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High
Fidelity
Rob
Gordon spricht mit Dir. Er teilt sein Leben mit Dir, für 90 Minuten wenigstens,
und er erzählt Dir eine ganze Menge über seine Vergangenheit. Natürlich
wärst Du schön blöd, wenn Du ihm alles aufs Wort glaubst, denn
zu sehr erweisen sich die Frauengeschichten, die er Dir auftischt, als leicht
durchschaubare Jungsphantasie. Denn im wesentlichen geht es um Frauen und darum,
wie sie Rob mitgespielt haben. Es geht aber auch (und dieses auch ist eine schamlose
Untertreibung) um Musik, um die korrekte und gute Musik. Marvin Gaye und Belle
and Sebastian und der frühe, keinesfalls aber der späte Stevie Wonder.
Rob und seine beiden Angestellten im Plattenladen (nein, keine CDs) Barry und
Dick werden zu unerträglichen Diktatoren, wenn es um die richtige Musik
geht. Aber besser diese Leidenschaft als gar keine. Leider aber eine Jungsleidenschaft,
was den Ernst betrifft jedenfalls, mit dem sie die drei Maulhelden unter dem
dünnen selbstironischen Firnis umtreibt.
Der
Umgang mit der Musik und mit dem Leben gleichen sich irgendwie, nur dass die
Musik nicht widerspricht. Und die Ordnungssysteme der Musik erweisen sich fürs
Leben als gefährlich arbiträr. Aber irgendwie funktionieren sie auch.
Eigentlich ist das mit den Top-Five-Listen klasse. Besser irgendeine Ordnung
als gar keine. Wenn das Leben zu hart zu einem ist, muss man die Plattensammlung
umsortieren: biografisch. Die Plattensammlung und die Musik sind das Problem
und die Kompensation und die Therapie und am Ende vielleicht doch nur das Symptom.
Für einen großen melancholischen Weltschmerz, der sich aus den viel
zu guten und großen Texten der guten Musik speist und in irgendwelchen
Winkeln des Herzens ein atemberaubendes Idealbild DER FRAU und DER GEFÜHLE
installiert hat, das mit dem Leben dann doch nur bedingt zu tun hat. Die Musik
als self-fulfilling
prophecy
von Weltschmerz und loneliness
und Verlassenwerden. Am Ende Selbstmitleid und Selbstironie in einer Mischung,
die auf ihre Weise unwiderstehlich ist. Rob wird nichts davon aufgeben, nur
die Träume und das Leben ein bisschen resigniert und sehr pragmatisch auseinandersortieren.
Was einen denkbar unromantischen Heiratsantrag zur Folge hat, aber nicht einmal
seine etwas konsternierte Freundin kann ihm das übel nehmen.
Bei
genauerer Betrachtung unverschämt ist die Midlife-Crisis-induzierte Revision
des bisherigen Lebens. Die Sache mit der Jungsphantasie: all die narzisstischen
Kränkungen werden zurückgenommen, umgeschrieben. Die einst bewunderte
Frau erweist sich im nachhinein als Schwätzerin. Die erste große
Liebe war todunglücklich, weil Rob sie verlassen hat, nicht umgekehrt.
Und so fort. Rob kriegt die aufregende schwarze Sängerin ins Bett. Und
am Ende kehrt seine Freundin natürlich zu ihm zurück, denn ihr neuer
Lover kann mit Rob nicht mithalten (Tim Robbins mal wieder großartig).
Aber immer wenn man sich über die Dreistigkeit dieses Erzählers aufregen
will, blinzelt er einem zu, lässt das Filmgeschehen Filmgeschehen sein
und reißt ein paar Sprüche, die zu gleichen Teilen adoleszent und
klug sind, und man verzeiht ihm. Schlimmer noch, man mag ihn. Und am schlimmsten:
man mag ihn vor allem genau wegen dieser Sprüche und der Dreistigkeit.
Ein irgendwie regressives Vergnügen, das Ganze, vor allem in dem ansteckenden
Wunsch, auch das eigene Leben möge sich als diese Form regressiver Wunscherfüllung
durch (Um)Erzählen leben lassen. Wenn aber das Leben nicht wie die Kunst
ist, was kann, möchte man im Sinne des Films fragen, eigentlich die Kunst
dafür?
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
High
Fidelity
Darsteller:
John Cusack (Rob), Iben Hjejle (Laura), Todd Louiso (Dick), Jack Black (Barry),
Lisa Bonet (Marie de Salle), Catherine Zeta-Jones (Charlie), Joan Cusack (Liz),
Tim Robbins (Ian), Ben Carr (Vince), Lili Taylor (Sarah), Bruce Springsteen
(Bruce Springsteen)
Regie:
Stephen Frears • Produzenten: Tim Bevan, Rudd Simmons • Drehbuch: D. V. DeVincentis,
Steve Pink, John Cusack, Scott Rosenberg • Vorlage: Roman High Fidelity von
Nick Hornby • Filmmusik: Howard Shore • Kamera: Seamus McGarvey • Ausstattung:
David Chapman, Thérèse DePrez • Schnitt: Mick Audsley • Kostüme:
Laura Cunningham Bauer
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