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Miami
Vice
Als NBC am 16. September 1984
den Pilotfilm der Krimiserie “Miami Vice” ausstrahlte, begann ein neues Kapitel
Fernsehgeschichte. Innerhalb kürzester Zeit vollzog “Miami Vice” die Wandlung
vom Unterhaltungsprodukt zum kulturellen Phänomen mit einer Breitenwirksamkeit,
wie es bis dahin nicht einmal Edel-Trash vom Schlage “Dallas” oder “Denver”
und erst recht keine Krimiserie geschafft hatte. Das Erfolgsrezept steckte schon
im Arbeitstitel, mit dem die Serie ein Jahr zuvor der NBC angeboten worden war:
“MTV Cops”. Das Timing der Macher trug wesentlich zum phänomenalen Erfolg
von “Miami Vice” bei. Die Serie entstand in dem sehr engen Zeitfenster (1984
bis 1989), in dem ein solches Unterfangen wohl nur möglich gewesen wäre:
zwischen den experimentiellen Boom-Jahren von MTV und dem rapiden Verfall einer
populären Mainstreamkultur, die sich bald darauf, spätestens ab Anfang
der Neunziger Jahre, in viele kleine Nischen auflösen sollte.
“Miami Vice” griff mit seinem
schnittigen Konzept aus Musikclip-Ästhetik (inkl. den dazugehörigen
Hits von Phil Collins, U2, Foreigner und Miami Sound Machine), Sex & Violence,
schnellen Lifestyles, dem unverwechselbaren, am lässigen Chic schwuler
Club-Bouncer angelehntem Mode-Diktat und einer wohltemperierten Farb-Palette,
die alle Verheißungen des South Beach-Urlaubs-Glamours beschwor, so virtuos
auf die unbewussten Selbstverwirklichungsfantasien der 15-35jährigen-Zielgruppe
zu, dass die Serie schnell synonym mit jener historischen Ära wurde, in
der Yuppies und Hipster sich ästhetisch zu konsolidieren begannen. Das
Konzept erwies sich als bahnbrechend. “Miami Vice” definierte und dominierte
nicht nur die späten Achtziger Jahre – es versinnbildlichte ihren großkotzigen
Narzissmus auch mit einer Selbstverständlichkeit, wie es wohl nur noch
im Frühwerk Brett Easton Ellis’ zu finden war.
Im Anbetracht der zeitlichen und
kulturellen Umstände, unter denen “Miami Vice” vor zwanzig Jahren zu einem
globalen Phänomen wurde, konnte Michael Manns Ankündigung eines Remakes
nur allgemeine Ratlosigkeit auslösen. Nicht nur, dass niemand – am allerwenigsten
die Mehrzahl der jüngeren Kinogänger, die nicht die entfernteste Erinnerung
an die Ära pastellfarbener Schulterpolster-Sakkos und weißer Segeltuch-Latschen
hegen - auf solche eine Wiederbelebung gewartet hatte. Die Übertragungsleistung
dieses hoffnungslos selbstbezüglichen und zeitbezogenen Mikrokosmos in
die Gegenwart bedeutete einen Kraftakt, der zwangsläufig in die post-ironische
Isolation geführt hätte.
Dass Michael Mann, Schöpfer
und ausführender Produzenten der Fernsehserie, sich noch einmal in seine
Vergangenheit zurückbegibt, um sich dieses ästhetischen Schreckgespensts
zu entledigen, macht andererseits durchaus Sinn. Mann hat in den vergangen Jahren
mit “Heat” und “Collateral” - ambitionierte Verfeinerungen früherer Experimente wie
“Thief”, “Manhunter” und eben “Miami Vice” - sein persönliches Signet im modernen
Großstadtwestern hinterlassen. Insbesondere “Collateral” mit seiner düsteren
Körnigkeit und dem wirkungsvollen Zusammenspiel von weit auffächernden
Blau-und Schwarztönen und nächtlichen Neonlichtern erinnerte stilistisch
an Manns erste filmische Fingerübungen. Stil kam in Manns Filmen stets
vor Inhalt, und nur wenige Regisseure können ihrem Sinn für formale
Präzision so rückhaltlos vertrauen wie er. Somit war relativ klar,
dass sein “Miami Vice”-Film nicht zu einer nostalgischen Achtziger Jahre-Party
regredieren würde. (Auf Cameos von Don Johnson und Philip Michael Thomas
hat Mann ebenso verzichtet wie auf die Titelmusik von Jan Hammer).
“Miami Vice” funktioniert weniger
als Remake der Serie denn als Neubestimmung des Konzepts “MTV Cops” im Jahr
2006. Hierfür hat Mann die Idee der Serie auf wesentliche Elemente heruntergebrochen:
Musik, Rennboote, schnelle Autos, eine tropische Fiebrigkeit, große Waffen
und die elegant-sportliche Garderobe seiner Akteure. Sie bilden die bekannten
Versatzstücke der Fernsehserie, über die Mann einen völlig anderen
Film gestülpt hat. Formal ist “Miami Vice” eher die Fortsetzung zu “Collateral”.
