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Macbeth Oper von Rosa von Praunheim

 

Das Libretto ist bekannt. Lady Macbeth (Magdalena Montezuma), vom Ehrgeiz besessen, stiftet ihren Mann, den Feldherrn (Volker Eschke), zum Mord an König Duncan (Berryt Bohlen) an. Macbeth, jetzt selbst König von Schottland, verliert ob der Tat den Verstand. Das Ende ist unabwendbar. Jeder am Hof sieht es kommen. Höfling Ros (Rainer Kranich) verfällt in einen Rezitationsgesang: »Macbeth is ripe for shaking, and the powers above put on their instruments Ein schottischer Edler im Range eines Jugendlichen Heldentenors (Steven Adamczewski) vollzieht das Schicksal; im Zweikampf erschlägt er den Mörder-König. Der Film zeigt die erlösende Tat 900 Jahre später auf einem berliner Schneefeld. Macduff zückt ein selbstgeschnitztes Holzschwert. Freilich erkennt man es nicht, da diese Sequenz unscharf belichtet ist.

 

Das Fernsehen (WDR) hatte, ermutigt durch die Aufbruchsstimmung des Jahres 1969, dem mittlerweilen berühmt/berüchtigten Jungfilmer Praunheim eine Großform bürgerlicher Kultur als Operationsfeld zur Verfügung gestellt: die Oper. Mit ganzen 40 000 Mark Fernsehgeld drehte Praunheim nach eigener Partitur den Film auf eigene Weise. Wie bei der echten Oper machen auch hier nicht das Libretto, sondern Ton und Bild den ästhetischen Sinn. - Praunheims Partitur ist genauer als die Handhabung eines Tonbandgeräts zu definieren, mit dessen Hilfe der Opernmacher Stimmodulationen der exzessiven Art festzuhalten wußte. Musik gibt es in diesem Film nicht. Selbst wenn König Duncan, den Busen banger Ahnung voll, mit zagender Stimme eine alte Volksweise singt, fehlt die sich anbietende Blockflöte oder der Dudelsack.

 

Wenn Macbeth mit seiner spezifisch hohen Stimme sein »I - have - done - the - deed« rezitiert/moduliert, muß man, um das äußerste Maß der do-it-your-self-Ekstase zu begreifen, sich die schwarz-weißen Kontraste des Bildes vor Augen halten. Eschkes nackter Körper ist vor der schwarzen Wand sehr weiß; der blut'ge Dolch ist neben der spitzen Stimme das einzige Requisit, diese Kontraste zu durchstoßen. Bild und Ton finden sich im schrillen Ausdruck, in einer glücklichen Intensitätssynchronität.

 

Vor der schwarzen Wand ist das weiße Gesicht der Lady Macbeth sehr nah. Ihr schwarzes Kostüm verfließt mit dem Hintergrund. Ihr Klage-Schrei-Gesang in den Steinen der alten Kultstätte Stonehenge treibt das Wort O-u-t, sich jagenden brechenden Wellen gleich, in den Maelstrom des Verderbens. Die Lady steht auf einem Felsenriff bei Plymouth. Die Kamera unterstreicht den drohenden Untergang. Sie kippt den Horizont in die Schräge. »Come«, schreit die Stimme in den wahnsinnigsten Kurven; dann guckt die Kamera unter den Beinen der Lady Macbeth hindurch; sie steht gespreizt auf den Klippen, dunkel gurgelt das Wasser hindurch: »Come - to bed

 

Die Stimme, die aus den Kontrasten zwischen dem Schwarz und Weiß des Bildes ihre Spannung bezieht und hält, findet ihren Platz in der Statik der Kameraeinstellungen. Zwischen Totalen und Großaufnahmen findet die Kamera - nichts. MACBETH ist der ruhigste Film Praunheims - als Bild. Und gleichzeitig einer der höchsten Intensität. Er hat seine Stimmungslage in einem unverwechselbaren Bild-Ton-Raum gefunden. Wobei man, statt von einer spezifischen Ästhetik, lieber von der erfolgreichen praunheimschen Taktik sprechen sollte, vorgefundene oder offerierte Gegebenheiten zum Schauplatz eigener Lebensinhalte umzufunktionieren und die Erwartungen der Offiziellen dadurch zu düpieren, daß er deren schön/schlimme Befürchtungen noch übertraf.

 

Vorgefunden sind die Schauplätze in Berlin (Innenaufnahmen, das Schneefeld), in Plymouth und in Südengland (Stonehenge, Corfe Castle, Menac Theatre [Cornwall]). Das alte Schauerdrama wird von realen Drehplätzen eingeholt – und von jungen Darstellern, die offensichtlich von heutzutage sind. Und die Macbeth-Oper ist von einem usurpiert, der keinen einzigen Ton schrieb. Stimm-Werkstatt war das Badezimmer der Sekretärin Lynn French aus Stratford-on-Avon. Dort unterwarf Praunheim die kraftvolle Sekretärinnenstimme einem Spezialtraining, und der Regisseur erinnert sich, wie das Stimmopfer des öfteren in die Wanne fiel, da sie zu viel Luft schluckte. Magdalena Montezuma ist im MACBETH-Film nicht zu hören. Sie agiert zum playback der French-Stimme auf die grandioseste Weise. Hinter jeder Felskante darf man das Tonbandgerät vermuten, das während der Aufnahmen die Wahnsinnsmodulationen von sich gab.

