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Das
Irrlicht
Wenn
auch Alkohol nicht mehr hilft
Manche
Menschen sollte man vielleicht besser nicht heilen. Geheilt, würde ihnen
nämlich möglicherweise etwas fehlen. Und sei es nur der Strohhalm,
mit dem sie bisher ihre Cocktails tranken – mit welch katastrophalen Folgen
auch immer – und der eine Art Teufelsbrücke zum Leben abgab. Mit dem Strohhalm
geht dann auch die letzte Illusion den Bach runter. Auf die Bemerkung, dass
das Leben lebenswert sei, reagiert der Betroffene dann mit dem Griff zum Revolver,
wenn er denn einen hat, und begeht darauf vielleicht zum ersten Mal in seinem
Leben einen auktorialen Akt, der aber zugleich sein letzter gewesen sein wird.
Selbstmörder sind irgendwie Verfolger ihrer selbst. Sie ringen mit einem
übermächtigen Gegner in ihnen selbst, der von ihnen nicht ablässt
und der sie zu einer fundamentalen Kompensation treibt, die sich synkopisch,
wie ein Schluckauf, zum Einfall des Gegners verhält. Gesetz der endlosen
Doppelserie. Nimmt man die Kompensation weg und vergisst, etwas an ihre Stelle
zu setzen, bricht alles zusammen. Etwas hat dann aufgehört, das entscheidende
Bisschen mehr zu sein als es selbst. Ein Foto der Geliebten oder der Frau ist
dann nur noch ein Stück Papier mit etwas Farbe und Gestalt drauf, aber
nicht mehr ein Zeichen der Liebe, das auch weiterhin dabei hilft, sie aufrecht
zu erhalten.
Alain,
der müde Held, richtet sich auf seinen Abgang ein. Die Fotos, zwischen
denen er im geschmackvoll eingerichteten Zimmer des Hospitals für Alkoholiker
in der Nähe von Versailles hin und her geht, sagen ihm nichts mehr. Er
tauscht sie aus gegen Katastrophenmeldungen aus der Zeitung, die auch bald seinen
Tod melden wird. Das Leben ist die Katastrophe, und vielleicht ist sie das Einzige,
was ihm durch seinen Akt noch zu sagen bleibt. Obwohl oder eben gerade weil
ihn der Arzt für geheilt hält, hat Alain keine Lust mehr, ins Leben
zurückzukehren. Eine gemeinsam mit einer Freundin in Paris verbrachte Nacht
hat ihm nicht mehr die Augen öffnen können. Seine Ehe mit einer reichen
Amerikanerin betrachtet er als gescheitert. Und ein Tagesparcours durch sein
früheres Leben in Gestalt eines abklappernden Besuchs einer Reihe von Freunden
und Bekannten aus arrivierten, Boheme- und Künstlerkreisen lässt keinen
Zweifel daran, dass da nichts mehr ist, was auf Lebensverlängerung plädiert.
Sein Dasein als interesseloses Nichtwohlgefallen ekelt ihn an. Er konnte und
kann nichts festhalten. Ewiger Passant, der es sich aber leisten kann. Zu Melancholie,
Schwermut und Selbstmitleid gehört immer ein wenig Geld, das den unmittelbaren
Existenzdruck auf Distanz hält. Und wenn man sich erst einmal daran gewöhnt
hat, kann es leicht sein, dass man den Passionen des normalen Lebens ihre Dringlichkeit
nicht mehr so recht abnimmt. Die daran anschließende Schwierigkeit, nicht
nichts machen zu können, ist offensichtlich. Die radikale Form des far
niente bietet bekanntlich nur der Tod. Und auf Süßigkeiten hat Alain
keine Lust mehr. Und so bringt er sich um.
Anders
aber als seinem literarischen Schöpfer, Pierre Drieu La Rochelle, ist ihm
ein Blick auf ein größeres gesellschaftliches Spektakel, das die
Velleitäten des dekadenten Lebens abzuschaffen verspricht, verwehrt. Aber
auch ein falsches Engagement schützt vor Selbstmord nicht. Gibt es ein
moralisch inakzeptables Leiden, also eines, das irgendwie falsch ist? Um solchen
Fragen aus dem Weg zu gehen, gibt es bei Louis Malle Musik von Erik Satie zu
hören. Schicksalsmelodien des Postexistenzialismus. Und das schöne
Gesicht von Maurice Ronet. Ästhetisierung des Ästhetizisten als Kollaborateur.
Mon Drieu.
