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Taxi
Driver
Der
verschluckte Mensch
Awake again I can’t pretend and I know I’m alone
And close to the end of the feeling we’ve known
How long have I been sleeping
How long have I been drifting alone through the night
How long have I been dreaming I could make it right
If I closed my eyes and tried with all my might
To be the one you need *
Wie ein U-Boot gleitet das
Taxi durch ein Wolkenmeer. Risse im Dampf. Am Grund des Meeres. Die Schluchten
des nächtlichen New York. Aus den Kanaldeckeln wachsen Ungeheuer von Nebel.
Wassergüsse, Farbschlieren ziehen über die Scheiben. Auf dem Gesicht
des Taxifahrers die wechselnden Lichter der Neonreklamen. Die unbeständige,
die bunte Haut der Leere. Die Welt zerfließt, bis in ihre psychedelische
Auflösung. Ein böser Trip dieses New York, ein giftiger Rausch. Eine
Taxi-Fahrt, die nie ans Ziel kommt. Travis Bickle im Labyrinth des Molochs.
Der Schlaflose, solange er nicht verrückt wird, träumt bei der Arbeit.
Travis träumt von Tieren, die abends erwachen, aus ihren Löchern kommen.
Abschaum, der für ihn weggespült gehört.
Ein böser Traum: Dieses
New York, das sich prostituiert. Auch Betsy, die Wahlkampfhelferin, tut das,
und sie weiß es. Ihre politische Arbeit ist Waschmittelwerbung. Inhalte,
Ziele, Ideale spielen keine Rolle. Travis spürt, dass sie unglücklich
ist, dass ihrem Leben etwas fehlt. Der Verlorene erkennt Seinesgleichen, doch
ist er „Gottes einsamster Mann“, weil er als einziger das Verhängnis zu
sehen scheint, das auf der Stadt, dem Land lastet. Travis ist der traurige Rest
einer Selbstreflexion. Er ist New York, er ist die USA. Er erlebt den Schmerz
in seinem Kopf. Und er kann nicht wegsehen, nicht schlafen.
Was die Politik offenbar
aufgegeben hat, treibt ihn noch an: Veränderung. Irgendwie. Er will sich
wehren gegen das Siechtum draußen - das Siechtum in ihm selbst. Er wehrt
sich auf die einzige Art, die ihm beigebracht wurde. Professionell.
Mit Waffengewalt. Travis
kommt aus Vietnam und er bringt Vietnam nach New York. Wie sehr sich „Apocalypse
Now“ und
„Taxi Driver“ doch ähneln! Martin Sheen und Robert De Niro sind unheilbar
krank von Anfang an, beide kriegen einen Job, der sie auf einem Boot/Taxi durch
eine menschengemachte Hölle führt. Alles da draußen ist gefährlich
und unberechenbar. In Vietnam löst ein normaler Gemüsekahn Paranoia
aus, in New York ist jeder ein potentieller Verbrecher oder Killer. Worauf Travis
auch zielt, überall ist der Feind. Und nirgends.
Der Fernseher, der die Zeit
bannt, der die Wirklichkeit in sich hinein saugt und sie löscht. Tanzende
Pärchen und das Lied von Jackson Browne: “Awake
again I can’t pretend and I know I’m alone / And close to the end of the feeling
we’ve known”. Die
große Resignation. Liebe ist nicht möglich mit Menschen, die aus
Plastik sind. Die vom Fernseher verschluckte Liebe: Sie implodiert, wenn du
sie ein bisschen umkippen läßt.
Travis in New
York City, der Geburtsstätte des Punk, zeitgleich in der Mitte der Siebziger.
Im New Yorker Club CBGB’s spielten die Ramones, als „Taxi Driver“ gedreht wurde.
Travis als erster Punk des Kinos? Erster Irokesenschnitt jedenfalls, und Durchdrehen,
Rebellieren, ohne noch wirklich zu wissen, wogegen. Die lähmenden Siebziger,
die KOMA und AMOK hervorbringen.
Wenn er Iris „rettet“, indem
er ihre(n) Zuhälter tötet, dann ist das sein Versuch, sich von sich
selbst zu befreien. Der amoklaufende Serienmörder als der verhinderte Selbstmörder.
Seine Wahl ist so beliebig, wie sie falsch ist, aber jede Wahl wäre das.
Das Problem ist substanziell. Innen ist Außen ist Innen. Die Wirlichkeit
hat vor sich selbst kapituliert, die Gesellschaft spielt sich selbst, ein hohles
Ritual, keine Bedeutungen, keine Ziele mehr. Und wenn Bernard Herrmann seine
letzte musikalische Elegie hören lässt, gerinnen die vierziger, fünfziger,
sechziger Filmjahre zu einem Furioso aus film noir und New York und Jazz, eine
lange Geschichte des Kinos ist enthalten in dieser, einer der besten Filmmusiken
überhaupt. Alles ist tot und still und für diese lange Kamerafahrt
von oben (von da, wo Gott nicht mehr sehen mag, was er sieht) ließ Scorsese
extra die Decken aus einem Haus brechen. Das Blut war so blutrot, dass den Zensoren
nur eine Verdunkelung der kompletten Schlüsselszenen statthaft war – die
Originale gibt’s nicht mehr, und so auch keinen Director’s Cut. Nur in der Verdunkelung
(und da sind wir wieder auch beim Krieg) blieb „Taxi Driver“ gesellschaftsfähig.
