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Szenen
einer Ehe
Home sweet home
Johan und Marianne führen eine „Musterehe“.
So vorbildlich und adrett, dass ihr ausgeglichenes und reibungsloses Zusammenleben
zum Gegenstand einer Home-Story für eine Zeitschrift wird. Das Paar, drapiert
in Mitten seines hübsch ausstaffierten gutbürgerlichen Eigenheims,
soll von sich erzählen. Johan, ein Professor, gibt sich kokett und wenig
bescheiden, legt darauf Wert, sein angenehmes Wesen und seinen Intellekt hervorzuheben.
Marianne, die sein Gebaren etwas indigniert, ist erkennbar zurückhaltender
und geriert sich zunächst nur als Accessoire ihres Mannes. Offenbar ist
ihr dieser Einblick ins Private, diese oberflächliche Zurschaustellung
des eigenen Lebens und die Verquickung von Sein und Haben unangenehm, aber jedes
Mal, wenn sie in ihren Ausführungen vom seichten Blabla abweicht, weil
sie annimmt, man würde mehr von ihr erwarten, greift der Fotograf der Reportage
ein und rückt Marianne zurecht – zugleich ins Bild und damit zurück
in den verträglichen Rahmen des normativ-banalen Gesprächs.
Geschäftsmänner
und eine „Ehe ohne Liebe“
Eines Abends laden Johan und Marianne
zur Pflege innerständischer Beziehungen ein befreundetes Ehepaar, Peter
und Katarina, ein. Dass die Gäste - begünstigt durch exzessiven Alkoholgenuss
- ihre angehäufte Schmutzwäsche auspacken, sich desavouieren,
mit ehrenrührigen Gemeinheiten belegen und sogar das magische Wort „Scheidung“
fällt, lässt Marianne in Bezug auf die Sicherheit ihrer Ehe recht
unbesorgt. Die Auffassung der beiden Zankbrüder widerspricht einfach zu
sehr Mariannes Exegese eines ehernen Versprechens. Sie hassen einander, weil
sie charakterlich fast vollkommen kongruent sind: Peter bezeichnet Katarina
als „Geschäftsmann“, will sie sich doch einfach nicht subordinieren und
seinem Frauenbild entsprechen. Überspitzt zusammengefasst, ist hier also
das Weibliche human, gerecht und idealistisch und demgegenüber das Männliche
gierig, kalt und realistisch, weshalb Peter seine Ehefrau, in der er sich selbst
zu einem gewissen Grad wieder erkennt, auch dem letzten Prinzip zuordnet. Damit
diese vereinfachende Einteilung aber in jedem Fall wackelt und um nicht in den
Verruf zu kommen, handfeste und deutungsresistente Wahrheiten anzubieten, sorgt
Bergman dafür, dass der nüchterne Naturwissenschaftler Johan Gedichte
schreibt und seine empfindsame Frau mit Lyrik nichts anfangen kann.
Als Scheidungsanwältin glaubt Marianne aufgrund
ihrer Berufserfahrung und der Vertrautheit mit den üblichen Motiven ihrer
Klienten gegen eigene Eheprobleme immun zu sein, möglichen Konflikten also
schon präventiv entgegenarbeiten zu können. Der Dialog mit Frau Jacobi
gibt ihr allerdings zu denken, denn auf ihrem imaginären Beurteilungsbogen
kann Marianne keinen einschlägigen Scheidungsgrund ankreuzen. Jacobis Ehemann,
mit dem sie seit 20 Jahren verheiratet ist, war ein guter Vater und treuer Gatte
und doch war es eine „Ehe ohne Liebe“ wie sie es mehrfach emphatisch betont.
So stellt sich für die konsternierte Marianne die Frage, wie denn mit diesem
Abstraktum Liebe eigentlich umzugehen ist, für das nicht nur Frau Jacobi
keine gültige Denotation kennt.
Was werden die
Eltern denken?
