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Spiel mir das Lied vom Tod
Epischer Western als ausufernder Schlußpunkt unters Genre: der Zug, die
Duelle, die Musik.
Inhalt
Drei Männer verscheuchen einen Bahnwärter von seiner einsamen Station.
Sie nehmen Aussichtsplätze ein und warten auf den Zug. Zehn Minuten. Ein
Mann mit einer Mundharmonika (Charles Bronson) steigt aus. Sie hätten nur
drei Pferde mit, sagen die Männer. "Zwei zuviel" antwortet Mundharmonika
und schießt sie zu Boden. Zur gleichen Zeit bereitet ein Farmer mit
seiner Familie ein Fest zur Ankunft seiner neuen Frau Jill (Claudia
Cardinale ) vor. Männer in Staubmänteln töten sie. Ihr Anführer heißt
Frank (Henry Fonda ) und er zögert nicht, einen siebenjährigen Jungen zu
erschießen. Frank handelt im Auftrag des Krüppels Morton (Gabriele
Ferzetti). Der will mit seiner Eisenbahn den Pazifik erreichen, bevor ihm
der Krebs die Knochen zerfrißt. Und dazu braucht er den Grund des
Farmers, auf dem ein Bahnhof entstehen soll. Die Staubmäntel sollen die
Schuld abwälzen: auf den Banditen Cheyenne (Jason Robards), dessen Bande
durch diese Kluft gekennzeichnet ist.
Und so dreht sich die Handlungsspirale weiter, während die Eisenbahn
unerbittlich Schiene um Schiene wächst. Frank will Jill das Land
abpressen, Morton hintergeht ihn und hetzt im Killer auf den Hals,
Mundharmonika und Cheyenne vereiteln beider Pläne - und während Jill als
Begründerin des neuen Matriarchats zum künftigen Bahnhof zurückkehrt,
kommt es letztendlich zur Konfrontation zwischen dem schweigsamen
Mundharmonika, der gekommen ist, um sich zu rächen, und dem Killer Frank,
und erst im letzten Moment wird klar werden, was die beiden
aneinanderkettet.
Kritik
Nur unzulänglich kann eine Inhaltsangabe die Grandiosität von Leones
größtem Western andeuten - nachdem er in der "Dollar"-Trilogie den
Western zerschlagen hatte, um ihn als schäbige Oper neu auferstehen zu
lassen, erfüllte sich der kleine dicke Italiener mit diesem Film seinen
Traum - den Traum eines Jungen, der sein Leben in den Kinos bei
amerikanischen Western verbracht hatte: dieses Genre, das selbst einen
amerikanischen Traum formt, noch einmal an den Höhepunkt zu führen -
Spiel mir das Lied vom Tod ist die wahre Pferdeoper: hier treffen sich
Verdi und der Schutzheilige des klassischen Westerns, John Ford, für
einen letzten, großen Grabgesang aufs Genre.
Bevor er überhaupt das Drehbuch schrieb, ging Leone zu seinem Haus- und
Hofkomponisten Ennio Morricone und erzählte ihm von den Szenen, die
ihm vorschwebten: von den letzten Männern, die den Westen vor der Ankunft
einer neuen Ära (der Eisenbahn) bevölkern, von der Frau, der die Zukunft
gehört, vom Monument Valley, das er als Kind so oft auf der Leinwand
gesehen hatte, und das den Hintergrund fürs Geschehen bilden sollte.
Morricone komponierte ihm einen der prächtigsten Soundtracks der
Filmgeschichte und dazu (oft, während er im Hintergrund lautstark die
Musik dröhnen ließ) baute Leone seinen Film: ein Tongedicht, das
seinesgleichen sucht.
"Wenn bei John Ford jemand ein Fenster aufmacht, blickt er in eine
strahlende Zukunft. Wenn er dasselbe bei mir macht wird er erschossen."
Leone war sich durchaus im klaren darüber, daß es sein Zynismus war, der
die Basis für seinen Erfolg bildete: schon in den Fünfzigern war der
Western zunehmends neurotischer geworden, doch erst Leone brachte den
Sarkasmus an den Tag, alle Ideale fallenzulassen und baute seine
Erzählungen rund um Kopfgeldjäger, die ohne Moral für Geld töten. Mit
Spiel mir das Lied vom Tod, der eigentlich wie ein Märchen Once Upon A
Time In The West heißt (das Lied vom Tod - auch im Dialog - ist eine
Erfindung der deutschen Synchronisation), kehrt er dem schwarzen Humor
teilweise den Rücken und gibt dem Western noch einmal seine utopische
Qualität zurück: von Träumen erzählt dieser Film, der Outlaw Cheyenne
träumt von einem friedlichen Lebensabend, die Hure Jill vom Dasein als
Mutter, Mundharmonika von der Rache und der Krüppel Morton vom Pazifik.
