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In den Straßen der Bronx

 

 

 

Nun also auch er. Auch Robert De Niro ist auf die andere Seite gewechselt. Warum? „Ich wollte meinen eigenen Fehler machen", antwortete er kokett auf entsprechende Fragen. beim Münchner Filmfest. Irgendwann ist es soweit, ist der Rollenwechsel fällig. Man will zeigen, wie es auch anders geht. Doch um es gleich zu sagen: Die Fehler halten sich in Grenzen. Kein Wunder auch, bewegt sich De Niro doch bei seinem Regiedebüt auf bekanntem, sicherem Terrain.

 

Ein persönlicher Genrefilm. IN DEN STRASSEN DER BRONX beginnt im Dunkeln der Nacht und mit einer poetischen Liebeserklärung an jenes Viertel, dessen Namen heute gemeinhin als Synonym für den irdischen Vorhof der Hölle gilt. Im filmischen Damals aber, so um 1960, ist die Bronx noch eine warme und lebendige Nachbarschaft, sicher nicht unschuldig, doch jenseits aller Gewalt und Korruption ein Refugium fast südländischen Straßenlebens und nachbarschaftlicher Kommunikation.

 

Ein Haus, ein Straßenzug, eine Kreuzung: das ist schon in etwa die Topographie von De Niros Little Italy. Auch die Bewohner, jedenfalls die von Bedeutung, sind schnell vorgestellt. Charaktere so prägnant wie ihre Namen: Tony Toupee, Frankie Coffeecake, Jojo the Whale.

 

Der kleine Junge, der nicht weit entfernt von jener Straßenkreuzung von den Stufen des elterlichen Hauses aus das Leben beobachtet, ist fasziniert vom Treiben der Männer auf der Straße. Vor allem einer ist es, der ihn beeindruckt. „Sonny", Gott und einsamer Herrscher in dieser kleinen Welt. Lässig, selbstsicher, souverän. Lange, lange, starrt Calogero ihn stumm von diesen Treppenstufen an. Irgendwann ist es dann soweit. Der Junge kann seine Zuverlässigkeit unter Beweis stellen - und Sonny wird den kleinen Calogero unter seine Fittiche nehmen. Als Gehilfen, als Schüler, als Freund, als Sohn.

 

Später dann, Calogero ist 17, sind die Sitten rauher und die Verhältnisse härter geworden. Vorboten der Außenwelt brechen in die heimische Idylle ein: Rockerterror, Schwarze siedeln sich in der Nachbarschaft an. Und Calogero verliebt sich - in eine selbstbewußte und wunderschöne dunkelhäutige Mitschülerin. Ein Wunder von einem Mädchen, eine Frau schon fast, die ihm und all den anderen cool spielenden Jungs um Welten überlegen ist: an Souveränität, an Würde, Mut, Reife. Sehr schön wird diese Liebesgeschichte erzählt, und dem Film gelingt das seltene Kunststück, am Anlaß dieser Liebe und ihrer Realisierungsschwierigkeiten alltäglichen Rassismus und eskalierende rassistische Gewalt zu thematisieren, ohne auf Platitüden vom Muster „Mein Sohn heiratet keine Negerin" zurückgreifen zu müssen.

 

Erstaunlich ist diese Sensibilität auch deswegen, weil A BRONX TALE ein konservativer Film ist, der seinen Zusammenhalt in erster Linie aus einem äußerst amerikanischen Thema bezieht: dem Kampf um die väterliche Autorität. Zwei Väter gibt es hier: Da ist Lorenzo Agnello, Calogeros leiblicher Vater (De Niros zweite Vaterrolle nach THIS BOY'S LIFE), ein redlicher Busfahrer mit dem Traum vom ehrlichen Leben - und eben Sonny, der „wise guy", der das Spiel der Macht lässig beherrscht. Sensibel inszeniert ist der Konkurrenzkampf der beiden Männer, die zwei Seiten des gleichen amerikanischen Traums verkörpern (Lorenzos Motto, daß es nichts Schlimneres gibt als vergeudetes Talent, stünde sicher Sonny genauso gut zu Munde).

