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Taxi
Driver
„The whole conviction of my life now rests upon the belief that
loneliness, far from being a rare and curios phenomenon, is the central and
inevitable fact of human existence.“
Thomas
Wolfe, „God’s Lonely Man“ (Aus dem Vorspann des Films).
Einsamkeit
– Großstadt – Verzweiflung – Hilflosigkeit – Wut – Gewalt. Diese Begriffe
umschreiben nur völlig unzureichend, was Martin Scorsese in seinem vor
26 Jahren gedrehten Film auf Basis eines exzellenten Drehbuchs von Paul Schrader
in die Kinos brachte. Dabei erwartete er selbst nicht den Erfolg, zu dem der
Film tatsächlich dann wurde.
Auch
andere Schwierigkeiten mussten überwunden werden. Zum Beispiel, dass Jodie
Foster damals gerade mal vierzehn Jahre alt war und eine zwölfjährige
Kinderprostituierte spielen sollte. Das musste Scorsese bei der entsprechenden
Behörde für Jugendschutz erst einmal durchsetzen. In Anwesenheit ihrer
Mutter durfte Jodie Foster nur eine bestimmte Stundenzahl pro Tag am Set drehen.
Sie erzählt im Rückblick, wie sehr sie es hasste, Hot Pants und hochhackige
Schuhe zu tragen. Für einen Teil der Schlussszene musste die Decke eines
Zimmers teilweise ausgebrochen werden, damit mit der Kamera auf einer Schiene
von oben in das Zimmer hinein gefilmt werden konnte. Gleichzeitig musst das
alte Haus abgestützt werden, damit es nicht zusammenfiel. Der Maskenbildner
u.a. mussten einige Phantasie entwickeln, um in einem sehr engen Korridor und
Treppenhaus des Hauses, in dem es zum Schusswechsel kommen sollte, z.B. eine
abgeschossene Hand zu konstruieren, aus der Blut hinaus laufen sollte.
Travis
Bickle (Robert de Niro) hat Vietnam hinter sich. Er kann nachts nicht schlafen.
Daher fängt er bei einer Taxifirma an und sieht des nachts viel von dem,
was er nicht ertragen kann: Prostitution, Drogen, Verkommenheit, Kriminalität.
Seine Kontakte beschränken sich auf nächtliche kurze Treffen mit seinen
Kollegen zum Kaffee. In New York ist Wahlkampf. Charles Palentine (Leonard Harris)
bewirbt sich als Präsidentschaftskandidat – mit einem Programm unter dem
Titel „We are the people“ und der Maxime: Sauberkeit in jeder Hinsicht. Travis
beobachtet das Wahlkampfbüro. Als er die Wahlkampfmanagerin Betsy (Cybill
Shepherd) in blütenweißem Kleid sieht, ist er fasziniert, versucht,
an die junge Frau heranzukommen, geht in das Wahlkampfbüro und redet auf
sie ein. Er wolle den Wahlkampf unterstützen, aber vor allem sie kennen
lernen. Irgendwie macht Travis Eindruck auf Betsy, und nach einem gemeinsamen
Kaffee in irgendeiner Bar lädt Travis sie zum Kinobesuch ein – in ein Pornokino,
was Betsy überhaupt nicht nachvollziehen kann. Sie wendet sich von Travis
ab, schickt seine Blumen wieder zurück. Travis hingegen ist nun davon überzeugt,
dass auch Betsy „zu den anderen“ gehört, der ganze Wahlkampf von Palentine
eine Farce ist und seine Saubermann-Parolen erstunken und erlogen sind. Travis
besorgt sich mehrere Waffen und beschließt, Palentine zu ermorden.
Während
er sich auf den Anschlag vorbereitet, lernt er die Kinderprostituierte Iris
kennen. Sie ist zwölf und von einem Zuhälter, der sich „Sport“ nennt
(Harvey Keitel), abhängig. Das, was mit Betsy nicht funktioniert hat, will
Travis nun Iris angedeihen lassen. Er will sie befreien – aus dem Sumpf der
Prostitution. Bei einem Zusammentreffen will er dies Iris klar machen, obwohl
die ihr jetziges Leben gar nicht aufgeben will. Doch vorher muss er noch Palentine
beseitigen. Er begibt sich auf eine Wahlkampfveranstaltung, den Kopf geschoren
und mit einem Irokesenschnitt versehen. Allerdings wird ein Sicherheitsbeamter
auf ihn aufmerksam und Travis muss das Weite suchen ...
Scorsese
und Schrader präsentieren eine äußerst widersprüchliche
Figur Travis Bickle. Er hasst den „Schmutz“ (Prostitution, Klein- und Kleinstkriminalität,
Drogenszene etc.), aber gleichzeitig lebt er in einer Welt der Pornographie,
besucht entsprechende Kinos; er hasst die Stadt, deren Anonymität, doch
er arbeitet hier, sogar nachts, wenn das noch verstärkt aus „den Löchern
kriecht“, was er verabscheut, wenn es noch einsamer auf den Straßen zugeht.