Aber diese Einfärbung des Materials nimmt nichts von der überirdischen
und traurigen Magie der Szene, wenn der waidwunde Robert De Niro auf dem Puff-Sofa
sitzt, mit dem blutstropfenden Zeigefinger an seine Schläfe zeigt und mehrmals
„pfchhhh“ macht.
Überhaupt ist das Gute
an De Niro, dass er noch nicht De Niro ist. Es ist alles noch offen und möglich
für diesen jungen Schauspieler, der später – so sehr er noch beteuerte,
er könne auch ein Schnitzel spielen – sich immer nur als De Niro besetzen
ließ. Vielleicht waren es Leute wie Coppola („Der
Pate 2“),
aber vor allem Leone („Es
war einmal in Amerika“),
die ihn nachhaltig zu dem konservativen Macho-Patriarchen formten, zu dieser
De Niro-Rolle, auf der er sich jahrzehntelang ausruhen konnte, und wohl auch
wollte - ob als Gangster oder Cop oder schließlich auch als Schwiegervater.
Wie eintönig er in den Achtzigern wurde, und wie doch ziemlich unsymphatisch!
Wir erkennen diesen De Niro-Standard immer wieder, aber es scheint beinahe vergessen,
welch wirkliche Klasse dieser Mann mal hatte. In „Taxi Driver“, in „Wie
ein wilder Stier“,
in „King
of Comedy“
aber auch – ein seltener, später Glücksfall - in Tarantinos „Jackie
Brown“ traut
er sich noch, unerprobte Gesichter aufzusetzen. Die Klasse (Lebensnähe,
Klischeeferne) des jungen De Niro lag in seiner Unberechenbarkeit, in seiner
Neurotik, Psychotik und seiner Paranoia. Niemand hatte für dieses Talent
ein besseres Gespür als Martin Scorsese. Gemeinsam schafften Scorsese und
De Niro vibrierende, widersprüchliche, rauhe Meisterwerke. Die besten De
Niro-Filme waren immer auch die besten Scorsese-Filme – und umgekehrt. Welch
trauriger Irrtum von Scorsese, Leonardo Di Caprio auch nur für annähernd
ebenbürtig zu halten und ihm nun schon in zwei Filmen („Gangs
of New York“,
„Aviator“) die Hauptrolle zu geben.
Mediokres Hollywoodkino ist das Ergebnis (leider nicht nur wegen Di Caprio),
ohne den früheren Mut zu den großen Ambivalenzen, zu den verdichteten
Visionen einer amerikanischen Phänomenologie und ohne Scorseses alten künstlerischen
Instinkt.
Am Schluss ist der Amokläufer
ein Held. Sein letztes bizarres Umsichschlagen deutet sich der komatöse
Organismus um zum Indiz seiner Gesundheit. Unwirklich die letzten Szenen. Endgültig
unwirklich und unheimlich ist diese Welt geworden. Der Furchtbare weist den
Weg, doch keiner fragt, wieso. Die Rechtfertigung der neuen Ordnung liegt allein
darin, dass es sie gibt. Nichts ist normal an dieser Normalität, aber niemand
mehr nimmt davon Notiz – und der letzte, fatal irrende, Rebell ist vollintegriert.
Eine merkwürdig irreale Stadt, mit Menschen, die ihr Leben spielen, ohne
zu wissen, wozu. Eine Oberfläche, die keine Richtung mehr kennt, austauschbare
Figuren, keine Individuen mehr. Das Ende der Rebellion, das Ende der Aufklärung,
das Ende der Moral. Die Beliebigkeit hat den Menschen verschluckt. „Taxi Driver“
endet so, wie David-Lynch-Filme beginnen: Eine böse, eine von Gott verlassene
Welt, die nur noch von sich selbst träumen kann. Es bleibt keine Wahl mehr.
Das Grauen ist immer da, wo es keine Alternative mehr gibt.
*Jackson
Browne: “Late for the Sky”
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Taxi
Driver
TAXI
DRIVER
USA
- 1975 - 114 min. - Thriller, Drama - FSK: ab 16; feiertagsfrei (früher
18) - Verleih: Warner-Columbia - Erstaufführung: 7.10.1976 - Dt. Wiederaufführung:
13.7.2006 - Fd-Nummer: 19983 - Produktionsfirma: Taxi Driver Prod. - Produktion:
Michael Phillips, Julia Phillips
Regie:
Martin Scorsese
Buch:
Paul Schrader
Kamera:
Michael Chapman
Musik:
Bernard Herrmann, Jackson Browne
Schnitt:
Marcia Lucas
Darsteller:
Robert
De Niro (Travis Bickle)
Peter
Boyle (Wizard)
Cybill
Shepherd (Betsy)
Jodie
Foster (Iris)
Harvey
Keitel (Matthew ("Sport"))
Martin
Scorsese (Fahrgast)
Steven
Prince (Andy, der Waffenverkäufer)
Diahnne
Abbott (Süßwarenverkäuferin)
Victor
Argo (Melio)
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