zur startseite
zum archiv
Rocky Balboa
Kopfschmerz
& Nasenbluten
"Rocky Balboa" oder
Warum ein alter Mann sich noch einmal verprügeln lässt
„It ain’t over til it’s over“
– es ist nicht vorbei, bevor es vorbei ist, heißt
die amerikanische Werbezeile zu Rocky Balboa. Wir erinnern uns: Rocky, das war der Part, der Sylvester
Stallone 1976 zum Star machte, der ihn durch eine Handvoll Filme und eine ganze
Karriere begleitete. Jetzt hat Stallone Rocky, den Boxer, wiederbelebt. Abrechnung
mit einer liebenswerten Knautschfresse.
Man mag von Sylvester Stallone
als Autor, Darsteller und Regisseur halten, was man mag: Unbestreitbar ist es
ihm gleich zwei Mal gelungen, eine Leinwandgestalt zu kreieren, die tief ins
US-amerikanische Bewusstsein und offensichtlich noch tiefer ins Unbewusste reichte
und immer noch reicht – auch der Rest der Welt blieb nicht unbeeindruckt. Der
italo-amerikanische Boxer Rocky und der deutsch-indianische Vietnam-Veteran Rambo waren mehr als die Helden für
Krisenzeiten, die aus der – damals scheute sich niemand, dies so zu nennen –
Unterschicht kamen, Modernisierungsverlierer, die die Politik und das Publikum
an die großen amerikanischen Werte erinnerten, weniger an Freiheit und
Demokratie als vielmehr an Durchhaltevermögen, den spirit to win, die Aufstiegschancen des Einzelnen und natürlich an die
Nation, die Fahne und die Bereitschaft, für all das zu kämpfen, zu
töten und zu sterben. Die Antwort auf die vermeintlich falsche Politik
war die Nationalisierung der Biografie.
Für den gebildeten Mitteleuropäer
und für den gestandenen Liberalen in New York waren Rocky und Rambo so indiskutable Träger ideologischer Substanzen wie für
viele Kritiker die Filme unerträglich. Pauline Kael fand Rocky immerhin „amüsant“ und hob
speziell Stallones „erstaunliche“ Darstellung und sein „überraschendes
Timing“ hervor, während Janet Maslin in der „New York Times“ vom „Einfallsreichtum“
und der „Energie“ des ersten Rambo angetan war, zu dessen Stärken für sie nicht zuletzt
sein „grimmiger, agiler Held“ gehörte. Dennoch wurde Sylvester Stallone
Jahre später, nachdem er mit schöner Regelmäßigkeit mit
der Goldenen Himbeere für die schlechtesten Leistungen in seinem Metier
ausgezeichnet worden war, auch noch als „schlechtester Darsteller des Jahrhunderts“
geehrt. Aber da hatte er schon längst einen gewissen Respekt auch bei der
Gegenseite seiner, gelinde gesagt, konservativen Botschaften – unter anderem
als unermüdlicher Wahlkämpfer für die Republikaner – erworben,
ungefähr so, wie ja auch die amerikanische Linke dem Erzreaktionär
John Wayne nicht vollständig ohne Respekt begegnen konnte. Wegen seiner
Aufrichtigkeit vielleicht, seiner „Ganzheit“, seiner Authentizität, aber
auch wegen seiner Bereitschaft, seine Kinogestalt von großen Regisseuren
demontieren zu lassen. Auch Stallone hat neben vielem Unfug und seinen Heldenserien
den einen oder anderen Ansatz zur Selbstdemontage gezeigt; Tango & Cash machte den Actionmythos leicht
und grotesk, und Copland zum Beispiel, das war kein schlechter
Stallone in gar keinem schlechten Film.