Johan, zu Beginn der Geschichte 42 und sieben Jahre
älter als Marianne, befürchtet, dass ein eventueller zweiter Frühling
droht, ungenutzt zu verstreichen. Nach einem Vergleich des Status quo mit dem
potenziell Erreichbaren, entwickelt er eine Sehnsucht, das Jetzt völlig
hinter sich zu lassen. Wird dieses Jetzt aber von außen mit (Reiz-)Wörtern
wie „Idylle“ und „Harmonie“ umschrieben, fällt eine Rechtfertigung gegenüber
der eigenen Familie und dem überlangen Appendix, nämlich der anhänglichen
Sippe, ziemlich schwer. Sich selbst allerdings konnte er seinen Umsturz bei
einer klein gehaltenen Meinungsverschiedenheit über das Rezept für
ihr gutes Beisammensein zurechtlegen, indem er der Beziehung eine vernünftige
Basis abzusprechen versuchte: Während Marianne, romantisch aufgeladen,
die gemeinsame „Sprache“ (nicht die Muttersprache, etwas Transzendentes, das
viel beschworene „blinde Verständnis“, ist gemeint) als Grund benennt,
sieht Johan, der bereits die Flucht plant, lediglich die finanzielle Sicherheit
als Fundament. Als er dann von einer Geschäftsreise (auch beruflich will
er sich „verbessern“) vorzeitig zurückkehrt, wirft er Marianne vor die
Füße, dass er schon seit vier Jahren mit einer Trennung liebäugelt
und jetzt in einer gewissen Paula, die er „seit Juni“ kennt, ein Zugpferd gefunden
hat, das für den Zuschauer und Marianne immer anonym bleibt und nur durch
Johans Beschreibungen und einen Brief definiert wird, dessen Bedeutung und Wahrheitsgehalt
Johan aber beflissentlich relativiert, um Mariannes Vorstellung von der jüngeren
Nebenbuhlerin allein zu bestimmen, für die er die impermeabel geglaubte
eheliche Schutzwand nach außen hin durchdringt.
Spätestens ab hier merkt das Publikum, dass
es den Film mit Mariannes Augen sieht, weil es bis dahin den gleichen Erkenntnisfortschritt
hat wie die Protagonistin und ebenso von Johan, der dem Zuschauer gegenüber
Täterwissen verbarg, überrascht und getäuscht wurde. Im weiteren
Verlauf des Filmes wird man öfter mit Marianne allein gelassen, nie aber
mit Johan. Sogleich wird dieses just statuierte Verhältnis zur weiblichen
Hauptfigur unterstrichen und erprobt, als Marianne Freunde der Familie anruft,
um ihre Agonie zu lindern. Als sich dann auch für das empathische Publikum
herausstellt, dass diese „Freunde“ bereits im Bilde sind und damit für
Marianne nicht nur die geheiligte Institution Ehe, sondern auch der Begriff
Freundschaft kein Jota mehr wert scheinen, ist sie binnen Tagesfrist völlig
paralysiert und desillusioniert.
Johan wollte ausbrechen aus dem Bestehenden. Aber
er war es, der die bourgeoisen Fesseln, von denen er sich nun ruckartig emanzipiert,
festzurrte. So wollte er beispielsweise seiner Frau ausreden, das rituelle Sonntagsessen
bei den Eltern, nur ein Modul auf dem voll gepackten „Stundenplan“, abzusagen.
Marianne hatte den freien Tag – wie furchtbar dekadent – zu Hause mit den Kindern
verbringen wollen. Dieses beständige Vereiteln hat seine Frau in eine Rolle
gedrängt und dort gehalten, die die Johan zuwider gewordenen Verhältnisse
spiegelt - Marianne konnte er jetzt leicht abservieren und zugleich mit der
Hauptschuld beladen. Einige Zeit später, bei einem ihrer regelmäßigen
Treffen in der Vor-Scheidungs-Phase, kehrt Marianne ihr Innerstes nach außen,
gibt damit ihrem Charakter eine weitere Dimension und räumt noch wichtige
verbliebene Verständnisprobleme aus, die ihre Person betreffen. Bereits
in ihrer Kindheit wurden die Weichen für eine Zukunft als treue Ehefrau
und fürsorgliche Mutter im Dienste der Konservierung bewährter bürgerlicher
Konventionen gestellt. Durch eine Zucht, die Anpassung belohnt und ein Abgleiten
vom rechten Weg bestraft, wurde Marianne dahingehend konditioniert, sich ein
Stück weit aufzugeben und devot den Bedürfnissen eines solipsistischen
Gemahls zu verschreiben. Ganz so wie angestrebt, ist sie dann doch nicht geraten,
hat sie doch nicht nur die Erziehungsinhalte, sondern auch die Erziehungsmechanismen
internalisiert, um sie auf Johan anzuwenden, dem sie, wenn es ihr nötig
schien, sein verbrieftes Recht auf Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse,
z.B. zur Sühnung schlechter Laune, verwehrte.
