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Tattoo
"Bist
Du Jäger oder Künstler?" Vor diese merkwürdig anmutende
Entscheidung stellt einen die offizielle Homepage zum Erstlingswerk des Regisseurs
Robert Schwentke, der allerdings mit drei "Tatort"-Büchern schon
Erfahrung im Umgang mit den dunklen Seiten des menschlichen Seins (zumindest
in Hinsicht medialer Aufbereitung) gesammelt hat. Das Objekt der Handlung bleibt
in dieser Frage konsequenterweise ausgespart, denn in Schwentkes Film kommt
es allenfalls recht blutig oder verkohlt zum Vorschein. "Tattoo" konzentriert
sich - ganz dem Subgenre des "Fincher-Thrillers" verpflichtet - nicht
auf die eigentliche Kriminalhandlung, sondern auf die agierenden Personen, ob
Jäger, Sammler, Künstler oder alles zusammen.
Der
Film startet mit einer Sequenz, die jedem Hollywood-Action-Schocker alle Ehre
machen würde. Eine nackte Frau, vollkommen verwirrt, läuft nachts
über eine leere Kreuzung. Je näher die Kamera kommt, umso besser erkennt
man, dass sie blutüberströmt ist, ihr Rücken eine einzige Masse
rohen Fleisches. Auf einmal kommt ein Bus von rechts, die Kamera verharrt auf
ihrer Position, die Frau ist weg. Wenige Sekunden später sehen wir den
Bus explodieren. Natürlich ist schon die Explosion des Busses unlogisch,
wie so vieles weitere in diesem Film. Die eigentliche Geschichte erzählt
von dem jungen Polizisten Marc Schrader (August Diehl), der von dem kauzigen
Kommissar Minks (Christian Reld) zu sich geholt wird. Der Grund dafür ist
Minks Tochter, die vor ein paar Jahren verschwunden ist, und da Minks weiss,
dass Schrader sich privat in so mancher Szene herumtreibt, erhofft er sich Hilfe.
Im Grunde also das typische Motiv des ungleichen Polizistenduos, die beide so
ihre Probleme haben und sich zusammenraufen müssen. Gemeinsam kommen sie
auf die Spur eines skrupellosen Geschäfts, der Tausch mit Tattoos auf Menschenhaut.
Immer mehr Tote mit fehlenden Hautpartien beschäftigen die beiden. Und
als ob das nicht schon genug wäre, verliebt sich Schrader in die geheimnisvolle
Maya (Nadeshda Brennicke)...
So
weit, so klischeehaft. Wieder einmal der misslungene Versuch, Kinothriller in
Deutschland zu produzieren? Ganz so einfach verhält es sich dann doch nicht,
denn der Film hat einen großen Pluspunkt: er schafft eine ganz eigentümliche,
kalte Atmosphäre. Die beiden Hauptdarsteller sehen so bleich aus, als seien
sie selbst erst gerade der Gruft entstiegen, die Wohnungen, ob nun luxuriös
oder bodenständig durcheinander, versprühen graue Tristesse, die Außenaufnahmen
steigern dass Gefühl der Anonymität. Und dazwischen immer wieder:
Rot. Blutrot. Im Gegensatz zu "Das Schweigen der Lämmer", der
in vielen Rezensionen als Vergleich angeführt wurde, überwiegt bei
"Tattoo" das Explizite gegenüber dem Unterschwelligen.
Leider
stehen die Dialoge im Widerspruch zur Optik des Films. Dass der Gerichtsmediziner
seine zynischen Sprüche ablässt, gehört wohl irgendwie dazu,
auch die Käbbeleien unter den Polizisten, aber auch ansonsten spielt sich
vieles auf "Derrick"-Niveau ab: "Sie ist tot!" - "Was?".
Phänomenal auch die Weisheiten, die Minks an Neupolizist Schrader weitergibt:
"Einer muss immer bezahlen!" Und die Krönung: "Sieh immer
zu, dass du abends lebendig nach Hause kommst." Zugegeben, in Schwentkes
grau-blutiger Berlin-Version erscheint dies gar nicht so einfach. Man kann diese
Dialoge natürlich als Stilmittel interpretieren, ihre Sprecher als Prototypen
des entindividualisierten Individuums, welches sich am Ende selbst karikiert
und dessen Sehnsucht sich in archaischen und damit existentiellen Motiven (und
Handlungen) niederschlägt. Mann kann, man muss aber nicht...
So
kommt es, das Schwentkes Film eine Mischung aus absolut großartigen Szenen
und fast schon Trashelementen ist. Auch die schauspielerischen Leistungen schwanken
irgendwo zwischen "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" und Oscar-reifen
Darstellungen. Irgendwie merkt man dem Film die Bemühtheit Schwentkes an,
der deutsche Fincher zu sein, was sogar stellenweise gelingt - aber eben nicht
flächendeckend.
Thomas
Vits
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: Planet Confusion
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Tattoo
Deutschland
2002
Länge:
108 Minuten
Regie:
Robert Schwentke
Drehbuch:
Robert Schwentke
Produktion:
Jan Hinter, Roman Kuhn
Musik: Martin
Todsharow
Kamera: Jan
Fehse
Schnitt:
Peter Przygodda
Besetzung:
August
Diehl: Kommissar Marc Schrader
Christian
Redl: Kommissar Minks
Nadeshda
Brennicke: Maya Kroner
Johan
Leysen: Frank Schoubya
Fatih
Cevikkollu: Dix
Monika
Bleibtreu: Kommissarin Roth
Ilknur
Bahadir: Meltem
Joe
Bausch: Günzel
Florian
Panzner: Poscher
Jasmin
Schwiers: Marie Minks
Gustav-Peter
Wöhler: Scheck
Ingo
Naujoks: Stefan Kreiner
Christiane
Scheda: Lynn Wilson
Wanda
Perdelwitz: Baby
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