Jurassic Park 2 –
Vergessene Welt
Eigentlich
gibt es bei Lost World nur eine einzige offene Frage. Sie hängt
unmittelbar mit der üblichen Dramaturgie des Fantastischen bei Spielberg
zusammen und könnte leicht übertrieben als ein selbstironisches Dilemma
bezeichnet werden: Denn der heikle Punkt von Lost World erwächst nun
gerade daraus, daß sich bei der Jurassic-Park-Fortsetzung ansonsten so ziemlich
alles von selbst (d.h. durch den Markt und die öffentliche Erwartungshaltung)
ergibt.
Kaum
jemand hatte ernsthaft annehmen können, daß die Fortsetzung von Jurassic
Park mit dem nahezu identischen Team, einem noch gigantischeren Budget und
den um vier Jahre weiterentwickelten digitalen Animationstechniken kein Renner
werden würde. Erfolg ist programmierbar, Lost World brach an seinem
ersten Wochenende in den USA sämtliche Einspiel-Rekorde. Die hochgesteckten
Publikumserwartungen waren eindeutig und somit erfüllbar - mehr Saurier in noch
aufwendigeren Trick-Sequenzen, die Konfrontation Mensch-Biest spitzt sich mit
noch atemberaubenderen Actionszenen zu. Genau diese klar umrissene
Erwartungshaltung aber stellte Spielbergs Inszenierung vor ein so noch nie
dagewesenes Problem. Wie sollte die typische Spielberg-Dramaturgie, die Kunst
der Überzeugung, mit einem klassischen Sequel zurechtkommen, das sich
wesentlich von der Indiana-Jones-Saga unterscheidet?
Spielbergs
fast schon rhetorische Stärke war immer wieder die Vorbereitung des
Fantastischen gewesen. Der Einbruch des Unglaublichen in die Alltäglichkeit
wird nur dann so glaubhaft, wie er bei Spielberg ist, wenn es eine klar
strukturierte Erwartungsphase gibt. Überdimensionale Haie, verhutzelte
Außerirdische, gigantische UFOs oder aus Mückenblut rekonstruierte Saurier sind
in seinen Filmen schon spürbar, auf unsichtbare Art anwesend, lange bevor sie
das erste Mal im Bild zu sehen sind. Die Bedrohung des weißen Hais - dessen
subjektive Perspektive ihn deutlicher ankündigt als die bewährte Rückenflosse -
ist vor seinem Auftritt ausgiebig an seinen Opfern zu studieren, die unwiderstehliche
Kraft der Saurier teilt sich eindrucksvoll genug durch panische
Sicherheitsvorkehrungen, zerrissene Wärter und wankende High-Tech-Käfige mit.
Daß diese Erzähltechnik so perfekt funktioniert, hat u.a. mit ihrer langen
Tradition zu tun. Spätestens bei Herman Melville war dieses Überzeugungsprinzip
bereits zur Perfektion gereift. Obschon dessen Moby Dick erst nach knapp 800
Seiten zum ersten Mal auftaucht, ist er in jeder Seite präsent - er ist quasi
das Buch selbst. Wenn es also so etwas gibt wie einen Spielberg-Touch, dann ist
er genau das. Jedenfalls sind die Erschütterungen der Wasseroberfläche von
Pfützen und Wassergläsern, die den nahenden T-Rex in Jurassic Park
ankündigten, längst zum Erkennungszeichen und Werbegag geworden.
Die
systematische Ankündigung des Fantastischen, die bei Spielberg zum
unverzichtbaren Spannungsträger wird, verliert in Lost World
Notwendigkeit und Berechtigung - die Saurier sind weltbekannt, ihre Fähigkeiten
in allerbester Erinnerung, ihre Existenz längst quasiwissenschaftlich
begründet. Die Lösung dieses Problems, die zugleich eine Loslösung vom
Spielberg-Touch ist und dann doch wieder nicht, ist so simpel wie elegant: Lost
World degradiert einfach die Erinnerung an seinen Vorgänger zur
Erwartungsphase. Jurassic Park wird zum abwesenden Vorspiel, außerdem
werden ein paar kleinere Sensatiönchen mit der alten Akribie vorbereitet.
Dementsprechend
gibt es die ersten Saurier bereits in der Titelsequenz zu sehen. Kleinere
Viecher, deren zoologischer Fachterminus diesmal gottlob niemanden mehr
interessiert, machen sich am Strand einer entlegenen Insel über eine
Millionärstochter her. Vom schreienden Gesicht der Mutter wird auf die
ungepflegte Visage des gescheiterten Jurassic Park-Veteranen Dr. Malcolm
(Jeff Goldblum) geschnitten, der bald darauf mit einer kleinen Crew auf eben
jene Insel expediert wird. Ganz im Sequel-Sinne wird die Begründung vom Jurassic-Park-Vater
Hammond (Richard Attenborough) diesmal äußerst kurz gehalten. Seinerzeit wurden
auf dem Eiland die Saurier für den Park gezüchtet, diese haben sich dort
nunmehr ein perfektes Zuhause geschaffen und müssen darum durch eine mit
Fotoreportagen garnierte Protestaktion gegen die menschliche Ausbeutung
geschützt werden. Als Vertreter des Kapitalismus fungiert dabei der Neffe
Hammonds, der Boß des "InGen"-Konzerns Ludlow (Arliss Howard).
Auf der Insel trifft die Expedition um
Malcolm, seine Freundin Dr. Harding (Julianne Moore) und seine Adoptiv-Tochter
Kelly (Vanessa Lee Chester) auf Ludlows Safari-Team, dessen Anführer Roland
(Pete Postlethwaite) den Auftrag hat, einige Saurier nach San Diego zu
überführen. Es folgen die erwarteten Saurier-Attacken, die Jurassic Park
tatsächlich bei weitem übertreffen. Nur wenige Menschen überleben die
Ereignisse auf der Insel. Jeff Goldblums sarkastische Prognosen ("Ja, ja,
'Uh, oh, unglaublich!', so beginnt es jedesmal. Aber später rennt und schreit
man."), mit denen er zugleich das Credo des Films formuliert, erfüllen
sich, und schließlich darf sogar ein Tyrannosaurus in San Diego einfallen, um
dort als wandelndes Zitat zwischen King Kong und Godzilla einen Vorgeschmack
auf Jurassic Park III zu geben. Gerade in dieser letzten halben Stunde
könnte man meinen, die Erleichterung des Films darüber zu spüren, eine
Fortsetzung zu sein und mit dem Verweis auf das Vorspiel alles zu dürfen.
Jan
Distelmeyer
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