2. Peripetie –
diesmal mit Vorzeichenwechsel
Einige Jahre später soll es nun endlich ans
Unterzeichnen der Scheidungspapiere gehen. In seinem Arbeitszimmer sitzt ein
missmutiger Johan über den Papieren, angeschienen vom künstlichen
Licht der Zimmerbeleuchtung und vom in dieser Intensität künstlichen
Strahlen seiner gutgelaunten Nochgattin. Als Marianne, die freimütig von
wechselnden Partnern berichtet, schließlich auf Johans Unterschrift insistiert,
berstet dessen bröckelnde Fassade: Das nun eingeräumte Scheitern der
Beziehung zu Paula (mit der allein zu sein schlimmer sei, als wirklich einsam
zu sein) ist nur die Kulmination kumulierter Nicht-Bestätigung der im spät-juvenilen
Größenwahn vorgenommenen Selbsteinschätzung. Johan ist beruflich
nicht weiter gekommen und privat gestrauchelt. Seinen Drang, etwas zu hinterlassen,
konnte er nicht befriedigen (Selbst im Kleinen wird evident, wie sehr das an
ihm genagt hat, als er moniert, dass Marianne nach vollzogenem Beischlaf immer
unvermittelt das Bidet aufsuchte, um sich von ihm zu reinigen. Merkwürdig
ist in diesem Zusammenhang aber, dass Johan für seine zwei Kindern, die
zu Beginn flugs aus dem Bild geschoben werden, kein sonderliches Interesse zeigt.).
Am liebsten würde er die alten Verhältnisse restituieren, aber Marianne
hat sich nach eigener Aussage von ihm losgelöst. Vielleicht behauptet sie
das aber nur, um ihn, der bislang die Richtung anwies, auflaufen zu lassen.
In der klaustrophobischen Enge von Johans Büro
wird, außerdem noch zeitlich eingeengt, der diffuse Gefühlsdschungel
des Paars resümiert, der ganze Abrieb aufgewirbelt, den das perennierende
und substanzzehrende Wechselspiel von Streit und Versöhnung über die
letzten Jahre hat liegen lassen. Die leidenschaftliche Hassliebe der beiden
wird dann noch physisch veranschaulicht durch einen unziemlichen Liebesakt am
Boden, der wenig später von einem spektakulär choreographierten Handgemenge
kontrastiert wird.
Ketten gesprengt!
Je weniger Johan und Marianne einer irgendwie gearteten
verlogenen Ordnung und ungeschriebenen Ständegesetzen unterliegen, desto
ehrlicher und offener begegnen sie sich. Nach einem weiteren Zeitsprung sehen
wir das Paar, beide wieder verheiratet (mit andern Partnern), bei einem der
Usus gewordenen heimlichen Ausflüge, die der nicht abebbenden Remanenz
geschuldet sind. Die Freiheit und Spontaneität, die die neu verstandene
Beziehung kennzeichnet, wird durch die Weitläufigkeit der schwedischen
Landschaft illustriert, durch die beide fahren, um endlich nach einer finalen
Abschiednahme vom ehemaligen Heim und der damit kohärenten Vergangenheit
im Landhaus eines Bekannten aufzuschlagen. Das präsentiert sich ziemlich
unwohnlich und regt damit die zu Beginn des Filmes angesprochene Affinität
beider zum Aufräumen an, das sich aber vormals weitestgehend auf die sichtbare
bürgerliche Visitenkarte, sprich das Haus, beschränkte – Konfliktansätze
wurden kurz vor dem Sichtbarwerden unter den Teppich gekehrt, aber jetzt aufrichtig
ausgefochten. Zwar lässt Bergman das Verhältnis des Paares in diesem
ungewöhnlichen (und ostentativ unsittlichen) Schwebezustand, wichtiger
als die Zufriedenstellung eines primitiven Zuschauerwunsches nach wirklichem
Zusammenkommen ist aber der Lernprozess beider, der in der Erkenntnis gipfelt,
dass man irrationalen Gefühlsproblemen nicht mit menschenüblicher
kühl-kritischer Analyse und schon gar nicht durch Ignorierung beikommen
kann.
Dann doch halbe
Antworten auf uneigentliche Fragen
Mit der für ihn typischen angespannten Ernsthaftigkeit,
die sogar gezwungene Witzeleien und Lockerheiten zu Oasen der Entkrampfung machen,
sowie enormer erzählerischer Dichte und Eloquenz arbeitet Bergman in seinem
Aufklärungsfilm die aufgeworfenen und drängenden Fragen ab, die um
den Begriff Ehe kreisen. Auch wenn er schon Filme hervorgebracht hat, die sich
einer Lesbarmachung gegenüber noch mehr gesträubt haben, leicht zu
verkonsumierende Antworten will Bergman aber auch hier nicht geben, denn wenn
er sich bemühen muss, Probleme anzureißen, kann er auch vom Publikum
erwarten, dass es sich eigene Gedanken macht und seine Einsichten eruiert, die
den Vorteil haben, beim einzelnen Zuschauer noch eindringlicher hängen
zu bleiben, als plump aufgetischte „Wahrheiten“. Offensichtlich ist allerdings,
was Bergman selbst von der Ehe hält. Dabei spricht er dem Menschen ab,
eine solche Manifestation ehrlich einzugehen und gibt der Ehe als Idee und nicht
ihrer Interpretation die Schuld an ihrer eventuellen Zerrüttung. Ebenso
verneint er, dass es ein Bewusstsein geben kann, die unvermeidbaren Schwierigkeiten
zu akzeptieren, die eben eine Ehe als Konfrontation zweier Menschen, die sich
ewige Treue geschworen haben, mit sich bringen kann. Für Bergman ist erwiesen,
dass es keinen goldenen Weg, keine verbindlichen Kernkompetenzen und Schlüsselqualifikationen
gibt und dass der Versuch, die guten und schlechten Erfahrungen anderer auf
die eigene Situation zu abstrahieren, fatal enden kann. Weil man menschliches
Verhalten – und das ist gut so – nun mal nicht orakeln ist.