Travis hat sich selbst zur moralischen Instanz erhoben. Das macht er dem Wahlkämpfer
Palentine während einer Taxifahrt mehr als deutlich. Travis erklärt
sich für nicht zugehörig zur Stadt und ihrem Schmutz, und doch ist
er ohne Einschränkung Produkt und Teil ihres sozialen Alltags. Er lebt
von ihr. Travis ist nicht „einfach einsam“. Er ist das Produkt der Umgebung,
die er verachtet, er ist in ihr groß geworden, und er ist zugleich Produkt
seiner selbst, das heißt unfähig, den Zusammenhängen des Lebens
in der Großstadt – ob New York oder irgendeine andere Stadt spielt keine
Rolle – auf den Grund zu gehen und das, was er als „Schmutz“ sieht, in das Gefüge
einzuordnen und anders zu bewerten. Travis hat nichts von dem, was man historisches
Bewusstsein oder soziales Verstehen nennen könnte. Er schaut den Schmutz,
aber er sieht nicht wirklich hin. Er glaubt nur zu begreifen, aber er denkt
in Begriffen, die nicht reflektiert sind. Er phantasiert Lichtgestalten: die
„reine“ Betsy und die „an sich unschuldige“ Iris. Beide Frauen will er befreien,
obwohl sie von ihm nichts dergleichen wollen. Als sich Betsy von ihm abwendet,
wird für Travis sehr schnell aus dem lichten Engel eine Hexe, die sich
nur verkleidet hat. Die Waffen, die sich Travis besorgt, stehen für das
Kreuz der Teufelsaustreibung, mit dem er den Schmutz bekämpfen will.
Auch
sieht er nicht, dass er nicht der einzige ist, der im Moloch Stadt einsam ist.
Iris zum Beispiel hat sich von ihrem kleinbürgerlichen Elternhaus losgesagt,
ihren Namen geändert und sieht in ihrem Zuhälter „Sport“ die Art von
Mensch, den sie braucht, der ihr Schutz und Zuneigung gibt. Sie sieht nicht,
dass „Sport“ sie ausschließlich ausnutzt und ihr nur Zärtlichkeit
vormacht. Oder sieht sie es doch und ist damit zufrieden? Auch der Mann (Martin
Scorsese), den Travis im Taxi zu einem Haus fährt, der ihm sagt: Schau,
da oben hinter der Gardine, das ist meine Frau, aber das ist nicht mein Haus,
meine Frau trifft sich dort mit einem „Nigger“, ich werde ihn töten, was
sagst du dazu – auch dieser Mann interessiert Travis nicht wirklich. Das, was
er sagt, bestärkt ihn lediglich in seiner Verachtung für die Stadt
und ihren Schmutz. In einer Szene geht Travis am Morgen durch die Stadt, umringt
von Passanten, einsam. Schrader sagte zu dieser Szene: Nur in dieser Menge ist
man einsam, kann man einsam sein. Es ist nicht eine punktuelle, zeitweise, situationsabhängige,
vorübergehende Einsamkeit, die Travis erfährt. Es ist eine sozusagen
strukturell verankerte Einsamkeit, gepaart mit der Unfähigkeit, sie innerhalb
des städtischen Lebens zu überwinden. Travis spricht mit etlichen
Leuten, aber er ist im Grunde unfähig zur Kommunikation und damit zu Freundschaft,
Liebe usw. Seine Verzweiflung ist ebensowenig situativ; sie ist latent und chronisch,
sie hat sich fest in seinem Inneren eingenistet. Das, was Travis außerhalb
als Schmutz schaut, ist Projektion dieser inneren Verzweiflung. Das eigene innere
Negative, das Leiden in ihm selbst, das er nicht bekämpfen kann, überträgt
er auf „die da draußen“, die „Täter“, und ihre tatsächlichen
oder vermeintlichen Opfer, deren Befreiung er sich auf die Fahnen geschrieben
hat. So entstehen Feindbilder und Psychosen. Das, was ihn in seinem Innern keine
Ruhe lässt, verfolgt, das verfolgt ihn dann „da draußen“. Und daher
muss er sich „wehren“, die Verfolger verfolgen.
Die
einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, ist ein quasi religiöser, reinigender
Akt. Wie den Vampiren mit Kreuz und Pfahl der Garaus gemacht wird, so greift
Travis zum Waffenarsenal. Aber im Unterschied zur Vernichtung von Vampiren spürt
Travis irgendwo in seinem Innern selbst, dass er – ob er nun Palentine ermordet
oder „Sport“ – die Waffe danach gegen sich selbst richten müsste. Travis
Einsamkeit ist Produkt jener subtil-gefährlichen Mischung aus den schwierigen
Bedingungen eines großstädtischen Individualismus und der selbstgewählten
Isolation, gepaart mit der „anerzogenen“ Unfähigkeit, dieses explosive
seelische Konglomerat auf eine produktive Art zu sprengen. Der Akt der Gewalt
bleibt ihm als einziger Ausweg – so sieht er es jedenfalls.
Der
Schluss des Films zeigt einen Travis, den seine Umgebung als Helden feiert –
eine Aufforderung, auf seinem Weg weiterzugehen? Es ist viel darüber diskutiert
und geschrieben worden, ob dieser Schluss Realität wiedergibt oder ob er
die letzten Gedanken eines Sterbenden visualisiert. Ich halte das für unerheblich.
Denn ob er nun mit solchen Gedanken stirbt oder weiterlebt – viel wichtiger
wäre die Frage, ob ein fast unveränderter mentaler Zustand weiterhin
seine Handlungen bestimmt oder nicht. Scorseses „Taxi Driver“ ist auch und gerade
nach 26 Jahren noch immer aktuell. Scorsese und Schrader verorten die Frage
nach Gewalt nicht in einem individualisierten Raum. Die Sicht des Films ist
vor allem die Sicht von Travis. Paradoxerweise führt dies zu einer geweiteten
und breiteren Perspektive, in der sich Gewalt nicht mehr eindimensional und
ausschließlich als Frage von individueller Schuld und Strafe stellt.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Taxi
Driver
[Taxi Driver] USA 1975
Start:
07.10.1976
Verleih:
UIP
Laufzeit:
114
FSK:
16
Drehbuch:
Paul Schrader
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Robert De Niro, Cybill Shepherd, Jodie Foster, Harvey
Keitel, Albert Brooks, Peter Boyle, Diahnne Abbott, Martin Scorsese
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