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Das
goldene Zeitalter
Der
Film „L’age d’or - Das goldene Zeitalter“ stand lange im Schatten seines Vorgängers
„Un chien andalou“ („Ein andalusischer Hund“),
und in gewisser Weise ist er fast so etwas wie eine Fortsetzung. Wieder
arbeitet Buñuel mit
Dali zusammen. Doch diesmal ist Buñuels
Anteil wesentlich größer. War „Un chien andalou“ eine Provokation des
Zuschauers, die auf künstlerischer Ebene für erhebliches Aufsehen sorgte, aber
als Ausdruck der Freiheit der Kunst abgetan werden konnte, so war „L’age d’or“
ein Frontalangriff auf die bürgerlichen Werte seiner Zeit. Buñuel
sagt, er wollte mit diesem Film absichtlich einen Skandal
herbeiführen. Dies ist ihm gelungen. Bei der Uraufführung 1930 in Paris
randalierte das Publikum und die französische Polizei beschlagnahmte alle
Kopien, derer sie habhaft werden konnte. Das Werk verschwand für Jahrzehnte aus
der Öffentlichkeit.
Ähnlich
wie sein Vorgänger „Un chien andalou“ widersetzt der Film sich den Regeln
räumlicher und zeitlicher Kontinuität und es werden Motive als etwas scheinbar
Selbstverständliches zusammengefügt, die im Ergebnis absurd sind. Der Grundstein
für eine Stadt wird gelegt und im nächsten Moment ist daraus Rom entstanden und
die gleichen Personen spazieren noch umher. In einem großbürgerlichen
Schlafzimmer muss eine Kuh vom Bett verscheucht werden und mitten durch eine
Abendgesellschaft fährt ein ländliches Eselsgespann, ohne dass jemand etwas
dabei findet. Der Film ist aber wesentlich aggressiver als sein Vorgänger.
Der
Anfang ist im Stil eines Dokumentarfilms gehalten und schildert die feindselige
Lebensweise der Skorpione. Damit wird gewissermaßen die Stimmlage für das
Folgende vorgegeben. Wir befinden uns auf einer kargen Insel und sehen eine
Gruppe von Bischöfen, die murmelnd eine Messe zelebrieren. Kurz darauf sind sie
nur noch Skelette und eine festliche Gemeinschaft, bestehend aus Großbürgern im
Frack, Militärs und Priestern besucht die Insel, um mit hohlem Pathos eine
pompöse Feier abzuhalten. Die Zeremonie wird von einem Pärchen gestört, einem
namenlosen Mann (Gaston Modot) und einer namenslosen Frau (Lya Lys), die sich
lautstark ihrem Liebensspiel hingeben. Entrüstet werden die beiden getrennt und
der Mann wird regelrecht abgeführt. Buñuel lässt in dieser
Szenenfolge alles aufmarschieren, was er hasst. Es ist ein schwer entwirrbares
Konglomerat aus heuchlerischem und bigottem Großbürgertum, verlogenem
Nationalismus und natürlich institutionalisiertem Katholizismus als
ideologischem Überbau. Der Film wird dieses etablierte Bürgertum im Folgenden
mit zunehmender Schärfe attackieren.
Der
rote Faden des Films ist der vergebliche Versuch der beiden Liebenden vom
Anfang endlich zusammen zu kommen. Ihre Liebe wird einzig als triebhafte
Begierde dargestellt, die sich ohne Scham und in anarchischer Missachtung aller
Konventionen ausleben will. Eine amour fou als stärkste Provokation für die verachtete
Bürgerwelt. Dabei werden die Liebenden keineswegs idealisiert oder
romantisiert. Sie begehren sich sinnlich, sonst nichts. Vor allem der Mann wird
als aggressiv und rücksichtslos dargestellt. Er kickt einen kleinen Hund wie
einen Fußball in die Luft und er verprügelt in bewusstem Tabubruch einen
Blinden. Um seine Bewacher endlich los zu werden, legt er ihnen ein feierliches
Zertifikat vor, das ihn als offiziellen Vertreter einer Gesellschaft des guten
Willens ausweist. Er leiert seine Mission wie ein Gebet herunter und
beeindruckt damit die Polizisten, die ihn freilassen.
Zur
erneuten Begegnung der beiden Liebenden kommt es auf einer festlichen
Abendveranstaltung. Sie können aber wieder nicht zueinander kommen, da die
Mutter des Mädchens den Mann in ein Gespräch verwickelt. Im Hof erschießt ein
Bediensteter seinen ungehorsamen Sohn wie eine Jagdbeute, während die feine
Gesellschaft etwas indigniert zusieht. Als die Mutter dem Mann versehentlich
sein Getränk verschüttet, ohrfeigt er sie und löst damit einen Skandal aus.