„Szenen einer Ehe“ zählt zu den verständlicheren
Werken Bergmans. Das ist wohl vor allem auf den - hier zugänglich gemachten
- Alltags- und Praxisbezug zurückzuführen, den man seinen „schwereren“
Filmen zwar nicht absprechen darf, der aber oft erst durch eine Übertragung
der parabolischen Darstellung zu entschlüsseln ist. Da die Thematik dieses
Filmes von besonderem „öffentlichem Interesse“ ist, verzichtet der Regisseur
diesmal auf die stilistisch reizvolle Vorschaltung einer verstehensrelevanten
Symbolik und gewährt unmittelbaren Zugang zum Kern der Sache, womit die
Konzentration auf die allgegenwärtigen Hauptakteure (es gibt keine Szene,
in der nicht wenigstens einer der beiden auftaucht) und ihr Handeln erleichtert
wird. Auch wenn bei Bergman-Filmen die Schauspielerleistungen stets zum Besten
gehören, sollte man nicht wie selbstverständlich über sie hinweggehen,
denn speziell in „Szenen einer Ehe“ vergisst man fast, dass zu diesen Gesichtern
nicht die Namen Johan und Marianne, sondern Erland Josephson und Liv Ullmann
gehören. Gut 30 Jahre später, 2003, kommt es dann in der Fortsetzung
„Sarabande“ wieder zur Assoziation der bis dahin stark gereiften Gesichter mit
den hier vertraut gewordenen Namen.
Das Drehbuch zu „Szenen einer Ehe“ schrieb Ingmar
Bergman im Frühjahr 1972. Im Sommer desselben Jahres wurde der Stoff verfilmt
und zu einer fünfstündigen Fernsehserie bestehend aus sechs Episoden
verarbeitet. Die ursprünglich nicht geplante Kinoauswertung war aber nicht
nur stark gekürzt (von 299 auf 169 Minuten), sondern auch optisch nicht
umwerfend, weil das originäre Fernsehbild auf Leinwandgröße
ausgedehnt werden musste. Grobkörnigkeit und Formatschwierigkeiten waren
das Resultat. „Szenen einer Ehe“ ist aber auch unter diesen Umständen der
Beweis dafür, dass die technische Aufbereitung dem (auch kommerziellen)
Erfolg eines Filmes äußerlich sein kann, solange nur der Film per
se überwältigt.
Das pejorative Urteil, „alles so oder so ähnlich
schon mal gesehen zu haben“, lässt sich durch den Zusatz ins Gegenteil
verkehren, dass das Déjà-vu auf zeitlich späteren Filmen
basiert. „Szenen einer Ehe“ kann man ein solches Lob, eine Pionierleistung zu
sein, zuteil werden lassen, sollte aber vor allem herausstellen, dass er nicht
nur einfach neue Wege beschritten hat, sondern sich – und das ist das bemerkenswerte,
weil Anleihen dementsprechend rar sind – um eine konsequente und breite Auseinandersetzung
(die bis heute Referenzstatus hat) mit einer vergleichsweise vakanten Materie
verdient gemacht hat.
(Dieser Text bezieht
sich auf die Kinofassung.)
Erik Pfeiffer
Szenen
einer Ehe
SCENER UR ETT ÄKTENSKAP
Schweden 1973 – 169
min. (Kinofassung); 299 min. (TV-Fassung)
Erstaufführung: 13.3.1975/10.9.1976 Kino DDR/4.6.1983
DFF 2/19.4.2005 DVD
Regie: Ingmar Bergman
Buch: Ingmar Bergman
Kamera: Sven Nykvist
Schnitt: Siv Lundgren
Darsteller:
Liv Ullmann (Marianne), Erland Josephson (Johan), Bibi
Andersson (Katarina), Jan Malmsjö (Peter) Gunnel Lindblom (Eva), Barbro
Hiort af Ornäs (Frau Jacobi)
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