Saving Private Ryan –
Der
Soldat James Ryan
Ein
Film wie DER SOLDAT JAMES RYAN trifft sein Publikum nicht unvorbereitet. Zum
einen eilt ihm sein Ruf als geschichtsträchtiges Ereignis voraus, so daß
er wie zuvor beispielsweise SCHINDLERS
LISTE
eine Art eigenes Vorwort mit sich schleppt. Dieses vermittelt sich lange vor
dem Filmstart über den üblichen Medienapparat und erzählt von
Spielbergs neuestem Film als einem der härtesten Kriegsfilme der Kinogeschichte:
Direkt nach der Landung der alliierten Truppen an der Küste der Normandie
1944 wird eine kleine Gruppe GIs um Captain John Miller (Tom Hanks) auf eine
gefährliche Mission geschickt. Ihr Ziel ist es, den hinter den deutschen
Linien verschollenen Fallschirmspringer James Ryan (Matt Damon) zu retten und
als einzigen Überlebenden seiner Familie nach Hause zu schicken.
Zum
anderen lebt DER SOLDAT JAMES RYAN von einer Vorbereitung im historischen Sinn.
Was ist das, der Zweite Weltkrieg? Die Antwort liegt in und vor Spielbergs Film:
Es geht sowohl um die Erzeugung als auch um das Abrufen von gemeinsamen Voraussetzungen.
Der Film beginnt und endet mit der Einbettung des Kriegsgeschehens in das Heute.
Seine Familie in respektvollem Abstand hinter sich wissend, folgt ein alter
Mann (Harrison Young)einem Weg, der ihn an der amerikanischen und französischen
Flagge vorbei zu einem Militärfriedhof führt. Vor einem der Kreuze
bleibt er stehen und bricht kurz darauf zusammen. Am 6. Juni 1944 waren unweit
von dieser Stelle die amerikanischen Truppen an der Küste der Normandie
gelandet. Kein Wort aber zur Erklärung - das verzweifelte Gesicht des Veteranen
allein soll das Grauen ankündigen und glaubwürdig machen, von dem
DER SOLDAT JAMES RYAN die nächsten 169 Minuten handeln wird.
Was
dieser Einstellung folgt, ist das wohl detailreichste Schlachtengemälde,
das Hollywood bislang hervorgebracht hat. Wir begleiten Captain Miller und seine
Leute bei der historischen Landung am Omaha Beach und geraten noch auf den anlandenden
Booten in ein Bombardement aus Maschinengewehrfeuer und Granaten. Fast eine
halbe Stunde dauert der Kampf um den Strand, hetzt die Kamera bei ohrenbetäubendem
Lärm zwischen blutenden Leibern und an abgerissenen Körperteilen vorbei,
ohne auch nur für Sekunden Ruhe zu finden. Figuren, die uns für Momente
vertraut scheinen, sind wenig später zur Unkenntlichkeit entstellte Opfer:
der Blick findet kein Ziel, das einen Ausweg aus dem Grauen böte. Jegliche
Sicherheit wird hier geraubt. Sicher allein scheint, daß jedes von der
Kamera eingefangene Gesicht im nächsten Augenblick von Kugeln oder Granatensplittern
zerfetzt werden kann. „What a view!", hört Captain Miller einen seiner
Mitstreiter nach dem überstandenen Gemetzel sagen. Die darauffolgende Totale
zeigt einen leichenübersäten Strand und blutrote Gischt.
Der
Zweite Weltkrieg ist so häufig zum Gegenstand und Hintergrund von Hollywood-Produktionen
geworden, daß sie ein Subgenre des Kriegsfilms bilden könnten. Filme
von John Frankenheimer, Robert Aldrich, Sam Peckinpah und Samuel Fuller haben
unterschiedliche Visionen vom Schrecken und geplanten Irrsinn des Krieges entstehen
lassen. Die Heterogenität dieser Filme zeigt dabei einmal mehr, daß
"der Krieg" über das Kino ebenso wenig sichtbar werden kann,
wie sich eine Realität des Krieges überhaupt universalisieren ließe.
