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Reise
in Italien
Szenen einer Ehe
Neapel. Leben. Vitalität.
Eine Villa außerhalb bietet den Blick in die Weite, auf den Vesuv, nach
Sorrent und auf die Insel Capri. Das Meer öffnet sich, strahlt Ruhe und
Frieden aus. Und es sind diese Bilder, es ist diese Lebensfreude des Südens,
die so drastisch konterkariert werden von einer Ehekrise. Ein Auto fährt
Richtung Neapel. Das englische Ehepaar Katherine und Alex Joyce (Ingrid Bergman,
George Sanders) hat die Villa geerbt, von einem verstorbenen Onkel, der Jahrzehnte
in Italien gelebt hatte. Doch die beiden wollen das Haus nicht etwa beziehen,
sondern verkaufen. Acht Jahre sind die beiden verheiratet.
Alex ist Anwalt, vor allem aber
so etwas wie ein Workaholic. Er redet fast nur von seiner Arbeit, dass er den
Verkauf der Villa schnell hinter sich bringen will, um rasch wieder nach Hause
zurückzukehren. Anders Katherine. Sie will am liebsten länger hier
bleiben. Sie lebten wie zwei Fremde nebeneinander her, sagt sie zu Alex. Und
hier, in der Fremde, im Ungewohnten, abseits des ehelichen Alltags, wird immer
deutlicher spürbar, wie weit sich beide auseinander gelebt haben.
Rossellini inszenierte diese Geschichte,
diese Szenen einer Ehe, nicht als ein ausgereiftes Melodrama, obwohl der Schluss
des Films melodramatisch ist. Fast nüchtern wirkt sein Blick und der Blick
der Kamera auf das Paar, das sich darin ergeht, sich gegenseitig Vorwürfe
zu machen. Alex ist ein Zyniker, ein arroganter Kerl. Als Katherine an einen
verstorbenen Dichter denkt, den sie kannte, und eines seiner Gedichte zitiert,
quittiert er dies mit der Bemerkung, Dichter und Dummköpfe seien dasselbe.
Katherine hingegen geht ihre eigenen Wege. Mehrfach fährt sie nach Neapel,
um sich ein Museum anzuschauen, Statuen von Nero, Tiberius und Herkules. Oder
die Ausgrabungen in Pompeji. Oder den Apollo-Tempel. Alex empfängt mit
den beiden Verwalten der Villa, den Burtons, die Interessenten, und als es wieder
einmal zum Krach kommt, entschließt er sich, ohne Katherine nach Capri
zu fahren, um sich dort zu amüsieren. Katherine weicht ihm aus, greift
ihn an, ist wütend, weil er sich nach einer Party, bei der sie sich amüsiert
hatte, wieder einmal über sie lustig macht, ihr "romantische Versponnenheit"
vorwirft und sie darauf kontert: "Du und Deine Arbeit."
Die Kälte der Gefühle
hier scheint auf die Hitze der Gefühle dort zu treffen. Der Panzer, den
sich Alex zugelegt hat, um ja nicht Gefühle zeigen zu müssen, ist
durchlässig. Das Zynische, Verletzende, Erniedrigende kommt - als ob es
zeitlich abgestimmt wäre - zum Vorschein. Die Speerspitzen treffen. Katherine,
die Verletzte, lebt in ihrer Verletzung. Sie kostet sie aus. Sie schießt
zurück, ebenso gezielt, aber mit der Mentalität des Opfers, das seine
Rolle angenommen hat. Man beißt sich fest. "Du und deine Arbeit"
hier, "Du und deine romantische Versponnenheit" dort. Man könnte
auch sagen "Du und dein kalter Verstand" hier, "Du und Deine
Gefühlsduselei" dort.
Während sich Katherine -
in der zeitweiligen Flucht vor Alex - dem Antiken, dem Toten, dem Vergangenen,
dem Erstarrten in Museen und in Pompeji zuwendet, scheint sich Alex dem Leben,
der Freude zu widmen, als er nach Capri fährt, Klavier spielt und anschließend
eine Prostituierte in Neapel mitnimmt. Doch diese Ferne zwischen den beiden
ist zugleich ihre Nähe, eine Nähe, die verletzend ist, eine Nähe,
die sich als eine Art Machtkampf entpuppt, als ein regelrechter Krieg. Eine
Nähe, in der sich beide reiben, ein Wechselbad von Anziehung und Abstoßung.
"Ich werde nicht nachgeben.
Er wird schon sehen, was er davon hat", sagt Katherine im Auto. Und Rossellini
zeigt Ingrid Bergman in Großaufnahme, auf uns zufahren. Und dann zeigt
er uns - als Alex aus Capri und Neapel in die Villa zurückkehrt -, wie
aufmerksam Katherine horcht, was er jetzt macht, wohin er geht, ob er zu ihr
kommt. Aber Alex reagiert wiederum kalt, abweisend. Man wolle sich scheiden
lassen, sagen beide.