Rocky und, mehr noch, Rambo sind als ideologische Konstrukte
hinreichend beschrieben, es ist so ziemlich alles, was man an rechter Americana
im Hollywoodkino und als besonders blutrünstige Art der Gewaltfantasie
hassen kann. „Rocky-Posen“ und „Rambo-Manieren“ wurden zu festen Begriffen der
moralischen Rhetorik. Die Wirksamkeit beider Filmserien allerdings verdankte
sich zwei Elementen, die in den zahllosen B-Imitaten nicht angeboten – und dort
offensichtlich auch nicht gebraucht – wurden. Das erste ist, dass beide Wiedergeburtsfantasien
des amerikanischen Helden aus einer durchaus realistischen, fast bitteren Gesellschaftsbeschreibung
entstanden. Der ursprüngliche Rambo-Film schilderte eine bösartig ignorante Provinzgesellschaft,
die sich dem Vietnam-Veteran gegenüber vollkommen kalt zeigt – mitleidloser
und gleichgültiger, als es der Dschungel in Südostasien je gewesen
sein konnte, in den der Held dann auch (mit offensichtlichem revanchistischem
Furor) zurückkehren musste. Weil blutiges Feindesland immer noch mehr Zuhause
ist als kalte Heimat. Und Rocky zeigte den Aufstieg eines Boxers aus der Schattenseite der Stadt
und nahm sich bemerkenswert viel Zeit und Zärtlichkeit, das „Unten“, aus
dem Rocky kommt, zu beschreiben, während das „Oben“, zu dem sein Weg führt,
eine pure Glamour-Abstraktion blieb.
Rocky und Rambo nahmen ihre proletarische Herkunft
an, und Stallone zeigte einen Menschen, der es aus seinem Milieu der schmutzigen
Straßen und schlecht geheizten Behausungen nie zu einem Bürger bringen
würde. Für ein sehr kleines Glück muss dieser Homo americanus
zum Schläger und Killer werden. Und kaum ist der Kampf vorbei, bleiben
nichts als sentimentale Erinnerungen, die kaum jemanden wirklich interessieren.
Genauer gesagt: Es sind Legenden, die wenig Bezug zu ihrem Subjekt haben; selbst
als nationaler Held wird dieser Proletarier noch ausgebeutet (und die besseren
Filme der Serien zeigen es, auch wenn sie es nicht verstehen). Kein Wunder also,
dass er sich, egal in welchem Alter und in welchem Zustand, immer nur einen
nächsten Kampf suchen kann. Wäre man nicht so verdammt nah dran an
diesem kaputten, aber unbeirrbar un-zynischen Helden, müsste man das alles
als eine gewaltige Groteske betrachten. Der proletarische Held in einem Laufrad
der Superkämpfe – vielleicht, weil er an schlichte Arbeit nicht mehr glauben
kann. Seine einzige Chance, sich in den Mainstream der Gesellschaft einzuschreiben,
sind martialische Phrasen, die Verwandlung in eine Killermaschine, die Konstruktion
eines absurden Feindbildes. Der Underdog verbündet sich wahlweise mit den
Medien oder mit dem Staat, weil er, anders als der klassische Held in den Komödien
von Frank Capra, in der Gesellschaft weder Erlösung finden noch ihr Erlösung
bringen kann. Und umgekehrt bringt ihm auch der größte Sieg keinen
wirklichen Gewinn; er kämpft um sein körperliches und mehr noch um
sein moralisches Überleben. Diesen John Doe muss politische Herrschaft
nicht mehr fürchten, dieser Mister Smith geht nach Washington immer noch
als der Einzelne, der er vorher war.
Etwas fehlt zwischen dem öffentlichen
Bild und der amerikanischen Seele, was im klassischen populistischen Mythos,
der Verbindung des Westerners mit dem Capra-Helden, zwischen dem Mann und der
Botschaft stand. Dieses beglückende Gefühl eines „Wir schaffen es,
auch wenn nicht nur der Feind, sondern, schlimmer, die eigene Administration
gegen uns ist“, wird in einem Sylvester-Stallone-Film durch puren Trotz ersetzt.
In Wirklichkeit, da ist er sehr realistisch, ändert dieser Kampf des Einzelnen
gar nichts mehr (und das ist vielleicht das bedeutendste, widersprüchliche
Motiv des neuen und vermutlich nun wirklich letzten Rocky-Filmes): Zwar muss auch er, bevor er rausgeht und zuschlägt
oder tötet, das kleine Einmaleins des amerikanischen Populismus herunterbeten,
in seiner schiefmäuligen Art, die ihn so authentisch macht, aber dieser
Stolz heilt nicht mehr, er gerinnt – in seinen Filmen immer wieder ganz direkt
und bildlich – zur Pose.
Das bringt uns zum Zweiten, was
Stallones Filme von den reaktionären Action-Movies seiner Nachfolger und
Konkurrenten unterschied: Diese Mischung aus Realismus und Supertraum war als
magische Autobiografie vollständig ehrlich. Dafür sprach Rockys Traum
von einem Sieg im Ring, für den er nicht so sehr talentiert, nicht elegant,
nicht klug, nicht inspiriert sein musste, sondern nur mit der Bereitschaft ausgestattet,
sich vorher halb tot prügeln zu lassen. Ein Raging Bull, der auf dem Weg
zur Zerstörung und Selbstzerstörung gerade noch rechtzeitig haltmachen
kann, einer, der noch einmal die beiden widerstrebenden Glaubensgrundsätze
zusammengebracht hat: an sich selbst und deshalb an Amerika glauben, oder umgekehrt.
