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Sex,
Lügen und Video
Wohin - und wie?
".. ich habe gelesen, dass Männer
lernen, den Menschen zu lieben,
den sie begehren, und dass Frauen
mehr und mehr den Menschen
begehren, den sie lieben."
(Graham zu Ann)
John (Peter Gallagher) scheint
polygam. Er hat keinen Sex mit seiner Frau Ann (Andie MacDowell), dafür
aber mit ihrer Schwester Cynthia (Laura San Giacomo). Ann hat Probleme und geht
zu einem Therapeuten (Ron Vawter). Sie findet nichts an Sex. Cynthia scheint
Nymphomanin zu sein. Sie treibt es mit John. Aber das würde sie vom Sex
mit anderen Männern nicht abhalten. Graham (James Spader) hat keinen Sex;
er ist impotent, wenn er mit einer Frau zusammen ist, und sammelt statt dessen
Videos, auf denen Frauen zu sehen sind, die ihm über Sex alles sagen, was
sie fühlen.
John sagt einem Freund, erst seit
er verheiratet sei, sei er beflügelt fremd zu gehen. Ann hat Zwangsvorstellungen
über Müllberge und gehäufte Flugzeugabstürze. Cynthia ist
vulgär und ihr ist alles egal - Hauptsache Sex. Sie will es mit John in
seinem und Anns Ehebett tun. Das reizt sie - wegen ihrer Schwester. Graham schaut
sich seine Videobänder an. Ob er dabei onaniert?
Doch eigentlich beginnt diese
Geschichte ganz anders, die Steven Soderbergh 1989 zu einem bekannten Regisseur
werden ließ. Denn anfangs scheint alles: geregelt. Der Herr Anwalt, John,
geht mit der Schwester seiner Frau ab und an ins Bett, weil Ann seit etlicher
Zeit die Lust auf Berührung oder mehr verloren hat. Warum, wissen weder
sie, noch ihr Therapeut. So könnte es ewig weitergehen, denn John weiß
sein Verhältnis sehr gut zu verbergen. Und Cynthia findet Gefallen daran,
ihrer angeblich prüden Schwester ordentlich eins auszuwischen. Eines Tages
allerdings kündigt sich Besuch an. Ein Ex-Freund von John, der besagte
Graham, kommt nach etlichen Jahren zurück in die Stadt, in der er einst
eine Frau liebte, die ihn verlassen hatte. Graham bringt nicht nur den geregelten
Betrug ans Tageslicht - ohne Absicht allerdings -, er bringt auch alle drei
anderen Beteiligten kräftig aus dem Gleichgewicht - ebenfalls ohne erkennbare
Absicht.
Es ist eher Grahams Mentalität,
die Ann, Cynthia und auch John gewissermaßen aus der Fassung bringt. Graham
ist ein eher ruhiger Mensch, zurückhaltend in seinen Verhalten, aber offen
in seinen Fragen. Auf den Videobändern sehen wir Frauen, die über
Sex reden. Graham stellt nur Fragen, hat aber selbst keinen Sex mit den interviewten
Frauen. Die allerdings haben teilweise Sex mit sich selbst. Ann findet Graham
nicht nur nett. Sie spricht gerne mit ihm - bis sie von den Bändern erfährt
und Grahams Wohnung empört verlässt. Trotzdem will sie verhindern,
dass ihre Schwester Cynthia erfährt, wo Graham wohnt, während John
mit seinem Ex-Freund nicht viel anfangen kann. Er denkt nur an den nächsten
Sex mit Cynthia. Die erfährt natürlich trotzdem, wo Graham wohnt,
besucht ihn, hofft wohl auf ein Abenteuer und gibt ihm ebenfalls ein Interview
- in dessen Verlauf sie masturbiert. Ann ist ein zweites Mal entsetzt.
Doch plötzlich - sozusagen
wie aus heiterem Himmel - gibt auch sie Graham ein Interview - ein besonderes,
eines, in dem nicht nur er sie fragt, sondern auch sie ihn.
Man könnte sagen: Das Mysteriöse
dringt in das Banale, das Geheimnisumwobene in das Alltägliche, das Ungewohnte
treibt das Triviale zum Wundern, das Interesselose bekommt Konturen, ein Katalysator
wirbelt Staub auf, ein ungewöhnliches "Hobby", ein Fetisch für
Graham, wirbelt alles durcheinander. Was für Graham Ausdruck eines sexuellen
Defizits ist, ist für die anderen, vor allem Ann, eine Art Chance auf Offenheit,
Ent-Spannung - so, als ob ein Schleier vor ihren Augen fallen würde. Diese
Offenheit, über Sex und Gefühle vor der Videokamera zu sprechen, ist
etwas anderes als die Sitzungen bei ihrem Therapeuten, die sich hinziehen und
nur um das Thema Zwangsneurose kreisen. Kreisen und kreisen. Es hat eine befreiende,
lösende, erlösende Wirkung. Es befreit von Schuldgefühlen, zwanghaftem
Verhalten - und Lügen.
Denn lügen tun sie alle miteinander.
