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Preisfrage:
Welcher Film ist besser, Jonathan Demmes „Das
Schweigen der Lämmer“
(1991) oder „Se7en“ von David Fincher („Alien
3“,
1992; „The
Game“,
1997; „Fight
Club“,
1999; „Panic
Room“,
2002)? Auf so mancher Internet-Site scheiden sich die Geister ob dieser Frage.
Ich lasse sie unbeantwortet. Denn nur eines ist sicher: Beide Filme gehören
zu den besten des Genres der 90er Jahre.
Detective
William Somerset (Morgan Freeman) steht kurz vor der Pensionierung. Sein designierter
Nachfolger David Mills (Brad Pitt) ist ein jugendlicher Hitzkopf, der leicht
aus der Fassung zu bringen ist. Somerset, ein Einzelgänger, auch privat,
hat jegliche Illusion verloren. Er nimmt das Leben, wie es kommt, denkt nüchtern,
bleibt auch in schwierigen Situation ruhig, versucht, sich in die Situation
der Täter zu versetzen, um ihrer habhaft zu werden.
Was
Somerset gar nicht in den Kram passt: Eine Woche vor Ende seiner Tätigkeit
bei der Polizei werden er und Mills zu einem Tatort gerufen, finden ein Mordopfer
vor, das mit Essen regelrecht zu Tode gemästet wurde. Somerset tippt aus
den Umständen der Tat auf kein gewöhnliches Verbrechen. Hinter dem
Kühlschrank des Opfers ist in die Wand das Wort „Maßlosigkeit“ gekritzelt
und Somerset vermutet einen religiös motivierten Serienkiller. Während
Mills sich über den kranken Psychopathen aufregt und ausschließlich
daran denkt, ihn „irgendwie“ zu stellen, ohne sich die Mühe zu machen,
sich in die Denkweise des Täters zu versetzen, studiert Somerset in der
Bibliothek Werke der Weltliteratur, die sich mit den sieben Todsünden befassen:
Maßlosigkeit, Habsucht, Trägheit, Hochmut, Wollust, Neid und Zorn.
Ein
Anwalt stirbt für seine „Maßlosigkeit“: Der Mörder blutet ihn
aus, nachdem er ihn gezwungen hatte, sich ein Stück Fleisch aus seinem
eigenen Körper zu schneiden. Für „Trägheit“ muss ein Mann ein
Jahr lang die Folter des Täter ertragen usw. Während Mills von Tat
zu Tat wütender wird und für die Lösung des Falls geradezu ein
Hindernis darstellt, kommt Somerset auf die Idee, sich eine geheim gehaltene
FBI-Liste zu besorgen, auf der die Leute aufgeführt sind, die sich indizierte
oder potentiell für Verbrechensvorbereitung geeignete Literatur ausgeliehen
haben. Auf diese Weise stoßen Somerset und Mills auf John Doe (Kevin Spacey).
Als sie vor seiner Wohnungstür ankommen, ist Doe nicht zu Hause. Als er
kurz darauf erscheint, kommt es zu einer Schießerei. Doe kann entkommen.
Mills tritt gegen den Willen Somersets die Wohnungstür ein. Das, was sie
dort vorfinden, identifiziert Doe als den gesuchten Killer. Der jedoch stellt
sich völlig überraschend wenig später der Polizei. Er unterbreitet
den beiden Cops ein Angebot: Wenn er als unzurechnungsfähig eingestuft
werde, würde er die beiden zu den fehlenden zwei Mordopfern führen:
Neid und Zorn verbleiben als die letzten Todsünden ...
„Se7en“
ist ein streng durchkomponierter, intelligent inszenierter und grauenerregender
Thriller, der die düstere Einschätzung des Lebens, wie Somerset sie
aus seiner jahrelangen Erfahrung als Detective gewonnen hat, bezüglich
seines letzten Falls und der Umstände, unter denen Doe vorgeht, zu bestätigen
scheint. Während Somerset sich mit der Grausamkeit der Realität abgefunden
hat, verzweifelt Mills an dieser Realität. Einziger Lichtblick in seinem
Leben ist seine Frau Tracy (Gwyneth Paltrow). Die Motivation des Täters
bleibt lange im Dunkeln. Erst spät wird deutlich, dass die beiden Polizisten
selbst im Zentrum seiner Handlungsweise stehen und Doe die Fäden bis zum
Schluss zieht, nicht die Polizei. Im Gegenteil: Mills und Somerset sind Does
Marionetten in einem grauenhaften Spiel.
