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Lost Highway
Mephisto
mit Handy
Faust im Medienzeitalter.
Wie ist er heute denkbar? Wer, wenn nicht der richtungsweisende Regisseur David
Lynch ist in der Lage, darüber Untersuchungen anzustellen? Er zeigt uns
wieder einmal eine unausgesetzt klaustrophobische Welt mit dem Teufel als einem
mit High-Tech ausgerüsteten Aufklärer des Bösen und Faust als
einem verzweifelten Jazzmusiker, der Antworten erhält, von denen er nicht
zu alpträumen wagte.
"Dick Laurent
ist tot" sagt die Türsprechanlage. Fred Madison (Bill Pullman) kennt
niemand mit diesem Namen, er weiß nicht, wer zu ihm gesprochen hat, aber
er sieht aus, als habe er auf diese Botschaft gewartet...
So
beginnt David Lynchs Film "
Auf einer Party
bei einem Bekannten Renees, dem zwielichtigen Andy (Michael Massee) (wiederum
ein Bekannter Dick Laurents (!)), tritt ein zwergenhafter, grinsender Mann (laut
credits: "Mystery Man" = Robert Blake) zu Fred und behauptet gerade
jetzt in seinem Haus zu sein. Zum Beweis reicht er ihm sein Handy und fordert
ihn auf, ihn unter Freds eigener Nummer anzurufen, wo sich dieselbe Stimme meldet.
Auf die Frage: "Wie sind Sie in mein Haus gekommen?" antwortet die
Stimme: "Sie haben mich eingeladen. Es ist nicht meine Art, dort hin zu
gehen, wo ich nicht erwünscht bin." Auf dem dritten Videoband, das
er am nächsten Morgen erhält, sieht Fred in ungläubigem Schrecken
sich selbst im Blutrausch bei der zerstückelten Leiche seiner Frau. Schneller
Wechsel: Fred, als Mörder verurteilt, sitzt in einer Todeszelle, schlaflos
und gepeinigt von quälenden Kopfschmerzen. Eines Morgens ist Fred verschwunden,
doch in seiner Zelle findet sich Pete Dayton (Balthazar Getty), ein junger Automechaniker,
der mangels einer rationalen Erklärung entlassen wird. Pete, der noch bei
seinen Eltern lebt, normalerweise mit seiner Clique und seiner Freundin "um
die Häuser zieht", hat sich seit jenem "Vorfall" offenbar
verändert. Er interessiert sich plötzlich nicht mehr für seine
Freundin Sheila (Natasha Gregson Wagner), sondern verliebt sich in Alice Wakefield
(Patricia Arquette), Geliebte von Dick Laurent (Robert Loggia), auch "Mister
Eddie" genannt, einem skrupellosen Pornofilmproduzenten. Alice (das wasserstoffblonde
Pendant zur schwarzhaarigen Renee - siehe "Vertigo"), verführt
Pete zu einer heimlichen Affäre und überredet ihn kaltblütig,
mit dem Ziel eines Lebens in finanzieller Unabhängigkeit, gemeinsam mit
ihr Andy in dessen Haus zu berauben, der beim dabei entstehenden Handgemenge
getötet wird. Nach dem Geschlechtsakt im Wüstensand, wo sie auf einen
ihr bekannten Hehler warten, gesteht Pete Alice seine Sehnsucht: "Ich will
dich"- "Du wirst mich niemals kriegen" returniert die Eiskalte
und in diesem Moment verwandelt sich Pete Dayton zurück in Bill Madison.