Graham lügt sich in die eigene Tasche, wenn er seiner Ex-Geliebten hinterher
trauert. Seine Impotenz in Anwesenheit einer Frau ist ein Schutzmechanismus
gegen seine eigenen unterdrückten Gefühle. Ann belügt sich ebenfalls
selbst, denn ihre Wahnvorstellungen von überquellendem Müll und gehäuften
Flugzeugabstürzen verlagert und verdrängt ihre eigenen Probleme auf
Dinge, die für ihr Leben unwichtig sind. Der simpelste Lügner aber
ist John, der nicht nur Ann betrügt, sondern auch Cynthia etwas vormacht.
Und Cynthia belügt sich, indem sie behauptet, sie brauche keine Liebe.
Sex ist für sie geradezu ein Kampfmittel, um sich von Liebe "frei
zu halten". Und sie belügt ihre Schwester, weil sie deren "Prüderie",
die in Wirklichkeit nur eine chronische Unsicherheit ist, hasst. Und dabei hasst
sie nur das Bedürfnis, geliebt zu werden und lieben zu können.
Soderbergh lässt dieses Lügengebäude
durch den "Katalysator" Graham zusammenkrachen wie ein Kartenhaus.
Die Verhältnisse ordnen sich neu. Cynthia lässt John fallen wie eine
heiße Kartoffel. John, der sich das Videoband von Ann anschaut, ist gezwungen,
neue Wege des Polygamie zu suchen. Ann findet in Graham jemanden, der ihr etwas
offenbart - vielleicht Zärtlichkeit, Behutsamkeit? Sie verlässt John.
Und Graham wird durch die Gespräche mit Ann von seiner Impotenz geheilt.
Es ist schon erstaunlich, mit
welcher Leichtigkeit, ja geradezu Gelassenheit, geradezu einer inneren Ruhe
Soderbergh diese Geschichte erzählt - unaufgeregt, fast minimalistisch
in Inszenierung und Darstellung - und "un-moralisch", soll heißen,
es geht nicht um die ethische Bewertung des Verhaltens der beteiligten Akteure.
Es geht nicht um Bewertungen von Fremdgehen, Ehe usw. Es geht viel eher um die
unaufdringlich daher kommende Frage nach der Wahrhaftigkeit des eigenen Verhaltens.
Und last but not least steht gar
nicht Sex im Vordergrund der Geschichte, sondern Kommunikation. Sie ist es,
das Unbändige und schier Grenzenlose in ihr, die nicht nur das Lügengebäude
zerstört, sondern zu neuen Ufern treibt. Dabei handelt es sich nicht um
jene gefühllose Alltagskommunikation, nicht um jene "technische"
Kommunikation am Arbeitsplatz oder an der Supermarktkasse. "Sex, Lügen
und Video" rekonstruiert jene Kommunikation, in der Emotion und Verstand
wieder eine Einheit bilden, in der die analytische (in der Praxis oft künstliche
wirkende) Trennung von Verstand, Vernunft und Gefühl aufgehoben scheint
- zumindest für (wichtige) Momente im Austausch der Beteiligten. Das besondere
hiebei ist, dass die Inszenierung in keiner Weise psychologisierend wirkt, sondern
auf eine atemberaubende Weise frisch und ungezwungen.
So schließt sich der Kreis
zu dem, was Graham anfangs zu Ann sagte: Begehren und Liebe geraten unverhüllt
zueinander. Das "eigentlich" Voyeuristische der Videobänder "programmiert"
die Handelnden "neu". Das Enthüllende der Frauen auf diesen Bändern
zwingt zur Korrektur. Wenn Graham und Ann am Schluss zusammen auf der Treppe
zu seiner Wohnung sitzen, ist diese mögliche Nähe für einen Moment
ganz stark spürbar.
DVD
Sprachen: Deutsch (Dolby Surround)
Englisch (Dolby Surround) Französisch (Dolby Surround) Spanisch (Mono)
Italienisch (Stereo)
Untertitel: Französisch, Italienisch,
Spanisch, Niederländisch, Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Finnisch,
Polnisch, Portugiesisch, Griechisch
Bildformat:
16:9, 1.85:1
Dolby,
HiFi Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin: 26. September
2002
Die für knapp 10 Euro erhältliche
DVD enthält zwar kein Bonusmaterial (außer dem Trailer). Bei diesem
Film ist dies allerdings ein leicht hinzunehmendes Defizit - d.h. eigentlich
keines. Bild und Ton kommen in guter bis sehr guter Qualität daher.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Sex,
Lügen und Video
(Sex,
Lies and Videotape)
Regie:
Steven Soderbergh
Drehbuch:
Steven Soderbergh
Musik:
Cliff Martinez
Kamera:
Walter Lloyd
Schnitt:
Steven Soderbergh
Produktionsdesign:
Deborah Aquila, Joanne Schmidt
Darsteller:
James Spader (Graham Dalton), Andie MacDowell (Ann Bishop Mullany), Peter Gallagher
(John Mullany), Laura San Giacomo (Cynthia Patrice Bishop), Rob Vawter (Therapeut)
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