 

A BRONX TALE ist ein Schauspielerfilm im besten Sinne des Wortes. Bis in die kleinsten Nebenrollen vorzüglich besetzt. Viele der Darsteller sind Debütanten, so auch Lillo Brancato, der den älteren Calogero spielt und ganz so aussieht, wie wir uns den siebzehnjährigen De Niro vorstellen mögen. Ein mutiger Alterszug, so selbstlos das Feld der nächsten Generation zu überlassen. Noch mutiger aber, und das ist dem Regisseur und Schauspieler De Niro hoch anzurechnen, die zweite Hauptrolle einem Darsteller zu überlassen, der die eigene Präsenz empfindlich in Frage stellt. Drehbuchautor Chazz Palminteri, offensichtlich ein Multitalent, der hier ein eigenes Bühnenstück zum Drehbuch verarbeitet hat, gibt selbst den „Sonny" und tut das mit solcher Präsenz und Präzision, daß De Niros Lorenzo - wohl gegen die Intentionen des Drehbuchs - fast wirklich zum Schwächling verkommt, der er sicher nicht sein soll. Denn Sonny, der Mann, dessen erste größere Tat in diesem Film es ist, kaltblütig und anscheinend sinnlos einen Mann zu erschießen (wir werden nie erfahren, warum), der Sonny, der sich mokiert, dass ihm eine allzu brutale Schlägerei den Appetit fürs Mittagessen verdorben habe, dieser Sonny erringt im Lauf der Zeit unsere Bewunderung, ja Freundschaft. Denn dieser Mann ist ein kluger Patriarch. Ein freundlicher Machiavellist. Einer, der klüger ist als die Männer um ihn herum und es nicht nötig zu haben scheint, auf blinde Gewalt zu setzen. Ein guter Vater. Daß die Gewalt dann doch manchmal mit ihm durchgeht, macht die Figur nur umso lebendiger. Und auch wenn sich am Schluß die beiden Väter versöhnen, wenn Sonny tot ist und Lorenzo überlebt, dann scheint es doch Sonny zu sein, dessen Lebensweisheit uns in Erinnerung bleibt.

 

Ganz offensichtlich ist De Niros Film eine Hommage an Meister Scorsese, den späten, vor allem an dessen Mafia-Epos GOODFELLAS. De Niro hat es nicht nötig, diesen Einfluß zu verleugnen, selbstbewußt lehnt er sich in Erzählweise, Kamera, Inhalt und einigen Details an das Vorbild an. Ähnlich wie Scorsese läßt De Niro seine Erzählung sich im OffKommentar des siebzehnjährigen Calogero ironisch brechen. Beschwört mit reichlichen Musikeinlagen die Stimmung der sechziger Jahre. Malt die „goldenen Jahre" New Yorks in Farben pastellener Nostalgie. Gedreht ist dies allerdings, und sicher zum Vorteil, nicht im Studio sondern on locality - zwar nicht in der Bronx, doch in Brooklyn.

 

A BRONX TALE ist ein zutiefst patriarchalischer, ein wunderbar nostalgischer und ein schöner Film. Einer, in dem man bei reflektiertem Sehen auch einiges lernen kann über das Funktionieren von Vaterfiguren. Und ein sehr katholischer Film: in der Fülle seines Bilderreichtums, seiner Sinnlichkeit, seiner Moral. Und darin, daß er über diese Moral galant hinwegsehen kann und bereit ist, mit leichtem Schmunzeln Schwächen und Unehrlichkeiten zu akzeptieren. Schon die erste öffentliche Tat des jungen Calogero, eine falsche Zeugenaussage bei der Polizei, war solch eine gute schlechte Tat, „a good deed for a bad man", wie Vater Lorenzo es nennt. Calogero drückt seine Erleichterung nach der befreienden Beichte (fünf Vaterunser und drei Rosenkränze) so aus: „Jede Woche kannst Du neu anfangen."     

 

Silvia Hallensleben

 

Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film

 

 

IN DEN STRASSEN DER BRONX

A BRONX TALE

USA 1993. R: Robert De Niro. B: Chazz Palminteri. P: Jane Rosenthal, Jon Kilik, Robert De Niro. K: Reynaldo Villalohos. Sch: David Ray, R.D. Lovett. M: Butch Barbella. T: Tod Maitland. A: Wynn Thomas, Chris Shriver. Ko: Rita Ryack. Pg: Tribeca. V: Tobis. L: 122 Min. St: 23.7.1994. D: Robert De Niro (Lorenzo), Chazz Palminteri (Sonny), Lillo Braneato (Calogero, 17 Jahre), Francis Capra (Calogero, 9 Jahre), Katharine Narducci IRosinah Taral Hicks (Jane), Clem Caserta (Jimmy Whispers), Alfred Sauchelli Jr. (Bobby Black), Joe Pesci (Carmine).

 

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