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Letters From Iwo Jima

 

Das Sterben der Anderen

 

Für das antike Griechenland hießen die Völker außerhalb ihrer Grenzen allesamt Barbaren und galten auch als solche. In Hollywood hielt man das bisher genauso: Die Fremden taugen als kulturgeschockte Partyschrecks und als exotische Verführerinnen, auf Augenhöhe jedoch begegnet man ihnen praktisch nie. Befindet sich eine Kultur gar im Krieg mit der eigenen (sprich: westlichen), so fällt ihre Darstellung meist noch verächtlicher aus: Insektengleich fallen da die gesichtslosen Horden der Indianer/Vietnamesen/Araber über eine Handvoll wackerer Cowboys/G.I.s/Kreuzritter her, und wie Insekten werden sie auch in anonymen Reihen niedergemacht, daran hat sich zwischen "Rio Bravo" und "Black Hawk Down" eigentlich nicht viel geändert. Die Kulturwissenschaft hat das Problem früh erkannt und schon immer dagegen angeschrieben, allein, es interessierte sich keiner dafür.

 

Doch plötzlich in diesem Kinowinter bricht das alles auf, die Hollywood-Kamera schwenkt herum und zeigt die Gegenseite – oder das, was man sich darunter vorstellt. Viel eindrücklicher aber als die vermeintliche Amerikanisierung der Fremden durch solche Perspektivwechsel ist die Barbarisierung der eigenen Kultur, die plötzlich, in der ungewohnten Rolle der Anderen und somit als anonyme Horde erscheint. In Mel Gibsons "Apocalypto" signalisiert das Eintreffen der abendländischen Kultur (in einer Reihe namenloser Schiffe, ohne Individualisierung oder Psychologisierung) den endgültig besiegelten Untergang eines ganzen Kontinents. Und Clint Eastwoods "Letters From Iwo Jima" nun zeigt nicht nur die amerikanische Flotte mitsamt der inselstürmenden Soldaten als gesichtlose, drückende Masse, die den Horizont bzw. den Strand verdunkelt, sondern entlarvt auch den Akt der amerikanischen Fahnenerhebung auf dem Mount Suribachi (dessen patriotisches Pathos ja schon in "Flags of our Fathers" ordentlich demontiert wurde) als das, was er wirklich war: ein hastiges Handwerk im Hintergrund, sichtbar nur im Schatten eines übermächtigen japanischen Kommandeurs.

 

Dieser General heißt Kuribayashi, und unter ihm verteidigten die Japaner diese karge Vulkaninsel gegen eine fünffache amerikanische Übermacht und ohne jede Unterstützung von See oder aus der Luft. Optimistische Schätzungen hatten seinem Himmelfahrtskommando fünf oder sechs Tage Widerstand prophezeit, aber unter Kuribayashis brillanter Strategie, die Insel aus einem unübersichtlichen System aus Tunneln und Höhlen heraus zu verteidigen, dauerten die Kämpfe volle fünf Wochen. Auf diese Zeit konzentriert sich Eastwoods Film; mit bis ins Monochrome entsättigten Farben und leicht disharmonischer, unruhiger Musik streift seine unaufgeregte Kamera durch das Höhlensystem, in dem sich die schlimmsten Eigenschaften beider Kriegskulturen vermischen: hier eine selbstmordsüchtige Gesellschaft in den letzten Zügen ihrer irrsinnigen Herrschaftsgläubigkeit, dort ein chauvinistisch gedrilltes Corps, das auch schon mal aus Bequemlichkeit Gefangene erschießt. In den Schützengräben gibt es keine Atheisten, aber richtige Christen eben auch nicht.

 

Im Zentrum der Erzählung stehen diesmal gleich zwei Vaterfiguren – dieser Topos zieht sich ja seit Jahrzehnten durch das Werk des Regisseurs. Der japanische General ist dabei ein emblematischer Eastwood-Held: klug, erfahren, mitfühlend und zäh (und von Ken Watanabe mit funkelnden Augen als versteinertes Kriegerdenkmal porträtiert), und doch weiß man angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Situation nicht, ob man ihm und seinen Männern so viel Durchhaltevermögen wirklich wünschen möchte. Auf der Gegenseite der Gefühls- und Befehlsordnung steht der junge Rekrut Saigo, der eher aus der japanischen Komödientradition zu kommen scheint: ein leicht tollpatschiger, ewig murmelnder und zutiefst menschlicher Sympath. Beide haben sie kleine Kinder in der Heimat, und doch könnte ihre Herangehensweise an diesen Krieg nicht unterschiedlicher sein: Der eine opfert sich und seine Männer ohne Wimperzucken, weil er sein Kind vor den amerikanischen Brandbomben bewahren will; der andere opfert sich eben nicht, weil er die entfernte Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, sein Kind wiederzusehen.

 

Mit überraschender Ähnlichkeit zu Dürrenmatts Höhlenkriegs-Fragment "Winterkrieg in Tibet" porträtiert auch "Letters From Iwo Jima" (nach anfänglich sonnengebleichten Bildern und einigen spektakulären Bombenangriffen auf die hilflosen Fußsoldaten) den Pazifikkrieg vor allem als ein bitteres und überraschend intimes Kammerspiel des Wahnsinns. Alle möglichen Auswege aus der absurden Situation werden hier ausprobiert und aufs Grausamste verworfen: Desertion führt zum Tod durch die eigenen, Kapitulation zum Tod durch die gegnerischen Soldaten; blinder Angriff führt zum schnellen, überlegte Verteidigung zum langsamen Tod; sinnlos ist hier jedes Sterben. Die einzige Tätigkeit in den Höhlen von Iwo Jima, der noch ein Hauch von Menschlichkeit, Kultiviertheit und Sinn anhaftet, ist das Verfassen von Briefen an die Zurückgebliebenen.

 

Daniel Bickermann

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt

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Letters From Iwo Jima

USA 2006. R: Clint Eastwood. B: Iris Yamashita, Paul Haggis. K: Tom Stern. S: Joel Cox, Gary Roach. M: Kyle Eastwood, Michael Stevens. P: Amblin Entertainment, DreamWorks SKG u.a. D: Ken Watanabe, Kazunari Ninomiya, Tsuyosi Ihara, Ryo Kase, Shido Nakamura u.a. 141 Min. Warner ab 22.2.07

 

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