Eine Gruppe abgebrühter Profis durchstreift die nächtliche Großstadt
wie ein Trupp Soldaten, durch nichts motiviert außer der Pflichterfüllung.
Ihr Job ist ihr Leben – über Privatleben, Familen und Vergangenheit erfahren
wir kaum etwas. Was sie verbindet, ist ihre Professionalität. Dem Hedonismus
des Originals hat Mann völlig abgeschworen.
Gleichzeitig bringt dieser Reduktionsmus
eine allzu oft übersehene Qualität der Fernsehserie zum Vorschein:
ihren Pessimismus, der im kurzen Episodenformat gewöhnlich vom Oberflächenglanz
der hellen Accessoirs überstrahlt wurde. Unter der pastellfarbenen Oberfläche
von “Miami Vice” stauten sich Frustrationen, die das dröge Tagesgeschäft
bereithielt. Die Serie war bevölkert mit korrupten Cops, selbstmörderischen
Cops, krankhaft-obsessiven Cops, Cops am Rande des Nervenzusammenbruchs – eine
hochempfindliche Desillusioniertheit unter der Sonne Floridas. Ähnlich
beginnt auch “Miami Vice”. Nach einer missglückten Undercover-Aktion, die
sowohl dem Einsatzteam als auch der Familie des Agenten das Leben kostet, wirft
sich ein Undercover-Cop vor einen heranfahrenden Truck. Das FBI wittert einen
Maulwurf in den eigenen Reihen und bittet die Polizei von Miami um Unterstützung.
Crockett und Tubbs, im Film gespielt von Colin Farrell und Jamie Foxx, gehen
erneut undercover und stoßen bald auf eine
Organisation von schwerbewaffneten Nazis und ein Drogenkartell, das bis nach
Paraguay reicht.
Manns “War against Drugs”-Szenario
ist von einer bestechenden Coolness. Schon die Eröffnung unterstreicht
Manns Rigorosität: keine Titelmusik, keine Einführung – der Film stürzt
sich direkt ins Geschehen: einem Einsatz in einem Nachtclub, durch den Farrell
und Foxx sich geschmeidig wie Raubtiere bewegen. Dion Beebes poröse Digitalbilder
kosten jeden Winkel dieser bedrohlichen Dunkelheit aus, machen sie sich zu eigen. Bild
für Bild wird „Miami Vice“ zu einem Kunstwerk. Manns morbider, mitleidloser
Manierismus ist singulär im derzeitigen Actionkino, das vom lauten Gepolter
der Jerry Bruckheimer-Schule dominiert wird. Auch in „Miami Vice“ gibt es zwei
atemberaubende Action-Sequenzen, so direkt und räumlich wie sie nur Mann
zu inszenieren vermag. Doch es gibt immer wieder Augenblicke, in denen er ganz
unvermittelt vom Geschehen abschweift, und den Blick seiner Protagonisten über
die Skyline oder das Meer schweifen läßt. Die Zeit spürbar macht.
Mann hat seine Geschichte so rigoros komprimiert, um genau solche Momente zur
Geltung zu bringen. Momente, in denen Pathos und unbedingter Gestaltungswille
zu einer stillen Übereinkunft kommen. Und dann gibt es diese unglaublich
kontrollierten Gewaltausbrüche. Gehirn, das an Wände spritzt. Eiskalte
Exekutionen. Exekution – Durchführung; das ist das Stichwort.
Manns Figuren sind zielstrebig
wie programmierte Maschinen. Was sie beginnen, wird zu Ende gebracht. Vielleicht
überragt Gong Lis Isabella gerade deswegen ihre männlichen Kollegen.
Hinter ihren harten Gesichtszügen verbirgt sich eine Gebrochenheit, die
sie noch annähernd menschlich erscheinen lässt. Die Männer dagegen
agieren wie Kameraden in einem Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Das ist nicht
minder Kräfte zehrend als zwanzig Jahren zuvor, nur hat sich Manns bedingungsloses
Arbeitsethos inzwischen ins geradezu Obszöne verkehrt. Der Mensch schafft
wie ein Hund, und verschwindet dabei ganz hinter seiner Arbeit. Diese Leere
füllt Mann mit einzigartigen Bildern. Das ist schön anzuschauen –
und gleichzeitig unglaublich frustrierend.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Pony (Göttingen)
Zu diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Texte
USA
2006 - Regie: Michael Mann - Darsteller: Jamie Foxx, Colin Farrell, Gong Li,
Naomie Harris, Ciaran Hinds, Justin Theroux, Luis Tosar, John Ortiz, Ilan Krigsfeld,
Tom Towles - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 132 min. - Start:
24.8.2006
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