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Pingpong
Paul hat Schuld. Er kommt unangemeldet
zu Besuch, er zieht eine Flunsch, wenn er in Onkels Zimmer nicht rauchen darf,
er verletzt sich mit der Kettensäge, blutet den Teppich voll und schließlich
verführt er noch Tante Anna. Dann zieht Vetter Robert die Flunsch, Tante
Anna fällt aus ihrer Romy-Schneider-Rolle und Hund Schumann hat das Nachsehen.
Außerdem will Paul mit seinem eklig eiternden Arm nicht zum Arzt. Was
bleibt einer halbwegs intakten Kleinfamilie anderes übrig, als ins Kriseln
zu geraten? Aber irgendwie sind sie es auch selbst Schuld, wenn sie sich, trotz
Wespenplage, mit Marmelade bewerfen, wenn sie ihre Tischtennisplatte zerdeppern
oder ihren Kirschbaum zersägen lassen.
So lustig all das auch klingt, so
unlustig ist die Abschlussarbeit von Matthias Luthardt wohl gemeint. Die vermutlich
offizielle Lesart: Schon bevor Paul kam, war die Welt dieser gut situierten
Mittelschicht nicht mehr heil und der liebe Paul nur Katalysator des Zerfallens,
der lockenköpfige Jüngling, dessen Vater sich kurz zuvor erhängt
hat. Wie konnte der ihm das auch antun, so blau angelaufen in der Garage rumzubaumeln?
Dass niemand, auch Paul nicht, weiß, wieso er den Freitod wählte,
korrespondiert offenbar mit dem generellen Desinteresse am Anderen. Ein Gegenwartsproblem.
Das Kammerspiel “Pingpong“ ist ein
Versuch, der neuen deutschen Kino-Sachlichkeit eine weitere Studie zum Thema
„Stagnation-Nation“ beizusteuern, gelangt dabei aber kaum über die angestrengt
konstruierte Nahaufnahme einer gelangweilten - und langweilenden - Gesellschaftsschicht
hinaus, die sich den Luxus verrottender Swimming-Pools und papierener Charaktere
leisten kann. Es gibt Filme, die solche Pseudo-Wellness-Welten treffender desavouieren.
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Applaus (München)
Nachtrag
(für die filmzentrale):
Insgesamt
wurde der Film wohlwollend besprochen. Man fühlte sich ans französische
Kino erinnert, an Chabrol oder Ozons „Sitcom“, andere brachten Pasolinis „Teorema“ ins Spiel und
wieder andere sahen Verbindungen mit der „Berliner Schule“.
Mag sein,
dass Regisseur Luthardt seine Franzosen studiert hat und dass er ein Paar Tricks
für den Handlungsaufbau etwa bei Chabrol abgeguckt hat. Aber zu einer schwarzen
Komödie fehlt „Pingpong“ die funktionierende Psychologie und die beißende
Schärfe, die eine bürgerliche Doppelmoral entlarven könnte (und
übrigens das Komische). Vielleicht rührt das daher, dass dem Regisseur nicht recht klar ist, was er eigentlich entlarven will
oder bestenfalls daher, dass die Defekte des deutschen Gegenwarts-Bürgertums
eben kaum einen, weil bisher kaum analysierten, Wiedererkennungswert besitzen.
So aber kann die Chabrol-Methode nicht funktionieren. Wer überzeichnen
und damit entlarven will, muss kennen, was er da überzeichnet.
Wenn
nun das zu untersuchende Objekt aber diffus ist, ist die „Berliner Schule“ ein
guter Ratgeber, zu deren stärksten Leistungen eben das geduldige, nicht-ideologische
Sich-auf-Unbenanntes-Einlassen, reine Beobachtung, gehört. Aber daran wiederum
hindert „Pingpong“ seine konventionelle dramatische und programmatische Zielvorgabe.
Der Film ist also weder Fisch noch Fleisch.
Aber
„Pingpong“, außer auf rein inhaltlicher Ebene, mit einem Film wie „Teorema“
zu vergleichen, ist schlichtweg ein Sakrileg. „Teorema“ ist kein authentisierendes
bürgerliches Drama, sondern a priori das reine Kunstwerk, die große
Gesellschaftsparabel, die sich nicht mehr um „Realitätsnähe“ scheren
will oder muss. Die männliche Hauptfigur in „Teorema“, mit seinem erotischen
Charisma erinnert an einen diabolischen Christus, Paul aber kommt daher wie
die spätpubertäre Ausgabe eines dieser bis zum Erbrechen herzigen
Strubbelköpfe der ZDF-Serie „Ich heirate eine Familie“.
Andreas Thomas
Pingpong
Deutschland
2006 - Regie: Matthias Luthardt - Darsteller: Sebastian Urzendowsky, Marion
Mitterhammer, Clemens Berg, Falk Rockstroh - Länge: 89 min. - Start: 16.11.2006
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