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Rushmore
Endlich
macht sich mal jemand wieder die Mühe, Komödien als Präzisionsunternehmung
zu führen. Knappe Notizen zu einem üppigen Film über die Schönheit
des inneren Brennens.
Dass
Wes Anderson nach "Rushmore" in den Rezensionen als neues Wunderkind
des amerikanischen Films gefeiert wurde, hat vermutlich nicht so sehr damit
zu tun, dass er der begabteste Komödien-Auteur ist, der seit sicher einem
Jahrzehnt in den USA aufgetaucht ist, sondern eher damit, dass dieser Film (ebenso
wie der noch feinere Nachfolger "Die
Royal Tenenbaums")
so ausschaut, wie man sich das wohl gehütete Innere vom Kinderzimmers eines
genialen tüftlerischen 12-Jährigen vorstellt: übersät mit
buntem Klimbim, voll von emsiger Betriebsamkeit, hin und wieder knallt’s laut
und im Hintergrund läuft die ganze Zeit kindlich-verschrobener Sixties-
und Seventies-Pop. Sogar ein Foto von Schulfreund (und Co-Drehbuchautor) Owen
Wilson findet man, wenn man sich durchwühlt. Und wie ein großer Kalender
an der Wand teilt ein Theatervorhang das emsige Treiben in Monate auf.
Eine
derartige dramaturgische Inneneinrichtung verweist zuerst einmal auf die Polarität
zwischen Infantilität und sophistication, aus der Andersons Werk beträchtliche
Energien bezieht. (Frühreife Kinder und regressive Erwachsene sind in seinen
Filmen oft eher die Regel als die Ausnahme.) Niemals versuchen all die bunten
Farben und Töne darüber hinwegzutäuschen, dass schon allein die
obsessive Geschäftigkeit, mit der Andersons Filme und seine Protagonisten
ihren Plänen nachgehen, auf Blessuren im Inneren der Figuren hindeutet,
die respektvoll freizulegen es mehr als der Flamboyanz eines kinematographischen
whiz kid bedarf. Dass er genau das aber immer wieder schafft, darin liegt erst
das Format von Wes Anderson. (Ähnliches ließe sich über Spike
Jonze, die Farrellys, oft auch die Coens anmerken.) Das Bilderbuch-Flair seiner
Filme ist ihm dabei kein sarkastischer Kontrapunkt, sondern es ist genuiner
Rahmen, um von den Siegen wie von den Verwundungen seiner Charaktere liebevoll
zu erzählen. Die Würde einer Figur bewahren, das muss nicht heißen,
dass aus ihrem Schmerz keine Komik erwächst. Aber den Schmerz muss man
trotzdem fühlen, und zwar deutlich, alles andere ist Verrat.
Einer,
der uns in seinen lichtesten Momenten den Schmerz in der Komik über den
Umweg der Misanthropie vermitteln konnte, ist in "Rushmore" in einer
seiner definitiven Rollen zu bewundern: Wäre Bill Murray ein anderer Schauspieler
und nicht Meister des somnambulen Minimalismus, man müsste über seine
Darbietung als in ennui versunkener Millionär Herman Blume sagen: Bill
Murray in full effect. So aber: Sublimität bis an die Grenzen des Stillstands.
(Eine Darbietung übrigens, die Murray in "Lost
in Translation"
trotz der Parallelen im Charakter nicht zitiert, sondern dort ganz eigenständig
ganz anders erarbeitet.) Als eigentliche Hauptfigur gibt Jason Schwartzman neben
ihm ein im eigentlicheren Sinne fulminantes Kino-Debüt. Er muss hier leisten,
was Gene Hackman später für "Die Royal Tennenbaums" tun
würde, und er tut es mit Größe: Er ist der manische Motor im
Zentrum des Films, der mit seinen maßlosen, besessenen Plänen die
Handlung in Gang bringt und nach allerlei ausgeteilten und eingesteckten Hieben
ganz klassisch lernt, sich dem Realitätsprinzip anzupassen.