Man kann Stallones Filme also
dazu benutzen, einem ganz ehrlichen Reaktionär dabei zuzusehen, wie er
sich selbst träumt. Der erste Teil von Rocky Balboa löst alle diese Versprechungen durchaus ein. Wir sehen Rocky,
der ein kleines italienisches Restaurant führt, in dem er die Gäste
mit seinen alten Boxgeschichten unterhält. Sein Sohn ist irgendwie schräg
in der neuen Ökonomie angekommen und lässt sich von seinem Boss mies
behandeln. Rocky hält, wie es die Westerner gern taten, auf dem Friedhof
Zwiesprache mit seiner toten Frau. Er begegnet dem Mädchen wieder, dem
gegenüber er sich in Teil eins so besorgt gezeigt, das er vor den Getto-Gefahren,
dem Rauchen, dem Sex, dem Fluchen und der Gewalt gewarnt hatte, und er stellt
sie und ihren Sohn ein (der jamaikanische Vater ist verschwunden). Lebens- und
Ideenkreise sollen sich da schließen. Rockys Schwager ist immer noch der
schlecht gelaunte Arbeiter, wenn auch in einem veränderten Schlachthof.
Und überhaupt, machen wir uns nichts vor, ist alles noch schmutziger, verkommener,
gewalttätiger und heilloser geworden. Wunschloses Unglück allenthalben.
Rocky Balboa
schwelgt
dazu in Details, immer auf der Suche nach den Reminiszenzen des Anfangs; was
damals schon schäbig war, ist jetzt nur noch Ruine. Und was damals gefährdet
schien, hat sich jetzt schon mehr oder weniger aufgegeben.
In dieser Welt ist Rocky genau
der Freund, den man braucht. Er hilft, ohne viel davon herzumachen, er schafft
kleine Inseln des Vertrauens in einem Häusermeer der Verkommenheit. Er
erinnert in der Lakonie des klassischen American Hero an, nun ja, „Werte“. Rocky
schraubt, als würde er sich dabei nur das Praktischste denken, eine Glühbirne
in die Lampe vor dem Haus im Abbruchviertel. Und ein nächtliches Gespräch
mit dem Sohn reicht, um diesen vor dem falschen Weg des Mangels an Selbstrespekt
zu bewahren. So weit, so gut könnte sich der populistische Kitsch durch
die Detailliebe, durch die sanfte Beharrlichkeit der Erinnerung und eine selbstironische
Zurücknahme des Helden adeln: Sylvester Stallone, der Autor, der Darsteller,
der Regisseur liebt diesen Menschen, den er geschaffen hat. Aber Rocky muss
natürlich auch kämpfen, das gehört schließlich zum Prinzip
der Serie. Also muss man sich etwas einfallen lassen, um einen an die sechzig
Jahre alten und etwas fülligen Restaurantbesitzer noch einmal durch die
Torturen der Vorbereitung und die Prügeleien im Ring zu treiben. Die Motivation?
Es gibt jedenfalls keinen einleuchtenden materiellen Grund. Es ist vielleicht
genau dieser Mangel an Respekt. Rocky verlangt sein Recht vor der Lizenzjury.
Fürsorge, die seine Freiheit einschränkt, kann er nicht gebrauchen.
Den Übergang beschreibt bemerkenswerterweise eine neue Errungenschaft des
Entertainments: eine Computersimulation eines Rocky-Balboa-Fights. So ist noch
einmal die finale Prügeldramaturgie ein Sieg des Authentischen über
das Gefälschte. Rockys Gegner ist ein junger afroamerikanischer Champion,
der eine andere Art von Bewährung braucht; er muss Respekt lernen. Deswegen
gibt es am Ende des Kampfes in Las Vegas natürlich nur Sieger. Und eine
gewisse Treppe in Philadelphia wird zum Abspann als Touristenattraktion gezeigt,
an der sich Jung und Alt, Schwarz und Weiß in Rocky-Kampf- und -siegesposen
gefallen.
