
haben will, und hat auch vor, Doc ins Jenseits zu befördern, bevor der
das Geld zu Benyon bringen kann. Doch Doc ahnt dies und ist schneller und schießt
auf Butler, der tot zu sein scheint. Weit gefehlt: Eine kugelsichere Weste rettet
ihm das Leben; nur ein Schlüsselbeinbruch zwingt ihn dazu, einen Arzt namens
Clinton (Jack Dodson) aufzusuchen. Damit der und dessen Frau Fran (Sally Struthers)
ihn nicht bei der Polizei verpfeifen, nimmt er beide als Geisel auf dem Weg
nach El Paso. Butler wie Benyon ist bekannt, dass Doc nach dem Coup dort vorläufig
untertauchen will, um dann nach Mexiko zu türmen. Butler hat nur eines
im Sinn: Doc das Geld abzujagen und ihn zu töten.
Währenddessen erreichen Doc
und Carol Benyons Haus. Benyon hofft auf die Abmachung mit Carol, ihren Mann
zu erschießen. Doch Carol tötet nicht ihren Mann, sondern Benyon.
Es beginnt eine Jagd auf das Geld
auf Leben und Tod: Der Bruder des Sheriffs einerseits und Butler mit seinen
Geiseln andererseits jagen Doc und Carol. Erschwerend kommt hinzu, dass Carol
in einem Bahnhof auf einen Trickdieb hereinfällt und sich die Tasche mit
der Beute wegnehmen lässt
...
•
I N S Z E N I E R U N G •
Die unterkühlte, man könnte
fast sagen: gefühllose Inszenierung dieser - im übrigen durchaus spannenden,
manchmal zum Zerreißen spannenden - Geschichte durchzieht so gut wie den
ganzen Film. Fast keiner der Beteiligten zeigt in irgendeiner Weise Emotionen,
nicht einmal Butler, dessen Schwur, McCoy zu töten, von ihm fast schon
maschinell in Worte gefasst wird. Noch deutlicher scheint diese mentale Kälte
in der Beziehung zwischen McCoy und Carol zu existieren. Als McCoy von dem heimlichen
Deal zwischen Carol und Benyon erfährt, ohrfeigt er Carol mehrfach (wohl
eine der Szenen, die Peckinpah den meiner Meinung nach haltlosen Vorwurf, er
himmle den Machismo an, eingetragen haben). Auch diese Szene scheint geprägt
von emotionaler Kälte. McCoy scheint mechanisch zu reagieren. Die Personen
erscheinen wie in einem inneren Käfig gefangen, der sie daran hindert,
über ihr Verhalten nachzudenken, geschweige denn, dass sie Gefühle
zeigen würden und wollten.
Gleiches gilt für Butler,
der sich während der Fahrt nach El Paso an Clintons Frau heranmacht, in
einem Hotelzimmer mit Fran im Bett liegt, während der auf einem Stuhl gefesselte
Clinton zusehen muss, wie die naive und laute Fran mehr und mehr Gefallen an
dem skrupellosen Gangster zu finden scheint. Fran wird als Flittchen, das zudem
dumm und naiv ist, dargestellt, was wiederum hervorragend zu der Skrupellosigkeit
Butlers zu passen scheint. Auch der Showdown im Hotel in El Paso, in dem sich
Doc und Carol, die Bande des Bruders des Sheriffs und Butler einfinden, ist
geprägt von nackter Gewalt - nach dem Motto: Nur eine Seite wird übrig
bleiben und mit dem Geld verschwinden.
Man könnte Peckinpah sogar
den Vorwurf machen - und er ist ihm gemacht worden -, er ignoriere absichtlich,
dass McCoy letztendlich nicht besser ist als Butler bzw. die Kumpanen des Sheriffs.
McCoy hat keine Skrupel, diejenigen, die sich ihm in den Weg stellen, zu töten.
Bei näherer Betrachtung allerdings
muss man dieses Bild relativieren. Denn die anfangs erwähnte Musik Quincy
Jones’ ist tatsächlich mehr als ein Hinweis auf anderes. Immer wieder durchbrechen
einzelne Bilder und Szenen das scheinbar Vorgefertigte dieser Kälte des
Films. Da ist z.B. die Beziehung zwischen den McCoys, etwa, dass Carol den Deal
mit Benyon nur eingegangen ist, um ihren Mann nicht nur aus dem Gefängnis
zu holen, sondern durch Überrumpelung des Sheriffs diesen los zu werden
und mit Doc verschwinden zu können, um ein anderes Leben zu führen.
Emotionale "Einsprengsel" enthält der Film immer wieder. Besonders
in einer Szene wird dies deutlich, als die beiden auf der Flucht in einem Müllwagen
auf der Deponie ausgekippt werden und in einem Autowrack - völlig verschmutzt
und fertig - sich gegenübersitzen. Carol ist wütend auf McCoy, weil
der nicht erkannt hat, dass sie aus Liebe zu ihm auf den Deal mit Benyon scheinbar
eingegangen war. In ihrer Wut sagt sie, sie wolle ihn verlassen. McCoy antwort
leise: Man könne sich jetzt trennen oder es nochmals miteinander versuchen.
Carol weint, und beide ziehen zusammen weiter.
Auch der während der ganzen
Fahrt nach El Paso stumm bleibende Arzt Clinton reagiert aus tiefer Enttäuschung:
Er erhängt sich im Bad eines Hotels, weil er die "Liaison" zwischen
Fran und Butler nicht mehr ertragen kann, völlig verzweifelt über
seine Frau, vielleicht auch in der Gewissheit, dass Butler ihn in absehbarer
Zeit ermorden wird.