 

Die konventionellen Hör-Bilder einer Opernmusik werden von Praunheim barbarisch zerstört. Doch gleichzeitig wird auf die unterhaltsamste Art deutlich, daß er lediglich die Zerstörung vollstreckt, die in den Kompositions- und Marktgesetzen dieser Musik angelegt ist. Welche sich, zickig, der Verwendung durch unbefugte Hände wie denen Praunheims widersetzt: als Standesbarriere standen und stehen dem die GEMA-Gebühren entgegen. Das Geld konnte der Filmmacher für solche Produktion nicht aufbringen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Funktion eines nichtmusikalischen Opernmachers zu übernehmen - falls er sich von den Freuden und Wonnen dieses Medienbereiches nicht ausgrenzen wollte.

 

Freilich ist der Opern-Ton nicht allein als Akt der Not und Verteidigung zu erklären. Praunheims Umgang mit der Filmtechnik zeigt deutlich Aggression gegenüber dem Medium. Musterbeispiel eines koketten Sadismus' ist die technische Verstümmelung der Schlußsequenz: der Zweikampf Macbeth/Macduff auf dem berliner Schneefeld. Nichts sieht man von den so sorgsam selbstgeschneiderten Kostümen, da der Kameraassistent trotz genauer Anweisungen, die Praunheim erteilt haben will, die Belichtung falsch eingestellt hatte. Darüber hinaus, so erinnert sich der Regisseur weiter, habe das Kopierwerk das Material falsch entwickelt. Praunheim will sodann bemüht gewesen sein, das grausige Material den Verbesserungsbemühungen der Lichtbestimmer zu entziehen und es dem Herrn Arweiler vom WDR zwecks Abnahme vorzuführen. »Er empfand das Werk als eine Schändung und Zumutung. Als Antwort fiel ich vor Erregung vom Stuhl, als ich meinem Gegenüber vor Wut gerade eine Gabel in den Bauch stechen wollte

 

Die Anekdote ist lehrreich. Der TV-Souverän, der gönnerisch/herablassend einen Freiraum gewährt, wird vom Bedachten genarrt, der mit dem Klischee der Leutseligkeit zu spielen weiß. Der Hofnarr erklärt bad technic beautiful, und der Herrscher hat die Beweislast. - Praunheim erläutert seine Vorwärtsverteidigung: »Macbeth ist ein faschistischer Film. Der Kinosaal wird zum KZ. Der Zuschauer soll mit einer historisch grausamen Struktur bekannt gemacht und psychisch vergewaltigt werden. ... Für mich bedeutet der Film Sprachanalyse, Wörter ohne Sinn und Verstand, die jegliche Toleranz in Frage stellen

 

Die Uraufführung des Films im Herbst/Winter 1971 im new yorker Anthology Cinema provozierte eine »Stuhlreihe alter jüdischer Damen mit fantastischen Topfhüten« (Praunheim) und führte zum Skandal. Im Katalog der »documenta V« setzte Praunheim die Provokation fort. Zur Aufführung des Films im kasseler Avantgardezentrum erklärte er heuchlerisch-selbstkritisch: »Ich möchte mich deutlich als schlechtes Beispiel dokumentiert wissen, allzu schnell von einer dankbaren Kulturindustrie als freischaffende elitäre Tunte isoliert, bald in Wettbewerb und Rivalität zerschlissen und als Alibi für eine unmenschliche Gesellschaft bewundert.«

 

Dem Münchner Merkur war die Lady Macbeth des praunheimschen Films eine spaßige »wilde Grab-Jodlerin«. Der elitären Monatszeitschrift Filmkritik sah der Film »wie zur Aufbewahrung von Träumen erfunden aus: ... ein Silberton von historischem oder Stummfilmmaterial, ein Grau aus Räumen, durch die der Wind geht, das Relief-Schwarzweiß aus Fläche und hellem Körper, wie man es aus Stummfilmpornos kennt«. Dann zeigte Praunheim seinen Film staunenden Asiaten in Saigon und - während des indisch-pakistanischen Krieges - in Kalkutta. Was denn auch das Ende der MACBETH-Rezeption war.

 

Dietrich Kuhlbrodt

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Rosa von Praunheim; Band 30 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags

 

MACBETH OPER VON ROSA VON PRAUNHEIM

BRD 1970

Regie, Drehbuch, nach Motiven aus William Shakespeares Tragödie Macbeth, Kamera, Schnitt, Ton: Rosa von Praunheim.  

Darsteller: Magdalena Montezuma (Lady Macbetb), Berryt Bohlen (Duncan, König von Schottland), Volker Eschke (Macbeth), Steven Adamczewski (Macduff), Rainer Kranich (Ross), Lynn French (Sprecherin des Textes der Lady Macbeth). - Produktion: WDR. - Redaktion: Josef Arweiler. - Drehzeit: Januar 1970. - Drehort: Stonehenge, Corf Castle, Menac Theatre, Plymouth, Berlin. - Produktionskosten: ca. 40 000 DM. - Format: 16 mm, sw. - Originallänge: 45 min. - Uraufführung: Herbst/Winter 1971, Anthology Cinema, New York; diese Premiere liegt vermutlich noch vor der deutschen TV-Uraufführung. - Deutsche Kinoerstaufführung: 31. 5.1972, Hamburger Filmschau. - I`V:18.12.1971,14.3.1974 (HR III); 29.12. 1971 (WDR III).

Der Film wurde in englischer Sprache gedreht. - Die TV-Ausstrahlung erfolgte zusammen mit Werner Schroeters Macbeth.

 

 

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