Wie im Rausch einer Wahrheitsdroge laufen die letzten Bilder ab: Alice verschwindet
in der Hütte des Hehlers, Fred der ihr folgt, findet dort den mysteriösen
Zwerg, der eine Videokamera auf ihn richtet und ihn nach seinem Namen fragt,
plötzlich ist Fred im "Lost Highway Hotel", wo er Dick Laurent
beim apres
sex
mit Renee (nicht Alice) ertappt, er schleppt ihn in die Wüste, wo er ihm
mit einem vom Zwerg gereichten Messer die Kehle aufschlitzt und schließlich
der Zwerg selbst ihm einen Kopfschuss verabreicht. Am Schluss sehen wir Fred
allein mit der Leiche. Morgens fährt er bei seinem Haus vor, drückt
den Klingelknopf und sagt: "Dick Laurent ist tot". Für Fred Nr.1
beginnt die Geschichte von vorn, für Fred Nr.2 geht sie weiter auf der
Flucht vor Polizeiwagen, aber anstatt in den Tag rast er ziellos seinen "Lost
Highway" hinab in eine ewig anmutende Nacht, mit dem Schrei eines Wahnsinnigen...Der
Teufelskreis hat sich geschlossen, der Weg heraus ist der in die ewige Verdammnis,
die Hölle.
Der besondere
Reiz Lynch’scher Filme liegt in in der großen Bandbreite ihrer Interpretationsmöglichkeiten.
David Lynch ist unter den zeitgenössischen Regisseuren der Kenner menschlicher
Alpträume, der Spion des Unbewussten, und weil er so virtuos auf der Klaviatur
unserer Ängste spielt, kann die Inhaltsangabe eines Lynch-Films nicht einmal
erahnen lassen, was er beim konkreten Zuschauer auslöst. Unter brachialem
Einsatz assoziationsgeladener Bilder, Geräusche und Töne kommuniziert
Lynch mit dem Persönlichsten des Einzelnen. Daher kann ein auch nur andeutungsweiser
Anspruch auf Allgemeingültigkeit bei einer Lynch-Rezension kaum erhoben
werden, und deshalb ist folgendes ein dezidiert persönlicher Annäherungsversuch:
"Lost Highway"
handelt von der Hölle. Von der Hölle vor und nach dem Teufelspakt.
Von der Hölle des Lebens in einer "alltäglichen" Unausweichlichkeit,
von der Trennung vom Leben, der Vergeblichkeit der Liebe und der Isolation.
Die Einsamkeit eines Paares in seiner Partnerschaft, in seinem Haus, in dessen
Dunkelheit es sich zu verlieren droht, das mit seinen dicken Mauern und schießschartenartigen
Fenstern anscheinend Sicherheit geben soll, aber jede Lebendigkeit erstickt.
Und nun der Faustruf nach Entgrenzung. Wie eine verzweifelte Beschwörung
diabolischer Mächte klingt Freds Saxophonsolo, und das Videoband belegt:
Der Geladene ist schon da, ihm zu helfen - und ihn zu observieren. Aus dem Pudel
ist eine Überwachungskamera geworden. Freds größte Sehnsucht,
die verlorene Geliebte wieder zu gewinnen, wird ihm erst im Körper des
jüngeren Pete erfüllt, der durch die Inkarnation zu seinem heimlichen
Werkzeug geworden ist. Pete ist draußen in der Welt, und durch ihn hat
Fred Zugang zu den Mächten, die Renee/Alice verführt und sie ihm geraubt
haben. Es sind - wie so oft bei Lynch - böse, dunkle Kreaturen, hier verkörpert
durch Dick Laurent und Andy, die offenbar (Snuff)-Pornos produzieren. Sie stehen
für eine dekadente, gewalttätige Seite der Welt, und sie stehen mit
dem Teufel im Bunde "Sie und ich, Mister, wir stellen all die anderen Scheißkerle
bei weitem in den Schatten." sagt Laurent noch mit durchgeschnittener Kehle
zum zwergenhaften Mephisto. Aber der Teufel, vertraglich nun auch Fred verpflichtet,
gibt Laurent die Todeskugel, nachdem er Fred die ganze Wahrheit über Renee
(Alice) und das erdrückende Ausmaß ihrer Verstrickung offengelegt
hat. Der Teufel legt seine Machenschaften dar. Er hat sein Versprechen gehalten:
Er hat Fred seine Geliebte zurück gegeben, und er hat ihm die Mittel gegeben,
sie den Klauen ihrer bösen Herren zu entreissen. Doch am Ende ist auch
sie böse, und zugleich mit seinem Einblick in und seiner aktiven Einflussnahme
auf das Böse ist Fred (Pete) selbst zum Mörder, ein Teil des Bösen
geworden und verloren.