Der Kampf selbst ist visuell aufgepeppt,
wie medial zersetzt zwischen Realität, Fernsehbild und Show-Elektronik,
wie überhaupt alles „Moderne“ in dieser Feier des Altmodischen in Trümmern
als eine bizarre Störung kommt, auf die man indes mit allem Gleichmut reagiert.
Doch zugleich ähnelt dieser Kampf auch einem endlosen Slowburn. Es geht
nach dem Prinzip von W. C. Fields: Noch mehr, als eine makellose Sache kaputt
zu machen, macht es Spaß, eine ohnehin schon ramponierte Sache kaputt
zu machen. So handelt das letzte Viertel des Films von dem Versuch, eine Knautschfresse
zu zerknautschen. So glücklich ist Rocky/Stallone am Ende: Das hat er wirklich
gebraucht. Und das erhöht die Absurdität des ganzen Unternehmens schlicht
ins Surreale, führt es also in die Wirklichkeit zurück.
Wenn es etwas Hübsches an
Rocky Balboa gibt, dann ist es der Umstand,
dass sich der Film wenig Mühe gibt, die Absurdität dieses Unternehmens
zu kaschieren. Er unternimmt in vollem Bewusstsein etwas Verrücktes. Aber
leider macht er das Verrückte dieses Unternehmens auch wieder zum ideologischen
Programm. Rocky kämpft sich von aller Todesangst frei, kämpft den
ewigen Kampf um den neuen Anfang, und seine Umgebung und dann das ganze Land
verstehen das nur zu gut. Der Traum, den sich Rocky Balboa erfüllt, ist
der Traum, den sich Sylvester Stallone erfüllt. Und ihm dabei zuzusehen
scheint eine Menge Menschen die Herzen zu wärmen, auch solchen, die ansonsten
mit den Stallone-Mischungen aus Zuhauen, Phrasenmaulen und wieder Zuhauen nicht
so viel anfangen können. Wie so ein Comebackversuch in der Realität
aussieht, haben wir in Deutschland gerade so drastisch erleben dürfen,
dass auch eingefleischte Fans des mehr oder weniger edlen Boxsports dem Ring
den Rücken kehren dürften. Aber bei Rocky gehört das ja zum Traum
– das Verprügeltwerden ist notwendiger Teil der Apotheose. Im Zeitalter
des Überlebensopportunismus ist so ein Kerl offensichtlich als letzter
Held bestens geeignet. Nicht einmal ein hässlicher Hund aus dem Tierasyl
darf da fehlen.
Die Welt, so erkennt Rocky einmal,
hat sich nicht wirklich geändert, nur andere Klamotten tragen die Leute
(außer Rocky selbst, der immer noch seinen lächerlichen kleinen Hut
spazieren führt). Offensichtlich haben aber wir uns geändert; was
einst „Ideologie“ hieß und was man verachtete, das nennt man jetzt „Werte“
und scheut sich nicht, es zu lieben. Rocky Balboa ist der erste Versöhnungsfilm
für die Post-Bush-Ära.
Merkwürdig bleibt das schon.
Und auch ich, nicht viel jünger als Sylvester Stallone, erlaube mir so
viel Altersstarrsinn, eine miese Ideologie immer noch eine miese Ideologie zu
nennen, und die Bereitschaft, die eigene und anderer Leute Birne weichklopfen
zu lassen, erscheint mir als Antwort auf die Verwüstungen des Neoliberalismus
eher ungenügend.
Die alte Knautschfresse und ihre
Träume trotzdem irgendwie zu mögen, ist eine andere Sache.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film 2/2007
Über Rocky 2 schrieb Harun Farocki damals dies und über Rocky 4 Georg Seeßlen seinerzeit das
Rocky
Balboa
USA 2006. R und B: Sylvester Stallone. P: Charles Winkler, William
Chartoff, David Winkler, Kevin King. K: Clark Mathis. Sch: Sean Albertson. M:
Bill Conti. T: Mark Ulano. A: Franco-Giacomo Carbone, Michael Atwell. Ko: Gretchen
Patch. Sp: Mark Freund, Henrik Fett. Pg: MGM/Columbia/Revolution Studios. V:
Fox. L: 102 Min. FSK: 12, ff. Da: Sylvester Stallone (Rocky Balboa), Burt Young
(Paulie), Geraldine Hughes (Marie), Milo Ventimiglia (Robert Balboa, Jr.), Antonio
Tarver (Mason Dixon), James Francis Kelly III (Steps), Tony Burton (Duke). Start:
8.2. (D, CH), 9.2. (A)
zur startseite
zum archiv