Jede dieser Produktionen stellt ihren eigenen Kosmos, ihre eigene (Un-)Logik
der Bilder auf. Worin sich DER SOLDAT JAMES RYAN jedoch von ihnen allen unterscheidet,
ist die spürbare Dringlichkeit dieses Films, von Anfang an dem Grauen der
Soldaten so nah wie möglich kommen zu wollen. Alles andere scheint hier
zweitrangig. Im Gegensatz zum internationalen D-Day-Opus DER LÄNGSTE TAG
(1961) etwa, bei dem 90 Minuten vergehen, bevor die alliierten Schiffe die Küste
erreichen, wird hier die historische oder strategische Bedeutung dieser Offensive
in keiner Weise erklärt. Datum, Ort und Bilder des Kampfes stehen für
sich.
Und
tatsächlich scheinen die Bilder der Landung, deren kaum zu ertragende,
fast lakonische Brutalität den Film bis zum Ende prägt, auf den ersten
Blick intensiver und authentischer als jede andere Hollywood-Inszenierung des
Zweiten Weltkriegs. Neben der maskenbildnerischen Perfektion liegt diese augenblickliche
Überzeugungskraft vor allem an der Kameraarbeit von Janusz Kaminski, die
nicht zufällig an die Wochenschau-Berichte jener Tage erinnert. Ein Verlust
an Farbe, diffuse, fast weiche Lichtverhältnisse und die seltsam unrund
wirkenden Bewegungen der Schauspieler trennen die Aufnahmen von der heutigen
Norm. Um diese historisch anmutende Bildqualität zu erreichen, wurden die
verwendeten Kameras gezielt ab- und umgerüstet. Aus der Hand fotografierte
Kaminski alsdann die Schlachtszenen mit einer Beweglichkeit, die gleichfalls
den Eindruck des "newsreel cameraman following soldiers into war"
wiedererwecken.
Worauf
diese Inszenierung spekuliert, ist eine besondere Form von kollektivem Gedächtnis.
„Das ist der Zweite Weltkrieg!" sagt die Beschaffenheit der Aufnahmen,
deren Vorbilder nicht nur das Bewußtsein der Nachkriegsgeneration entscheidend
geprägt haben – der Look der Wochenschau-Dokumentationen wird als authentisches
Kriegsbild abgerufen. Gehalten durch diese Klammer öffnet sich der Raum
für jene Nähe, die sich schon im Prolog mit Zoom auf das Gesicht des
Veteranen angekündigt hatte. Wir tauchen ein in die Geschichte, und eben
hier entwickelt sich die grundlegende Widersprüchlichkeit dieser Bewegung:
Die Nähe zum persönlichen Schmerz wird erst möglich über
den Rekurs auf das öffentliche Bild "Zweiter Weltkrieg", den
Mythos der historischen Dokumentation. Gerade der Versuch, sich über eine
realistisch wirkende Härte dem persönlichen Erleben anzunähern,
verweist so auf die Grenzen seiner eigenen Massenwirksamkeit. Was gleichsam
für alle spürbar "lebendig" wird, kann gar nichts anderes
als ein Mythos sein.
Auf
dieser Basis entwickelt sich das ethische Problem, von dem DER SOLDAT JAMES
RYAN handelt. Ist es vertretbar, das Leben von acht Männern zu riskieren,
um nur eines zu retten? Mit den Zweifeln der Soldaten um Miller, seinem getreuen
Sergeant Horvath (Tom Sizemore), dem betenden Scharfschützen Jackson (Barry
Pepper) und dem unerfahrenen Corporal Upham (Jeremy Davies) stellt sich diese
Frage stets aufs Neue. In der Mitte des Films scheint die Gemeinschaft gar daran
zu zerbrechen. Zugleich läßt dieses Leitproblem und die sich daraus
ergebenden Konflikte - auch darin ist DER SOLDAT JAMES RYAN konsequent - weder
ein Heldenbildnis noch eine eindimensionale Feindbildzeichnung aufkommen. Keine
souveränen Anführer, blinde Untergebene, furchtlose Kämpen oder
diabolische Killer hat der Film zu bieten. Vielmehr zeigt sich gerade in den
direkten Konfrontationen mit deutschen Soldaten das verbindende Schicksal und
der gemeinsame Feind: der Krieg selbst.