Während
der Hergang des ersten Teils im düster-beschaulichen Stil älterer
Lynch-Werke ("Blue
Velvet")
geschildert wird, explodiert der zweite Teil auf grelle, plakative Weise, unterlegt
mit aggressiver, emotionsgeladener, viele Szenen dominierender Popmusik von
Marilyn Manson (auch als Nebendarsteller in einem Snuff-Video zu sehen), Lou
Reed, Rammstein, David Bowie und anderen: Eine Reminiszenz an die Schnelligkeit
und Zerrissenheit des MTV-Zeitalters. Lynch hat sich nie gescheut, Mythen (Presley/Brando
in "Wild
at Heart")
und populäre Erzählformen von Film und Fernsehen, (wie z.B. in "Twin
Peaks"
die Teenagerserie) zu zitieren und benutzen, sie collagenhaft als Textur ein-
und zusammen zu setzen, und durch das Aufeinanderprallen verschiedener, kontrastierender
Klischees der Populärkulturgeschichte kompromittiert er die Unzulänglichkeit
unserer Erinnerungskohärenz auch in "Lost Highway". Lynch zeigt:
Unsere Weltwahrnehmung ist immer auch eine gemachte, virtuelle, zusammengesetzt
aus Genres, Mythen, Klischees, Folien.
Unterlegt mit
Gangsterfilmmusik der sechziger Jahre gibt Robert Loggia grandios das Urklischee
des knallharten aber auch (typisch Lynch) schwer psychopathischen Gangsterbosses,
Patricia Arquette bedient das Gangsterbraut-Image,- und plötzlich zerspringen
die Eindeutigkeiten in verstörend grellen Bilder- und Soundattacken.
Die Welt, die
uns hier vorgeführt wird, ist durchsetzt mit Versatzstücken massenmedialer
Erfahrungen. Deshalb geht es bei "Lost Highway" auch um Erzählweisen
von Geschichten und um Weltwahrnehmung, die sich aus diesen Erzählweisen
rekrutiert, bzw. um deren Entlarvung. Wenn wir in einer Welt des auch emotionalen Informationüberflusses
leben, dann gibt es auch einen Deutungs- und Entwirrungsbedarf der überforderten
Psyche. Lynch leistet im Großen, was im Kleinen nur den Träumen überlassen
bleibt: Furcht- und kompromisslos schöpft er Interpretationen aus dem Unbewussten
und wirft sie mit Gewalt einer gewaltigen, tendenziell gewalttätigen und
unüberschaubaren (Kino- und Fernseh-) Realität entgegen.
Anmerkung für
Lynch-Freunde: Jack Nance, unvergessener Darsteller des Henry Spencer in "Eraserhead" hatte
in "Lost Highway" seinen letzten Filmauftritt (als Phil, Kollege von
Pete in der Autowerkstatt). Er starb 1996, kurz nach den Dreharbeiten, 53-jährig
an den Folgen einer Schlägerei vor einem Doughnut-Geschäft.
Andreas Thomas
Diese Kritik ist
zuerst erschienen bei:
filmrezension.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Lost Highway
USA 1997 Regie: David Lynch Drehbuch: Barry Gifford, David Lynch Produzenten: Deepak
Nayar, Tom Sternberg, Mary Sweeney Musik: Barry Adamson, Angelo Badalamenti,
David Bowie, Billy Corgan, David Lynch, Marilyn Manson, Lou Reed, Trent Reznor,
Rammstein Kamera: Paul Hughen Darsteller: Bill Pullman (Fred Madison), Patricia
Arquette (Renee Madison/Alice Wakefield), Balthazar Getty (Pete Dayton), Robert
Blake (Mystery Man), Natasha Gregson Wagner (Sheila), Richard Pryor (Arnie),Lucy
Butler (Candace Dayton), Michael Massee (Andy), Jack Nance (Phil), Henry Rollins
(Guard Henry), Gary Busey (Bill Dayton), Robert Loggia (Mr. Eddy/Dick Laurent),
Marilyn Manson (Porno Star #1) u.v.a. Länge: 135 Min Deutscher
Kinostart: 10. April
1997 Verleih:
Senator
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