Auch die Schlussszene deutet auf
diesen Kontrapunkt in Peckinpahs Film zu der ansonsten gezeigten, durch Gewalt
und Gefühllosigkeit geprägten Atmosphäre. Auf der Flucht nach
Mexiko bedienen sich McCoy und Carol eines älteren Mannes, der die beiden,
wie er sagt, mit dem Auto gern über die Grenze bringt, um der Verfolgung
durch die Polizei zu entgehen. Dieser Mann erkennt sofort, dass den beiden nur
eines hilft: endlich zur Ruhe zu kommen und ein Leben in Würde und Liebe
zu führen. Sie sollten heiraten und Kinder bekommen, meint er. Dieser Schluss
wirkt fast wie ein ironischer, ja sarkastischer Kommentar des Regisseurs selbst
zu seinem Film - in zweierlei Hinsicht. Zum einen spricht dieser Mann - eine
Art Deus ex machina - einen deutlichen, aber wohlgemeinten Kommentar zum bisherigen
Leben der McCoys. Zum anderen wirken seine Worte auch deshalb sarkastisch, weil
er die geordnete amerikanische Familie (er selbst sei, so sagt er, seit 35 Jahren
glücklich verheiratet und wolle seine Frau nicht missen) als positiven
Kontrapunkt setzt. Das ist zum einen ehrlich gemeint, zum anderen aber, wie
Peckinpahs Film insgesamt nach zwei Stunden Darstellung brutaler und diskriminierender
menschlicher Verhältnisse ein zeitgeschichtlich ironischer Blick auf das
eigene Land. Denn woher sonst, wenn nicht auch aus den speziellen familiären
Verhältnissen dieses Land, erwachsen Charaktere wie die gezeigten?
Man kann also aus dieser Darstellung
durchaus zweierlei schlussfolgern. Man kann Peckinpah die oben genannten Vorwürfe
machen. Man kann ihm allerdings auch attesttieren, dass sein Film ein äußerst
kritischer Kommentar zu den Verhältnissen im eigenen Land darstellt. Ich
neige da eher zu der zweiten Interpretation (man vergleiche demgegenüber
z.B. Roger Eberts Kritik zum Film in der Chicago Suntimes).
Gerade in der Darstellung der
Carol und McCoys kommt dies meinem Gefühl nach deutlich zum Ausdruck. McCoy
wird einerseits als äußerst unterkühlt, berechnend, wortkarg
gezeigt, andererseits als Opfer seines eigenen emotionalen Gefängnisses.
Seine Gefühle wirken tatsächlich wie eingesperrt, so dass er die Angst
(u.a. vor einem ganz anderen Leben) nur durch sein (im Vergleich zu den anderen
Beteiligten ebenso gewalttätiges) Verhalten scheint kompensieren zu können.
Peckinpah zeigt eine Art "Kampf ums Dasein" in einer Welt, in der
nur noch dies zu zählen scheint, und eine Frau - und hier finde ich darf
man die Rolle Ali McGraws nicht unterschätzen -, die versucht, unter den
gegebenen Umständen und den äußerst beengten Möglichkeiten,
die sie vorfindet, wie durch eine Art Schleuse einen Weg heraus aus diesem Kampf
ums Dasein zu finden. Insofern ist sie - resümierend betrachtet - im Vergleich
zu McCoy die wirklich starke Person im Film - und eine tragische noch dazu.
Denn sie selbst nimmt an der Gewalt teil (beim Showdown im Hotel in El Paso),
die sie überwinden will.
Dabei darf man allerdings nicht
übersehen, dass Peckinpah dem Film (Jim Thompson schrieb aufgrund seines
Romans das erste Drehbuch) ein depressives Ende geben wollte. Und kein anderer
als Steve McQueen setzte durch, dass Thompson durch Walter Hill ersetzt und
das Ende geändert wurde.
• D V D •
Die von Warner
Home Entertainment vor etlichen Jahren editierte DVD gehört nicht gerade
zu den Höchstleistungen der Firma. Das Bild ist durchweg unscharf, in der
Tiefe verschwimmen Personen und Objekte, die Farben sind matt und ausgebleicht
und der Kontrast lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Der Ton -
durchweg in Mono - ist insgesamt akzeptabel. Das Bonusmaterial ist insgesamt
mager. Außer Texttafeln zu den wichtigsten Beteiligten, Produktionsnotizen
und Hintergrundinfos sucht man vergeblich nach ansprechendem Bonusmaterial.
Eine weitere
DVD mit dem Film ist Mitte Juli 2005 erschienen. Diese Edition kenne ich leider
nicht.
Wertung Film:
10 von 10 Punkten.
Wertung DVD:
4 von 10 Punkten.
Die Bewertung
(Sterne) bezieht sich lediglich auf den Film.
Ulrich Behrens
Dieser Text
ist zuerst erschienen bei: www.follow-me-now.de
Getaway
(The Getaway)
USA 1972, 122 Minuten
Regie: Sam Peckinpah
Drehbuch: Walter Hill, nach einem Roman von Jim Thompson
Musik:
Kamera: Lucien Ballard
Schnitt: Robert L. Wolfe
Darsteller: Steve McQueen (Carter "Doc" McCoy), Ali
McGraw (Carol Ainsley McCoy), Ben Johnson (Jack Benyon), Sally Struthers (Fran
Clinton), Al Lettieri (Rudy Butler), Richard Bright (Dieb im Bahnhof), Jack
Dodson (Harold Clinton), Dub Taylor (Laughlin), Bo Hopkins (Frank Jackson)
© Ulrich Behrens 2005
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