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Schindlers
Liste
Gutmenschen
und sentimentale Hollywooddramatik
Steven
Spielberg war bis vor einigen Jahren ein Garant für seichte und gefühlsduselige,
aber ansonsten perfekt gemachte Unterhaltungsfilme, von denen der bekannteste
"E.T."
sein dürfte. Dann entdeckte er ein ernstes Thema - und drehte einen Film
über den Holocaust.
HANDLUNG
& HANDWERK
Im
Mittelpunkt steht der Unternehmer Oskar Schindler. Lebemann und anfangs alles
andere als ein Gegner der Nazis, rettet er nach und nach über tausend Juden,
indem er sie in seinem Betrieb beschäftigt, Beamte besticht, Aufseher überredet,
"seine" Juden teilweise sogar noch aus KZs herausholt. Als sein Vermögen
nahezu vollständig aufgebraucht ist, marschieren die ersten Soldaten der
Alliierten ein - und das Pokerspiel ist gewonnen: Mehr als tausend Menschen,
die auf Schindlers Liste standen, haben den Krieg und den Holocaust überlebt.
Obwohl
die Schwarz-Weiß-Farbgebung Authentizität suggeriert, teils an Originalschauplätzen
gedreht wurde und Spielberg sich weitestgehend an die historischen Fakten hielt,
folgt der Film doch einer typischen Hollywood-Dramatik. Es gibt unschuldige
und dadurch seltsam-gesichtslos bleibende Opfer, einen nicht ganz makellosen,
aber bescheidenen Helden, der als Identifikationsfigur taugt, und jede Menge
böse Nazis. Jemand trifft in einer schwierigen Situation die richtige Entscheidung,
und in letzter Minute geht dann auch alles gut.
Handwerklich
ist der Film perfekt. Man zittert und fiebert mit, die Bilder beeindrucken,
die Melodramatik hält sich in Grenzen. Die Kulisse wurde perfekt rekonstruiert,
die Details stimmen, die Schauspieler sind professionell und spielen hervorragend,
die Bilder beeindrucken und der Schnitt sorgt für Hochspannung. Und die
Geschichte ist gut und spannend erzählt, glaubwürdig und nachvollziehbar.
KRITIK
Sie
ist sogar wahr. Aber sie ist auch ziemlich langweilig. Oskar Schindler hat sein
Leben riskiert, aber das haben in diesen Tagen sehr viele Menschen - mehrere
Dutzend Millionen Menschen starben in den Jahren von 1939 bis 1945, meist im
Namen irgendeiner Sache, an die sie mehr oder minder glaubten. Er hat unbeirrt
in den entscheidenen Momenten das Richtige getan - und es sagt eine ganze Menge
über uns aus, daß wir das beeindruckend finden. Das Wort "Zivilcourage"
wird dieser Tage ziemlich oft gebraucht, aber in diesem Zusammenhang trifft
es. Sehr viele Menschen hatten in jenen Tagen (und heute genauso) den Schneid,
ihr Leben aufs Spiel zu setzen, aber die wenigsten taten es, indem sie aktiv
und effektiv den Verfolgten und Mißachteten halfen. Böse gesagt:
Man hatte mehr Angst vor der öffentlichen Meinung als vor dem "Heldentod".
Das
ist keine besonders spektakuläre Erkenntnis, aber viel mehr bietet der
Film nicht. Er funktioniert wie ein Thriller oder Horrorfilm, wobei der Zuschauer
einen zusätzlichen Kick aus dem Wissen zieht, daß das alles (zumindest
in etwa) so passiert ist. Wer morbide Spannung sucht und seine Angst-Lust befriedigen
will, kurzum am Grauen delektieren, kommt hier voll auf seine Kosten. Effektvoll
wird das eigentliche Grauen - wie das Geschehen in der Gaskammer - ausgeblendet
und der Phantasie des Zuschauers überlassen. Unschöne Leichen kommen
nicht vor, aber man ahnt sie.