Der
grausame Nazi spielt hier ebensowenig eine Rolle wie diktatorische Militärs
und entmenschte Befehlshabende. An die Stelle des persönlichen Antagonisten
ist der militärische Ausnahmezustand getreten. Demzufolge hat auch der
grenzenübergreifende Kampf um Gut/Böse und Recht/Unrecht, wie ihn
Aldrichs ARDENNEN 44 und DAS DRECKIGE DUTZEND in verschiedenen Facetten thematisieren,
hier kaum Platz: Er wird gegen die Frage von Sinn oder Wahnsinn ausgetauscht.
Doch im Unterschied zu Fullers Kriegsfilmen wie DIE HÖLLE VON KOREA (1950),
FIXED BAYONETS (1951)und THE BIG RED ONE (1979), die das Überleben, bzw.
den Sieg untrennbar mit Brutalität, persönlicher Schuld und Wahnsinn
verknüpfen, scheut DER SOLDAT JAMES RYAN vor der Sinnlosigkeit zurück,
die vor allem aus der Omaha-Beach-Sequenz gesprochen hatte. Denn wenngleich
Spielbergs Film die Informationen über die strategischen Bedingungen der
Invasion von 1944 auf ein Minimum reduziert und dadurch den "konkreten
Wahnsinn" des Tötens umso stärker betont, offeriert DER SOLDAT
JAMES RYAN dennoch eine sinnvolle Auflösung. Den gemeinsamen Feind im Auge
finden die Männer um Captain Miller schließlich die Antwort auf das
moralische Problem ihres Auftrags: Die Rettung Private Ryans ist nichts geringeres
als das Symbol ihrer aller Heimkehr. Dafür lohnt es sich zu kämpfen
und vielleicht zu sterben. Der versöhnende Sinn ergibt sich hier also aus
der Logik des Euphemismus "prisonerofwar", im Kampf gegen die Bestie
Krieg einen symbolischen Überlebenden, ein Mahnmal des Krieges, nach Hause
zu schicken. Der Veteran und seine Familie an historischer Stätte geben
der Geschichte recht.
Für
die Frage der Verantwortlichkeit, für den Schuld-Komplex in DER SOLDAT
JAMES RYAN, hat diese Installierung des wahren Feindes Krieg zweierlei Konsequenzen.
Einerseits wird darüber keiner der Soldaten weniger schuldig als ein anderer.
Auch nicht der friedfertige Corporal Upham, der als heimliche Hauptfigur wie
ein ungläubiges Kind durch die finale Schlacht laufen wird. Kein Held grenzt
sich ab und eben dadurch entsteht die Verzweiflung der Soldaten, die am stärksten
im Spiel von Tom Hanks und Jeremy Davies sichtbar wird. Andererseits kann so
aber auch niemand mehr Schuld auf sich laden, als es das Im-Krieg-Sein prinzipiell
bedeutet. Im Gegensatz zum Melodrama SCHINDLERS LISTE stellt sich somit die
Schuldfrage nicht für den einzelnen, weil sie für alle bereits beantwortet
ist. Ratlos steht Captain Miller einmal vor der Entscheidung, ob ein gefangener
deutscher Soldat erschossen werden soll, oder nicht. Überfordert von seiner
Macht läßt Miller den Mann schließlich laufen, der am Ende
des Films den einzigen Juden unter Millers Kommando, Private Mellish (Adam Goldberg),
töten wird. Es gibt kein schuldfreies Handeln in diesem Ausnahmezustand,
der kaum Begründungen, Ursprünge und Hintergründe erkennen läßt.
