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Das
Schweigen der Lämmer
Was
macht diese Geschichte so faszinierend, dass zwei Filme, wenn auch „verspätet“,
– „Hannibal“ (2001,
Regie: Ridley Scott) und „Roter Drache“ (2002, Regie: Brett Ratner) – ihm folgten,
dass eine ganze Generation von Filmliebhabern den schweigenden Lämmern
verfiel? Sicher ist es nicht der Serienkiller „Buffalo Bill“; denn der – zwar
nicht schlecht gespielt von Ted Levine, aber auch nicht übermäßig
interessant – ist nichts weiter als ein „banaler“ Psychopath, der nach allen
bekannten Regeln des psychopathischen Massenmörders handelt. Nur die Zeitnot
treibt FBI-Chef Jack Crawford (Scott Glenn) dazu, sich der Hilfe von Dr. Lecter
zu bedienen. Denn die junge Catherine Martin (Brooke Smith), Tochter einer Senatorin,
befindet sich in den Händen „Buffalo Bills“.
Schon
das erste Gespräch zwischen der noch in Ausbildung zum Profiler befindlichen
Clarice und dem mit allen Wassern gewaschenen Lecter deutet an, woraus der Film
seine Spannung bezieht: aus der Beziehung zwischen diesen beiden Personen, aus
dem Wettstreit, den sie miteinander veranstalten, aus der Hochachtung, die sie
gegenseitig füreinander empfinden, auch wenn sich Lecter für gewiefter
hält als Clarice. Aber Clarice zeigt eine Art und Größe von
Entschlossenheit, die den Erfahrungsvorsprung Lecters fast ausgleicht.
Diese
Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren erhält noch dadurch an Würze,
dass Lecter, der sich in einem Hochsicherheitstrakt befindet – getrennt vom
Gang durch eine dicke Glasfront – von Anfang an als das dargestellt wird und
sich darstellt, was er ist: gefährlich und gerissen. Beides paart sich
– in einer derart überzeugenden Weise von Hopkins gespielt, dass man dem
Schauspieler nach dem Film nicht auf der Straße begegnen möchte –
mit (englischer) Eleganz und Gentleman-Pose. Hopkins spielt diesen Dr. Lecter
nicht als blutrünstig-augenrollenden, wild um sich schlagenden Massenmörder.
Als er verlegt wird, tötet er zwei Polizisten. Doch er schlägt nicht
wie ein Wahnsinniger auf sie ein, sondern legt selbst bei diesen Morden eine
fast groteske Eleganz und „Zurückhaltung“ an den Tag, um dann mit Uniform
und Gesicht des einen Polizisten zu entkommen.
Die
bis an die Grenzen des Erträglichen gehende Diskrepanz zwischen Lecters
Eloquenz, die er aus seiner hohen Intelligenz und tiefgehenden Erfahrung als
Psychiater gewinnt, und seiner zutiefst verabscheuungswürdigen Grausamkeit,
das Fehlen jeglichen Gefühls für Gerechtigkeit, Menschlichkeit und
irgendeine Form von Mitgefühl, ist den Personen in seiner Umgebung in einer
Weise unbegreiflich, so dass sie letztendlich wehrlos gegen Lecter werden: Nicht
einmal extreme Sicherheitsvorkehrungen und schon gar nicht der nicht sonderlich
versteckte Berufs-Neid des Leiters der Gefängnispsychiatrie Dr. Chilton
(Anthony Heald) auf Lecter sind geeignet, den Psychopathen davon abzuhalten,
die Gelegenheit abzuwarten, aus der Gefangenschaft zu entkommen. Dazu benötigt
er lediglich den Halter eines Kugelschreibers, um später die Handschellen
zu öffnen, die ihm die beiden von ihm kurz darauf massakrierten Polizisten
anlegen.
Andererseits
Jodie Foster. Ihre Clarice ist nicht so selbstbewusst, wie sie sich oft gibt.
Als sie gegen Ende des Films im Keller des gesuchten und gefundenen „Buffalo
Bill“ im Dunkeln tappt, zittern ihre Hände, sie keucht vor Angst, während
der Serienkiller sie mit einem Infrarotfernglas direkt vor der Nase hat. Ihre
Angst, ihre Alpträume, ihre Unsicherheit und Unerfahrenheit korrespondieren
andererseits mit dem geradezu eisernen Willen, sowohl den Serienkiller zur Strecke
zu bringen, als auch Lecter gegenüber standhaft zu bleiben, als auch ihren
Alptraum loszuwerden. Sie misst sich mit ihm, was ihr andererseits Anerkennung
bei Lecter verschafft. Sie spürt dies und äußert an einer Stelle
des Films, Lecter würde sie nicht töten, nicht töten wollen.