Alle laufen entrüstet zusammen. Der Mann wird hinausgeworfen und die Mutter wie
eine Schwerverletzte versorgt. Mit der Gegenüberstellung dieser beiden Szenen,
der beiläufigen Ermordung eines Kindes und der Entrüstung über eine Ohrfeige
hält Buñuel der bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vor. Ein Verstoß gegen
die bürgerlichen Konventionen wirkt wesentlich schwerer als Mord und Tod bei
den niederen Klassen. Die ganze sogenannte Moral ist nur Fassade und Heuchelei.
Das landläufige Verständnis von Moral und Güte wird konterkariert und damit als
hohl entlarvt.
Nachts
kommen die Liebenden im Park endlich zusammen. Doch wieder misslingt die
Vereinigung. Buñuel gestaltet die Szene als einzige
Lächerlichkeit, denn die Sinnlichkeit scheitert an den Möbeln. Sie rutschen vom
Stuhl, versuchen sich ungeschickt zu umarmen. Sie sind kurz gesagt so
entfremdet, dass ein reiner Liebesakt nicht mehr möglich ist. Die Szene wird
mit surrealen Bildern untermalt: Einmal hat die streichelnde Hand des Mannes
keine Finger oder sein Gesicht ist plötzlich eine blutende Wunde und er stöhnt
mit irrer Stimme „L’amour, l’amour.“ Es sind Bilder eines reinen Alptraums. Als
der Mann plötzlich zum Innenminister ans Telefon gerufen wird, bleibt die Frau
allein zurück und lutscht wie bei einer Fellatio die Zehe einer Marmorfigur.
Die ganze Szenenfolge lässt sich lesen als eine Illustration gescheiterter und
verdrängter Sexualität. Zur sexuellen Vereinigung sind die beiden Liebenden
unfähig, ihre Phantasien sind pervertiert und letztendlich ruft die Autorität,
die sich als Personifizierung des Freudschen Über-Ichs deuten lässt, den Mann
zur Pflicht, während der Frau die Ersatzbefriedigung mit einer toten Figur
bleibt. Der Mann tobt gegen die Autorität des Ministers und sein Unvermögen
mündet in bloße Aggression. Er bleibt nach seinem Telefonat allein im Bett
zurück und zerfleddert die Kissen. Dann wirft er einen Pflug, einen brennenden
Baum, eine Giraffe und einen Bischof aus dem Fenster.
Im
letzten Abschnitt steigert Buñuel seine Attacke ins
Blasphemische. Eine Texttafel informiert uns, dass eine vierzigtägige Orgie auf
dem Chateau de Selligny, mit dem Tod von acht
jungen Mädchen endete. Buñuel bezieht sich hier ausdrücklich auf „Die 120 Tage
von Sodom“ des Marquis de Sade. Wir sehen die vier beteiligten Adligen
entkräftet aus dem Tor wanken. Der Gastgeber, der voran schreitet, ist niemand
anderes als Christus. Hatte der Film bisher die bürgerlich-christliche Moral
seiner Zeitgenossen karikiert, so macht Buñuel hier ganz klar, das seine
Stoßrichtung viel tiefer zielt. Es geht ihm nicht darum, die Schwächen und
Lächerlichkeiten einer bestimmten Schicht bloßzustellen, er greift die
christliche Moral an ihren Wurzeln an. Christus selbst ist der Ursprung der
Perversion. Das letzte Bild des Films zeigt uns ein Kruzifix mit den Skalpen
der ermordeten Mädchen.
„Das
Goldene Zeitalter“ ist sicher einer der provokantesten und kompromisslosesten
Filme, die je gedreht wurden. Und Buñuel ist sich selbst treu geblieben.
Jahrzehnte später sollte es ihm mit „Die Vergessenen“
und „Viridiana“ erneut gelingen, internationale
Skandale auszulösen.
Siegfried
König
Das goldene Zeitalter
(L'âge
d`or)
Frankreich
1930, Regie: Luis Buñuel, Buch: Luis Buñuel und Saldavor Dalì, Kamera: Albert
Duverger, Musik: Georges van Parys für den "Paso Doble" sowie Mozart,
Beethoven und Débussy u. a.. Mit: Gaston Modot,
Lya Lys, Max Ernst, Pierre Prévert, Caridad de Laberdesque, Lionel Salem
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