Krieg ließe sich hier ebensogut mit Schicksal übersetzen.
Diese
Herstellung eines Rahmens für die (stellvertretende) Authentizität
des persönlichen Erlebens steht in enger Beziehung mit der Wochenschau-Ästhetik
des Films. Und vor diesem Hintergrund erscheint jene so stringente Inszenierung
auch nicht mehr ganz so weit von der anderer Spielberg-Erfolge entfernt. Ging
es in Filmen wie E.T.,
DER
WEISSE HAI,
UNHEIMLICHE
BEGEGNUNG DER DRITTEN ART
und den zwei JURASSIC-PARK-Teilen
darum, den Einbruch des Phantastischen/des Furchtbaren in die Realität
glaubhaft zu machen, so läßt sich DER SOLDAT JAMES RYAN auf ähnliche
Weise betrachten. Verkürzt gesagt: Statt der Existenz von Riesenhaien oder
Außerirdischen gilt es hier, die Auswirkungen der Bestie Krieg auf ihre
Opfer glaubwürdig erscheinen zu lassen. Zwangsläufig wird dafür
auf ein Bild des Krieges zurückgegriffen, das sich als dominante Fiktion
durchgesetzt hat. Wie alle Spielberg-Filme leistet also auch DER SOLDAT JAMES
RYAN in erster Linie Überzeugungsarbeit. In dieser Logik von Nähe
kann die Brutalität des Gezeigten die Fuller-Filme und auch Sam Peckinpahs
STEINER weit übertreffen, schwerlich aber können Raum für Zweifel
an und Bilder jenseits dieser "Realität" entstehen.
Es
ist der Film selbst, der mit wenigen Einstellungen auf einen anderen Blick verweist.
Direkt nach der endlos scheinenden Eröffnungsschlacht am Omaha Beach bringt
ein Schnitt eine neue Welt ans Licht: Frauen, die im Akkord Kondolenzschreiben
der Regierung an die Hinterbliebenen der Gefallenen produzieren. Diese Sequenz
führt zum Ursprung der Ryan-Mission, denn die militärische Führung
wird bald bemerken, daß in nur einer Woche bereits die Todesnachrichten
von drei gefallenen Söhnen an die verwitwete Mutter Margaret Ryan (Amanda
Boxer) adressiert wurden. Weder Bombenexplosionen noch hektische Kamerabewegungen
prägen die Aufnahmen der tippenden Frauen: nichts, was auf den ersten Blick
nach Krieg aussähe. Gleichwohl bleibt mir dieses Bild als das eindringlichste
des ganzen Films in Erinnerung. Auch deshalb, weil es als Teil der Überzeugungs-Maschinerie
in sich schon die Skepsis gegenüber der Repräsentation „des Krieges"
transportiert. Fast wirkt der Akkord der Sekretärinnen wie ein entlarvendes
Spiegelbild dieses Films: Hier wird Geschichte geschrieben.
Jan
Distelmever
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film 10/98
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
DER
SOLDAT JAMES RYAN
SAVING PRIVATE RYAN
USA
1998. R: Steven Spielberg. B: Robert Rodat. P: Steven
Spielberg,
lan Bryce, Mark Gordon, Gary Levinsohn. K: Janusz
Kaminski.
Sch: Michael Kahn. M: John Williams. T: Ronald Jud-
kins. A: Tom Sanders, Ricky Eyres, Tom Brown, Chris Seagers,
Alan Tomkins Ko: Joanna Johnston. Sp; Neil Corbould. Pg:
Dream Works/Amblin Entertainment. V: UIP. L: 169 Min. St:
8.10.1998. D: Tom Hanks (Capt. John Miller), Edward Burns (Pri-
vate Reiben), Tom Sizemore (Sgt. Horvath). Jeremy Davies (Cor-
poral Upham), Vin Diesel (Private Caparzo). Adam Goldberg (Pri-
vate Mellish), Barry Pepper (Private Jackson), Matt Damon
(James Ryan), Harrison Young (Ryan als alter Mann).