Das
„Monster“ Lecter steht außerhalb der Normalität, weil außerhalb
jeglicher Moral. Ihm fehlt jegliches Gefühl für irgendeine Form von
Moralität. Er misst Menschen danach, ob sie seine Intelligenz nicht nur
akzeptieren, sondern auch würdigen. Dr. Chilton ist daher für Lecter
ein potentielles Opfer, ein Mann, den er verachtet, weil er sich für wesentlich
mehr hält, als er ist. Chilton ist ein Würstchen. Und Würstchen
achtet man nicht, man verspeist sie. Clarice fürchtet und achtet Lecter
zugleich. Lecter ist dies schon beim ersten Gespräch mit ihr völlig
bewusst.
Aus
dieser in den beiden Hauptfiguren personifizierten Spannung bezieht „Das Schweigen
der Lämmer“ vor allem seinen „Kultstatus“, denn hiermit setzten Jonathan
Demme und sein Team, vor allem auch Tak Fujimoto, neue Maßstäbe für
das Kino. Umgesetzt wird das Furchterregende aus dieser Spannung in vielen Szenen
des Films: bei der Leichenschau eines der Opfer von „Buffalo Bill“ etwa, als
der Frau ein Kokon aus dem Hals gezogen wird; bei der Fahrstuhlszene, als die
Polizisten vermuten, Lecter befinde sich auf dem Dach des Lifts; bei der fast
surreal wirkenden Jagd auf „Buffalo Bill“ im Keller seines Hauses.
Das
Perfide an der Figur Lecters ist, dass sie als sympathisch konstruiert ist.
Das klingt paradox. Aber: Solange sich Lecter hinter Glas befindet – oder zumindest
nur auf Zelluloid – ist er interessant als englisch wirkender, überdurchschnittlich
intelligenter Gentleman und Psychiater, der zwar eine mörderische Vergangenheit
hat, jetzt aber kaltgestellt ist. Es ist sozusagen das voyeuristische Vergnügen
an dieser Person, was den Film zu einem schauerlichen Vergnügen werden
lässt. „Hannibal the Cannibal“ – das drückt diesen tragisch-fürchterlichen
und doch zugleich fast schon ironischen Charakter und seine Anziehungskraft
vielleicht am besten aus.
Lecter
– das kommt hinzu – weiß um das Ziel seines jungen Gegenübers. Clarice
glaubt, ihren Alpträumen entkommen zu können, wenn sie das nächste
potentielle Opfer Gumbs retten kann – was ihr mit dem Lamm als Kind nicht gelungen
war. Die Senatorentochter liegt in der Grube, im Brunnen, wie der Frosch, der
errettet werden will, Clarice ist der weibliche Prinz, der der männlichen
Hexe Gumb den Garaus machen will, auch, um sich selbst zu helfen.
Sicherlich
hat auch „The Silence of the Lambs“ seine Schwachpunkte. Die Personen Crawford
und Chilton sind nicht besonders ausgereifte Figuren. Auch Levines Gumb wirkt
nicht sonderlich überzeugend, kommt nie an einen Norman Bates aus „Psycho“ heran.
Aber diese Schwächen sind angesichts der Stärke von Foster und Hopkins
fast zu vernachlässigen. Allein diese mimischen Fähigkeiten von Hopkins
und Foster haben es für Scott und Ratner fast schon verunmöglicht,
annähernd gleichwertige Filme zu produzieren, die auch nur ansatzweise
an „Das Schweigen der Lämmer“ herankommen.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: CIAO.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
mehrere
Kritiken
Das
Schweigen der Lämmer
[The Silence of the Lambs] USA 1991
Laufzeit:
118
Drehbuch:
Ted Tally, nach dem Roman von Thomas Harris
Regie: Jonathan Demme
Darsteller:
Jodie Foster, Anthony Hopkins, Scott Glenn, Anthony Heald, Ted Levine, Frankie
Faison, Kasi Lemmons, Brooke Smith, Paul Lazar, Dan Butler, Lawrence T. Wrentz
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