Und wirklich scheinen der kühle
Verstand und die eiskalte Vernunft zu kämpfen gegen den beißenden
Vorwurf und die stechende Emotion. Der Täter und sein Opfer. Das Opfer
und sein Täter. Beides verschwimmt uns in seiner Klarheit vor den Augen.
Und wir spüren, vor allem bei Katherine, aber auf andere Weise eben auch
bei Alex, was sich hinter diesem neurotischen Kampf an Gefühl, an Wunsch,
an Sehnsucht verbirgt. Der Wunsch nach Zuneigung. Man könnte auch sagen:
Während Alex unfähig ist, seine Gefühle zu offenbaren, seine
Wünsche zu artikulieren und statt dessen alles durch seinen Verstand abwehrt,
was ihm an Emotion entgegen flutet, ist Katherine nicht in der Lage, ihre Gefühle
unter Kontrolle zu halten. Beide entkommen der Realität, reagieren neurotisch.
Katherine hält es nicht aus, als die Archäologen in Pompeji die Skelette
eines Paares ausgraben, das durch die Lava getötet wurde. Sie sieht sich
und Alex, zwei Tote, zwei Lebende, deren Beziehung tot zu sein scheint.
Dass Rossellini diese Ehekrise
am Schluss durch einen Akt der Besinnung beendet, mag überraschen. Es hätte
auch anders ausgehen können. Als beide mit dem Auto in einer Prozession
zum Halten gezwungen sind und aussteigen, beeindruckt davon, dass die Neapolitaner
dies nicht nur als eine rituelle, religiöse Handlung begreifen, sondern
selbst eine solche Prozession als Teil ihrer Lebensfreude genießen, wird
Katherine plötzlich durch die dichte Menschenmenge mitgerissen. Sie ruft
um Hilfe, nach Alex. In diesem Moment des Weggerissenwerdens wird den beiden
offenbar etwas bewusst. Eine fremde Kraft reißt sie auseinander. Ihre
eigene Kraft bringt sie wieder zusammen.
Das destruktive Fremde und die
neurotische Nähe zwischen den beiden wird plötzlich als etwas
Wesensfremdes deutlich und beiden bewusst. Der Schrei um Hilfe hier, die Angst
um Verlust dort ist wechselseitig. Der sehnliche Wunsch am anderen überwiegt
plötzlich die Angst, das unstillbare Bedürfnis am anderen zerstört
den Krieg zwischen beiden. Sie fallen sich in die Arme. Erlösung. Wie weggeblasen
scheint das Fremde, das Ferne zwischen beiden. Dieser romantische Schluss aber
vermittelt eine andere Romantik als jene blinde Romantik, die den Verstand auszuhebeln
weiß. Es ist eine Art aufgeklärte Romantik. Auch wenn längst
nicht alles zwischen den beiden geklärt scheint, so sind sie sozusagen
auf dem besten Weg zueinander.
Alles scheint seine Wertigkeit
verloren zu haben, was bisher galt: der Krieg, der Kampf um Macht, der Zynismus,
die Opfermentalität, die Herrschaft des Verstandes ebenso wie die Herrschaft
der Gefühle. Dass Rossellini dies alles in einer fast nüchternen,
sachlichen Inszenierung zeigt und in die wunderbare Szenerie aus Neapel und
Umgebung einbettet, macht "Viaggio in Italia" zu einem Vorläufer
der nouvelle
vague in
Frankreich, deren Protagonisten auf diesen Film und "Stromboli" rekurrierten, während
die Verfechter eines "reinen" Neorealismus nicht erkannten, wie Rossellini
gerade diesen Neorealismus mit beiden Filme fortentwickelte. Ich vermute sogar
einmal, dass auch ein Regisseur wie Ingmar Bergman stark durch Rossellini beeinflusst
wurde.
Roberto
Rossellini wäre am 8. Mai 2006 100 Jahre alt geworden. Anlässlich
dieses Tages erschien jetzt die DVD "Roberto Rossellini Anniversary Edition"
mit den vier Filmen "Reise in Italien", "Stromboli", "Deutschland
im Jahre Null" und "Paisà", die bei jpc € 25,99 kostet.
Die DVD-Edition enthält ein ausführliches Booklet zum Regisseur und
seinen Filmen, allerdings kein zusätzliches Material auf den DVDs.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Reise
in Italien
(Viaggio in Italia)
Italien 1954, 79 Minuten
Regie: Roberto Rossellini
Drehbuch: Roberto Rossellini, Vitaliano Brancati
Musik: Renzo Rossellini
Kamera: Enzo Serafin
Schnitt: Jolanda Benvenuti
Produktionsdesign: Piero Filippone
Darsteller: Ingrid Bergman (Katherine Joyce), George
Sanders (Alexander Joyce), Leslie Daniels (Tony Burton), Natalie Ray (Natalie
Burton), Maria Mauban (Marie), Anna Proclemer (Prostituierte), Jackie Frost
(Betty), Paul Muller (Paul Dupont)
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