Dieter
Wenk (11.01)
Die
Anfangseinstellung ist grotesk: Das Gesicht eines Mannes, der im Bett liegt,
er ist nicht allein, und der Mann schaut etwas an, vermutlich ist es die Frau,
mit der er gerade geschlafen oder es zumindest versucht hat, man weiß
nicht, ob sein Blick erwidert wird, vermutlich eher nicht, denn der Mann wirkt
hilflos, ratlos, gleichzeitig versucht er zu verstehen, was passiert ist, jedenfalls
hat man es nicht mit einem romantischen Liebespaar zu tun, das sich gerade die
Welt versprach. Dann sieht man die Frau, sie wirkt, als habe sie das, was sie
gerade erlebt hat, nicht zum ersten Mal erfahren. Sie ist routiniert in der
Beschwichtigung. Es sind die Männer, die beim Sex getröstet werden
müssen. Etwas später ist der Mann, Alain (Maurice Ronet), wieder zu
Hause. Sein Heim ist gerade ein Hospital für Alkoholkranke. Der Arzt meint
zwar, Alain sei geheilt, aber Alain will gar nicht wieder zurück, hinaus
in die Wirklichkeit. Seine amerikanische Frau Dorothy hat ihn vor Jahren verlassen,
wegen seines Trinkens, und ist längst wieder in ihrer Heimat. Aber der
Film legt sich nicht fest bei der Ursachenforschung nach der Alkoholsucht. Auch
Dorothy ist nur ein Symptom. Alain gehört zu den metaphysisch grundsätzlich
unzufriedenen Menschen. Nichts kann ihn bei der Stange halten. Die Unruhe der
frühen erfolgreichen Jahre, die diese Einstellung gut kaschieren konnte,
ist einer lähmenden Lethargie und Apathie gewichen. Sein Begehren funktioniert
nicht mehr. Jedenfalls weiß er nicht mehr, wozu es gut sein soll. Eigentlich
sieht er noch ganz gut aus, hinreichend viele Blicke von Frauen erreichen ihn,
doch er sieht das nicht mehr, wie zum Beispiel in einer Schlüsselszene
in einem Café, wo es zum definitiven Umschlag kommt, Alain wieder anfängt
zu trinken und ihn genau während dieser selbst initiierten Verurteilung
zum Tod diese junge Frau sehr auffordernd anblickt und man eigentlich gar nichts
mehr machen müsste als diese Frau irgendwohin mitzunehmen für was
auch immer. Dieses Schaukeln der Frau auf ihrem Stuhl, eine wundervoll einnehmende
Aggressivität, die man so selten gesehen hat und die ihre Unverborgenheit
vielleicht gerade aus der schon gespürten Unzugänglichkeit des Mannes
genommen hat. Es wird dann ein frivoles Spiel gewesen sein, bei dem man sich
nichts zu vergeben gehabt hätte. In diesem eben nicht bezirzten Moment
trinkt Alain also das Glas Schnaps – mit den vorhersehbaren Folgen, der metaphysische
Ekel bekommt einen Gefährten auf körperlichem Terrain. In so einer
Verfassung verliebt es sich schlecht. Aber dazu war Alain am Morgen ja auch
nicht aufgebrochen. Sein lapidarer Satz, bevor er in der Nacht davor das Licht
zum Schlafen ausmachte: Morgen bring ich mich um, wird nicht eingeklammert oder
ausgehebelt. Alain begibt sich auf seinen Kursus des Abschieds, alle machen
es ihm leicht, niemand vermag ihn zu überzeugen, noch länger zu bleiben,
an welcher Stelle auch immer, und so kann der selbst gestellte Auftrag bequem
im eigenen Bett ausgeführt werden. Ein Schuss. Ende. Das immer noch ein
wenig Skandalöse an diesem Film: dass man diesen Luxus, diese Nonchalance
von Alain bewundernswert findet und zugleich zu respektieren hat, dass eine
Haltung, zu der jemand kommt, unübertragbar ist und sich nicht physiognomisch
ablesen lässt.
Dieter
Wenk
(10.04)
Diese
Texte sind zuerst erschienen in:
Das
Irrlicht
FUOCO
FATUO
LE
FEU FOLLET
Frankreich / Italien - 1963 - 108 min. – schwarzweiß
- Literaturverfilmung, Drama - FSK: ab 16;
feiertagsfrei (früher 18) - Prädikat: besonders wertvoll - Verleih:
MFA (Erstverleih: NEF) - Erstaufführung: 7.10.1966/4.7.1967 ARD/14.7.1994
Neustart Kino - Fd-Nummer: 13588 - Produktionsfirma: Nouvelles Editions de Films/Arco
Regie: Louis Malle, Philippe Collin
Buch: Louis Malle
Vorlage: nach dem Roman von Pierre Drieu La Rochelle
Kamera: Ghislain Cloquet
Musik: Erik Satie
Schnitt: Suzanne Baron
Darsteller:
Maurice Ronet (Alain Leroy)
Bernard Noel (Dubourg)
Jean-Paul Molinot (Dr. La Barbinais)
René Dupuy (Charlie)
Bernard Tiphaine (Milou)
Lena Skerla (Lydia)
Yvonne Clech (Mademoiselle Farnoux)
Hubert Deschamps (d'Avereau)
Jeanne Moreau
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