Fincher
verzichtet weitgehend auf blutrünstige Szenarien. Der Schrecken ergibt
sich nicht so sehr aus Blut und abgehackten Körperteilen, sondern aus dem
Drehbuch des Killers selbst, aus den Anklängen an mittelalterliche Strafen
und Folter, an Horrorszenarien aus der Literatur (Dante, Milton, Chaucer), auch
aus Analogien zum Alten Testament, zu dem strafenden, wütenden Gott der
Rache, der ganze Städte wegen ihres Frevels und Unglaubens dem Erdboden
gleichgemacht hat, an die katholische Kirche des Mittelalters, an deren Verfolgung
von Ungläubigen, Hexen usw. Zugleich symbolisiert Spaceys John Doe jedoch
auch den Horror der Gegenwart. Doe ist in gewisser Weise der zu Ende gedachte
Mills. Mills hasst solche Psychopathen, er hasst das Verbrechen, er will es
– auch über die legalen Möglichkeiten der Polizei hinaus – ausrotten.
Seine Wut lässt ihn Grenzen sprengen. Die „Antwort“ Does ist konsequent,
zynisch und psychopathisch zugleich: Dann musst Du sie alle töten, die,
die sich den sieben Todsünden hingeben. Die Schlussszene ist in dieser
Hinsicht konsequent durchdacht.
Does
Handlung ist die eines Predigers, eines zu Ende gedachten Gottes des Alten Testaments
(zumindest in seiner Rolle als rächender Gott), der die Sünde mit
Stumpf und Stiel ausrotten will. Doe hält der Zivilisation den Spiegel
vor, in dem sich ihre Abgründe auftun. Für die Zivilisation steht
die Stadt, die amerikanische Großstadt, in der sich Tracy so unwohl fühlt,
in der sie nur wegen Mills lebt. Als sie schwanger ist, verschweigt sie dies
ihrem Mann und bittet Somerset um ein Gespräch, weil sie Angst hat, in
diese Welt ein Kind zu setzen. Der erzählt ihr, dass er vor langen Jahren
eine Frau, die von ihm schwanger war, dazu gezwungen hatte, das Kind nicht zu
bekommen. Er meine auch heute noch, dass er richtig gehandelt habe, aber er
müsse jeden Tag daran denken. „Jeder, der eine gewisse Zeit mit mir verbracht
hat, hält mich für unausstehlich“, sagt er Tracy. Am Schluss des Films
fällt Somerset folgender Satz ein: „Die Welt ist schön, und es lohnt
sich, für sie zu kämpfen.“ „Nur“ dem zweiten Teil des Satzes könne
er zustimmen.
Fincher löst das Düstere, Negative, Erschreckende der Großstadt nicht auf. Aber er führt die Rache, die erschreckende Borniertheit und machtbesessene Arroganz der Predigt Does ad absurdum. Deren durchaus bestehende innere Logik verweist auf ein ideologisches, stark katholisch-fundamentalistisch geprägtes Weltbild, gleich einem Prokrustes-Bett. In seinen Opfern sieht Doe nur die Sünde als verengtes und eingeengtes Verhältnis des jeweiligen Individuums zu den Geboten der christlichen Moral. Der einzelne verkommt zum Vereinzelten, der sich schuldig gemacht hat und dafür bestraft werden muss. Die Prinzipien verkommen zu blutleeren hehren Grundsätzen, deren Moral nicht den verschlungenen Pfaden der Erfahrung ganzer Gesellschaften und Kulturen entspringt, sondern „gesetzt“ sind – auf ewig und immer – und daher keine Moral darstellen, sondern den Regeln militärischer Standgerichte ähneln. Was Doe nie begreifen würde, ist, dass er selbst seinem Weltbild des Sündhaften, Ekelerregenden, Schmutzigen am allernächsten kommt.
Einen
Minuspunkt muss ich für die Darstellung des David Mills vergeben. Brad
Pitts Mills ist an etlichen Punkten des Films das, was man übertrieben
nennen könnte. Während die Idee zu dieser Figur exzellent ist, konnte
Pitt mich in seiner wenig subtilen Mimik und Gestik nur selten überzeugen.
Die Verzweiflung und Wut der Figur wirkt oft allzu gewollt-gespielt.
Eine
düstere Vision und zugleich eine Beschreibung von Realität, wie sie
dem Genre ansonsten oft abgeht. Ein Szenario des Schreckens, das Fincher in
„Panic
Room“
wieder aufgriff, auch wenn dieser Film „Se7en“ nicht ganz das Wasser reichen
kann. „Verwandt“ mit "Das
Schweigen der Lämmer“
und doch in seiner Zivilisationskritik eigenwillig und eigen.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Sieben
[Se7en]
USA 1995
Laufzeit:
127
Drehbuch:
Andrew Kevin Walker, nach dem Roman von Anthony Bruno „Sieben“
Regie:
David Fincher
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