Ansonsten
befriedigt der Film genau jenen makabren Voyeurismus, der die Menschen dazu
bringt, an einer Unfallstelle langsamer zu fahren und das Geschehen zu begaffen.
Mit dem Unterschied, daß man es hier mit einem guten Gewissen tun kann
- man hat sich ja "mit der Vergangenheit auseinandergesetzt".
"Schindlers
Liste" bietet genau das, was der Zuschauer erwartet, und deshalb ist er
auch so bequem. Abgesehen von Schindler taugt kaum eine Person als Identifikationsfigur,
und so lautet dann auch die Frage, die die meisten sich nach dem Film stellen:
"Wie hätte ich damals an Schindlers Stelle gehandelt?"
Man
kommt nicht auf den Gedanken, sich möglicherweise mit einem der Bösewichter
zu identifizieren - oder gar mit einem der weitgehend gesichtslosen Opfer. Bei
den Nazi-Größen wird man auch bei genauestem Hinsehen kaum einen
sympathischen Zug entdecken können, aber gerade die schweigende (oder Heil-brüllende)
Mehrheit derjenigen, die sich mehr oder minder vom Nazi-Regime haben korrumpieren
lassen (und mit denen man sich beängstigend leicht identifizieren könnte),
tauchen im Film nicht auf. Sie passen nicht in die Hollywood-Dramaturgie, aber
sie waren die entscheidende Stütze des Regimes.
Der
Film ist unpolitisch. Er stellt nicht die Frage, wie es überhaupt zu einer
Situation, d. i. einer derart korrumpierten Gesellschaft kommen konnte, in der
das eigentlich Normale und Selbstverständliche zum Außergewöhnlichen,
Heldenhaften wird.
Unter
allen Geschichten, die man über Nazi-Deutschland hätte erzählen
können, hat sich Spielberg diejenige herausgegriffen, die am besten zu
den Hollywood-Klischees paßt und den geringsten Bezug zur Gegenwart hat.
Diese Geschichte setzt er auch gekonnt, besser: perfekt um. Aber mehr als ein
Schauerstück aus dem Horrorkabinett der Geschichte kam dabei nicht heraus.
Das wäre nicht schlimm, wenn der Film nicht derart penetrant mit seiner
"Wichtigkeit" kokettierte. Aber, mit Verlaub, dafür ist der Film
zu simpel. Selbst denen, die sich kaum mit dem Thema auseinandergesetzt haben,
kann er nicht viel Neues bieten.
Schlimmer
noch: Der Film wimmelt von sentimentalen Effekthaschereien - bis zum Vorbeidefilieren
der wirklichen Überlebenden am realen Grab Schindlers. Das sorgt für
genau jenes ebenso modische wie billige - weil folgenlose - Betroffenheitsgefühl.
Fast jeder verläßt diesen Film zutiefst erschüttert - und buchstäblich
rat-los: Der Film bietet keinen Rat, keine Lehren, keine Einsichten, keine politische
Aussage - er bietet nur unverbindliches Bungee für's Gemüt.
Und
so blieb auch 1993 alles beim alten: Menschenrechtsorganisationen hatten keinen
großen Zulauf, Politiker übten sich weiter in großen Gesten
und Sonntagsreden, Ausländer wurden weiterhin verprügelt und gehetzt,
Regime in aller Welt folterten und unterdrückten ungerührt weiter.
Der deutsche Michel unterdessen zog es wieder einmal vor, lieber tief bewegt
zu sein anstatt sich zu bewegen.
KURZUM
"Schindlers
Liste" ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die wohl keinen Mitfahrer ungerührt
lassen wird. Mehr aber auch nicht.
Ich
empfehle daher, lieber einen intelligenten Film zum Thema anzusehen - "Zug
des Lebens"
zum Beispiel - oder zu einem guten Buch zu greifen, vielleicht sogar zu aktuellen
Kriegen, Völkermorden oder Unterdrückungen. Und vor allem: Es nicht
beim Anschauen oder Lesen zu belassen.
Andreas
P. Rauch
(18.11.2002)
Dieser
Text ist vorher bei ciao.de erschienen
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