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Traffic – Macht des Kartells
Everything you always wanted to know
about drugs
Soderberghs Erbauungsdrama zum Thema
Die alte Geschichte vom aufrechten Cop im Kampf gegen
die Drogenmafia. Die erzählt Soderbergh auch in seinem neuen Film TRAFFIC.
Er erzählt sie in ausgebleichten, in schmutziges Gelb getauchten Bildern,
die den Blick auf das Wesentliche lenken. Auf die Figuren, auf die Gesten, die
Bewegungen. Auf die Mimik von Benicio Del Torro, der diesen Cop so faszinierend
direkt spielt, so sparsam in den Mitteln und zugleich so eindringlich präsent.
Präsent vor allem auch in der Sprache, die uns auch in der deutschen Fassung
erhalten geblieben ist: Ein Spanisch, das zärtlich und melodisch erscheint,
auch wenn es vom Brutalsten spricht: in den knappen Dialogen zwischen Del Torro
und seinem Kollegen und in dem leisen, theatralischen Flüstern des Generals
Salazar, dessen zwielichtige Machenschaften Del Torro durch seine Zusammenarbeit
mit dem FBI beendet. Der Sieg des ehrlichen Bullen beschert den Kindern vom
Tijuana eine Flutlichtanlage für ihr Baseballstadion.
Ein kleiner, spannender, knapp und präzise inszenierter
Film hätte das werden können, so wie es Soderbergh in seinem vorletzten
Film THE LIMEY eindrucksvoll vorgeführt hat. Doch der hat diesmal
anderes im Sinn. Denn die mexikanische Cop-Story ist in TRAFFIC nur ein Erzählstrang
von vielen. Eine Kompilation von Sequenzen aus den Genres des politischen Thrillers,
des Gangsterfilms, des Justizfilms und des Sozialmelodrams wird in der Manier
von PULP FICTION und SHORT CUTS mehr oder weniger rasant zu einem überlangen opus
magnum zum Thema "Droge in der amerikanischen Gesellschaft" verflochten.
Da gibt es die Geschichte des Richters Wakefield (routiniert, doch mäßig
fesselnd gespielt von Michael Douglas), der zum obersten Drogenbeauftragten
der amerikanischen Regierung ernannt wird: die Figur im politischen Machtzentrum
des Kampfs gegen die Drogen. Da ist die Geschichte der Teenagertochter des Richters,
die zwischen Drogenparties im heimischen Wohnzimmer, Trips zum Dealer im Ghetto
und dem Stuhlkreis in der Selbsthilfegruppe, als willenloses Opfer der Sucht
präsentiert wird. Dann gibt es das unterhaltsame Polizistenduo, das auf
amerikanischer Seite gegen die Drogenmafia ermittelt. Und schließlich
ist da die zunächst ahnungslose schwangere Ehefrau des Gangsters Ayala,
die nach dessen Festnahme unvermittelt zur brutalen Täterin mutiert. Eine
Wandlung die so willkürlich wie unglaubwürdig erscheint, was nicht
zuletzt an dem beängstigend schmalen schauspielerischen Repertoire von
Catherine Zeta-Jones liegt.
Schnell begreift man: Soderbergh will sich mit diesem
Film als jemand verstanden wissen, der die Drogen, den Handel und die Sucht
als komplexes psychosoziales und politisches Verhängnis ernst nimmt, der
im Interesse der Volksaufklärung sein Fähnlein schwenkt und mutig
die Wahrheit ins Licht der Kamera zerrt. Die Gangsterstory gibt's hier nicht
frei Haus und zur Unterhaltung, sondern wird dem geneigten Zuseher nur bei gleichzeitiger
Bereitschaft zum aufmerksamen Konsum einer Reihe mit großer Geste vorgetragener
Thesen vergönnt. Diese Instruktionen über die Hintergründe des
"war on drugs" sind allerdings im besten Fall ermüdend. Denn
das Thema ist seit den 80-er Jahren immer wieder in jeder erdenklichen Form
medial bearbeitet worden; die Aussichtslosigkeit dieses Krieges ist eine Binsenweisheit.
Dem versucht Soderbergh mit forcierten stilistischen Mitteln zu begegnen, die
jedoch auch nicht über die selektive und teilweise einseitige Darstellung
bestimmter Sachverhalte hinwegtäuschen können.
Die Figuren auf dem politischen Parkett in Washington
werden zum Teil von echten Senatoren gespielt. Die extensiv eingesetzte Handkamera
schwankt bedeutungsvoll und signalisiert dem geübten Kinogeher: alles live.
So soll um die Bilder die Aura der Authentizität gelegt werden. Doch so
wenig einige als Schauspieler dilettierende Senatoren alleine schon den frei
gestellten Blick auf die Wahrheit garantieren, so fragwürdig ist der Kriegsberichterstatterstil
als Mittel der Aufmerksamkeitslenkung. Weit entfernt davon, den Blick für
die Tiefe der Bilder zu öffnen, kapselt er diese vielmehr ab, ordnet sie
ein gemäß den an CNN trainierten Sehgewohnheiten, durch die das Publikum
gelernt hat, bestimmte formale Konventionen als gültigen Nachweis von Wahrhaftigkeit
zu begreifen.