Aber Leone bleibt bei all dem skeptisch: so hört Morton bei seinem Tod
das Rauschen des Pazifiks - und liegt in einer Drecklache.
Das gibt eine ungefähre Vorstellung von Leones überhöhter Vision des
Westens (ein Westen, in dem schon Schläge wie Explosionen klingen, von
Schüssen ganz zu schweigen). Alleine der Vorspann: an die zehn Minuten
warten da drei Gunfighter auf Mundharmonikas Ankunft und plagen sich mit
störenden Fliegen und tropfenden Wassertürmen. Wir sehen Leuten beim
Warten zu, und es ist trotzdem hochkomisch: nicht nur, weil es so sehr
allen Erwartungen widerspricht, weil es großartig gefilmt ist, oder weil
es so unerhört ist, einen Western einfach mit einer völlig
eigenständigen, überlangen Episode zu beginnen, sondern vor allem weil es
musikalisch gebaut ist. Das Verhallen von Schritten auf Holzplanken, das
Surren der Fliege, das Knacksen von Knöcheln und (der heimliche
Rhythmusgeber) das Quietschen des Windrads formen eine Melodie, die der
(nie irrende) Leone mit seinen geliebten Nahaufnahmen und Totalen (sein
ganzes Kino ist eine Umarmung von Gegensätzen) auf der Bildspur
verstärkt. Und so funktioniert der ganze Film: eigentlich ist er eine
Serie von unabhängigen Szenen, konstruiert zur Musik Morricones, die
zufällig am Ende dann ein Ganzes geformt haben, das wie von nebenher die
Geschichte des Westerns ist. Leone gönnt sich hier das Spiel mit
altvertrauten Klischees und füllt sie mit persönlicher Genugtuung: wenn
gegen Anfang die Kamera einen Halbkreis beschreibt und uns zeigt, das das
Gesicht des Mörders niemand anderer ist als Henry Fonda, mit seinen
hellblauen Augen, die bisher das aufrechte Amerika verkörperten, dann ist
dies vor allem sein kleiner, persönlicher Triumph - er hat den bisherigen
Good Guy, den er sich für seine Dollar-Filme nicht leisten konnte,
endlich doch bekommen und daß er ihn gegen seine bisherigen Rollen
präsentiert, freut zuallererst Leone selbst - und dann auch
offensichtlich Fonda und das Publikum. Zu Fonda und Mundharmonika (noch
einmal ein jugendlicher Charles Bronson kurz vor der totalen Verlederung)
hat Morricone denn auch das berühmte Mundharmonika-Motiv komponiert, das
die endlos zerdehnten (und dabei verdichteten) Duellszenen des Films
strukturiert, aber die Titelmelodie gehört Claudia Cardinale: eine sich
langsam emporhebende, im Crescendo eines Frauenchors kulminierende Hymne,
weltfern und erinnerungsträchtig wie Leones ganzer Film selbst. Es gibt
hin und wieder Momente, wo einem das Herz aufgeht im Kino: dazu gehört
der erste Einsatz diese Lieds, als Cardinale den Bahnsteig entlanggeht,
durch den Bahnhof hindurch, und während die Kamera auf der anderen Seite
des Gebäudes zum Himmel steigt, bricht zum ersten Mal das jubilierende
Grundmotiv des Films am Soundtrack aus und man sieht den ganzen
Stadtplatz, in dem sich die Figuren im epischen Panoramablick verlaufen:
hier ist das Zentrum des Films, um das seine melancholischen Geschichten
vom Sterben des Westerners, von der zynischen Brutalität der Rache und
von der Ankunft des Zuges angeordnet sind.
Christoph Huber, 09.05.2000
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Spiel mir das Lied vom Tod
C´era una volta il West/Once upon a time in the west
USA/Italien, 1968
Genre: Western
Mit: Charles Bronson, Claudia Cardinale, Henry Fonda, Jason Robards
Regie: Sergio Leone
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