Und
außerdem haucht er einer dieser vertrackten Anderson-Charakter-Miniaturen
überzeugend Leben ein: Max Fischer, einem altklug-genialischen 15-Jährigen,
der als Stipendiats-Schüler an der elitären Rushmore Preperatory School
so gründlich seinem Ideal von universaler Geistesbildung (als Vorsitzender
von Fecht-, Imker-, Theater-, Kalligraphie- und etlichen anderen -Clubs an der
Schule) nachgeht, dass er gar nicht daran denkt, sich um seine "schulischen
Leistungen" im konventionellen Sinn zu kümmern; einem enthusiastischen,
irritierend selbstbewussten jungen Möchtegern-Intellektuellen, der für
den innerlich ausgebrannten Blume eher Mentor wird als umgekehrt. Zwist treibt
zwischen die beiden erst die Liebe für die junge, verwitwete Lehrerin Mrs.
Cross, von Olivia Williams interpretiert als die Volksschullehrerin, die jeder
gerne gehabt hätte. Und doch erhält die Rolle einige entscheidende
Facetten, die sie über ein rein männliches Phantasiebild erheben -
bei aller Neigung des Films zum boys’ own, zu einer männlichen, oder besser:
spitzbübischen Sicht der Dinge, die schon allein seine Bewunderung für
obsessiven Größenwahn jeder Art ausdrückt. Im Rausch des Machens,
wie er Max Fischer bestimmt, findet dieser Film sein Ideal und seine schönsten
Momente, auch wenn dieses innere Brennen erst in sinnvolle Bahnen geleitet werden
muss.
Mit
den paar erfolgten inhaltlichen Anmerkungen ist noch in keinster Weise angedeutet,
was sich hier in knapp eineinhalb Stunden alles an anbiederungsfreien Menschlichkeiten
ereignet. Die Story schlägt hier nicht nur bemerkenswerte Haken, manchmal
droht unter der Masse an Ideen und Details die "Handlung", die Motivation
der Charaktere und ihr logisches Reagieren, ein wenig unterzugehen. Die Charaktere
selbst greift das allerdings in der Ludizität ihrer Darstellung nicht an,
denn die tragen ihre Eigenschaften ganz äußerlich an sich, in ihrer
unmittelbaren Präsenz und auch einfach in ihrer Kleidung: Wie auch später
die Charaktere von "Die Royal Tenenbaums" den ganzen Film über
in einer ihnen jeweils auf den Leib geschriebenen, minimal variierten Garderobe
zu sehen waren, so trägt hier schon Bill Murray die ganze Zeit den selben
Anzug (Hemd und Krawatte wechseln, bleiben aber in derselben Farbe), so als
würde diese Kleidung etwas über den Kern seines Charakters ausdrücken.
Auch so eine scheinbare Simplifizierung und Karikaturisierung der Figuren, die
sich bei genauer Betrachtung als Liebe zum Detail herausstellt. Und in einer
geschlossenen, sinnträchtigen Welt, wie sie dieser Film durchaus im traditionellen
Geist des amerikanischen Studiofilms kreiert, heißt Detail immer auch:
Feinjustierung in der Bedeutung. Wer braucht da noch ein fehlerlos ratterndes
Plotwerk, um die Traumata des Personals durchzukonjugieren?
"Rushmore"
ist, ganz im Sinne von Lubitsch oder Keaton, Komödie als klassische Präzisionsunternehmung.
Die Anstrengungen des Films drängen hin auf die Errichtung einer eigenständigen
Erzählwelt ohne die undichten Stellen modernerer Komödien-Moden. Die
Referenzen an andere Filme (die Internet Movie Database zählt immerhin
30) drängen sich nicht in den Vordergrund (sieht man von zwei megalomanen
Theateraufführungen Max Fischers ab, einer Version von Sidney Lumets "Serpico"
und ein Vietnam-Drama mit ästhetischen Anleihen an "Apocalypse
Now"),
wie meist bei den Coens, und auch von der postmodernen Eigensinnigkeit der Selbstreflexion
(im Sinne von Spike Jonze/Charlie Kaufman) ist "Rushmore" weitgehend
frei. Um Anderson allerdings schnöden Restaurationismus vorzuwerfen, müsste
man schon übersehen, wie idiosynkratisch er an seiner kleinen Welt bastelt.
Joachim
Schätz
Diese
Kritik ist auch erschienen bei:
USA
1998 - Regie:
Wes Anderson - Darsteller:
Jason Schwartzman, Bill Murray, Olivia Williams, Seymour Cassel, Brian Cox,
Mason Gamble, Sara Tanaka, Stephen McCole, Connie Nielsen - Länge:
93 min. –Start
(D):
8.3.2001
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