Auffälligstes Stilmittel des Films ist sicherlich
das Farbsystem, zu dem der Gelbton der Bilder aus Mexico gehört, und das
der Sphäre politischer Macht die Farbe Blau, sowie dem Rest der Handlung
eine neutrale Farbgebung zuweist. Auch das kommt recht bedeutungsschwanger daher,
entpuppt sich jedoch schnell als inhaltsleere Geste, als geschwätzige Zeichenhuberei,
die die Bilder nicht für sich stehen lassen kann, sondern unbedingt eine
doppelte Codierung braucht, um sie interessant zu machen. Vielleicht soll es
aber nur von einem anderen Farbcode ablenken, der im Kontext der Argumentation
des Films eine viel größere Rolle spielt. Denn in TRAFFIC gibt es
eine Systematik der Hautfarben, die die Opfer der Sucht weiß sein läßt,
und die Dealer schwarz. Und in dem die Bewohner der Ghettos als gesichtslose,
anonyme, dunkle Masse zur Kulisse der Drogentrips weißer amerikanischer
Teenager werden.
Der eigentliche soziale Kernraum des Suchtproblems, die
unterprivilegierte afroamerikanische und hispanische Bevölkerung in den
Ghettos der Großstädte, in denen Crack und Aids wie eine Seuche wüten,
bleibt in TRAFFIC merkwürdig unterbelichtet. Die Fokussierung auf die Mittelschicht
des weißen Suburbia als primäres Milieu der Sucht, lenkt von den
eigentlichen ökonomischen und sozialen Ursachen des Problems ab. Die wären
viel eher im Rassismus der amerikanischen Gesellschaft zu suchen, als in einem
aus Langeweile exzessiven Lebensstil einiger Kinder wohlhabender Eltern.
Dieser Verengung und Verstellung der Perspektive auf
die wirklichen Wurzeln und die eigentlichen Opfer des Konflikts entspricht im
Drogendiskurs von TRAFFIC andererseits die vollständige Ausblendung des
Innenraums der Sucht. Mit banalsten Stereotypen in Szene gesetzte Kiffergelage
im heimischen Wohnzimmer und Psychositzungen von Selbsthilfegruppen wollen Authentisches
über den Rausch und das Wesen der Abhängigkeit erzählen. Doch
in ihrer Klischeehaftigkeit werden sie nur von der matten schauspielerischen
Leistung der Erica Christensen übertroffen, die den Anforderungen, die
Süchtige Caroline Wakefield überzeugend zu spielen, in keiner Weise
gewachsen ist. Zugleich beschleicht einen jedoch der Verdacht, daß diese
Figur möglicherweise genau so abziehbildchenflach intendiert war wie sie
daherkommt. Und man begreift spätestens hier, daß Soderbergh mit
seinem Film die Paranoia einer weißen Mittelschicht bedient, die im Hinblick
auf Drogen mit ihrer eigenen Verklemmtheit laboriert, zugleich aber den hoffnungsvollen
Nachwuchs vor den Fängen einer diffusen multinationalen Mafia im Allgemeinen
und böser, schwarzer Ghettodealer im Besonderen, bewahrt sehen möchte.
Während sie einerseits die Bedrohung ins Überdimensionale und Ungreifbare
übersteigert erlebt, werden andererseits die möglicherweise zugrundeliegenden
eigenen Erfahrung des Rauschs konsequent verdrängt. Daher muß der
Film mit seinen Klischeebildern der Sucht auch ständig die Signatur jeder
echten Erfahrung auslöschen. Im Grunde instrumentalisiert Soderbergh hier
dieselbe Verdrängungsmechanik, der in den aktuellen Diskussionen über
gewisse 68-er Biographien eine Schlüsselfunktion zukommt. Auch daran ist
ja das eigentlich Bemerkenswerte der ebenso hysterische, wie penibel vorgetragene
Versuch der Betroffenen, die tatsächlich erlebten Zustände des Rauschs
und der Revolte entweder zu löschen, oder zu entschärfen, indem man
sie konsequent banalisiert, oder hinter Stereotypen verschwinden läßt.
Die Zeiten haben sich eben geändert in den USA.
Clinton konnte sich wenigstens noch zu seinem Joint bekennen, - wenn auch nicht
zur Inhalation desselben. In den Tagen von Bush Jr. ist es auch für Filmemacher
wieder opportun, sich im Zweifelsfall konservativer zu geben. Denn auch wenn
sich in TRAFFIC die kunstvolle Konstruktion der verschiedenen Diskurse zunächst
als distanzierte Betrachtung des Problems unter Berücksichtigung aller
relevanten Perspektiven darstellt: Am Ende wird die pathetische Suche des Richters
Wakefield nach seiner im Drogensumpf verlorenen Tochter zur mythischen Beschwörung
der all-american family. Und es bleibt die Gewißheit, daß der Krieg
gegen Drogen zwar sinnlos ist, aber dennoch geführt werden muß, wenn
auch nur um das weiße Suburbia zu schützen. Da wird dann auch die
Plazierung einer Wanze unter dem Schreibtisch des Drogenbosses Ayala zur letzten
heroischen Tat stilisiert, bevor der tüchtige Cop von dannen joggt. Aus
TRAFFIC soll der Zuseher mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, daß
er von der richtigen Position aus, ausgestattet mit den für ihn richtigen
Informationen und der rechten moralischen Unterfütterung, der soliden Inszenierung
einer bedeutenden kulturellen und politischen Debatte beiwohnen durfte. So viel
fürsorgliche Nähe zum Publikum wurde dann auch umgehend mit vier Oscars
und einem Medienhype von Los Angeles bis München belohnt.
Michael Wegscheider
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Traffic - Macht des Kartells
USA 2000 - Regie: Steven Soderbergh - Darsteller: Michael Douglas, Don Cheadle, Benicio del Toro, Luis Guzman, Dennis Quaid, Catherine Zeta-Jones, Steven Bauer, Erika Christensen, Jacob Vargas, Clifton Collins Jr., Salma Hayek - Länge: 147 min. - Start: 5.4.2001
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