zur
startseite
zum
archiv
Twin Peaks – Die Serie
Von
Einarmigen und Rückwärtssprechern: "Twin Peaks" kehrt auf
DVD zurück
Serien
gibt es unzählige, Kultserien mittlerweile viele, aber Kultserien, die
diesen Begriff auch wirklich mit Leben erfüllen, weil er nicht nur Verkaufsslogan
ist, davon gibt es nur ein paar. filmszene.de
wird in losen Abständen einmal diesen besonderen Serien, und dem Kult,
der um sie herum entstand, auf den Grund gehen. Den Anfang macht aus so aktuellem
wie erfreulichem Anlass - nämlich der Veröffentlichung der ersten
Staffel in einem schönen DVD Set - die Serie "Twin Peaks" von
David Lynch.
David
Lynch und Kult - diese beiden Begriffe gehören zusammen, sind quasi synonym,
denn was der vermutlich avantgardistischste aktive Regisseur Hollywoods anfasst,
das hat seit jeher den Begriff "Kult" wirklich verdient - und meist
auch den Begriff meisterhaft. Vom experimentellen Untergrunddebüt "Eraserhead"
über den Kleinstadtalptraum "Blue
Velvet"
und das wilde Road Movie "Wild
at Heart"
bis zum nicht mehr rational fassbaren "Lost
Highway",
Lynch fasziniert - und polarisiert. Für einige ein selbstsüchtiger
Möchtegernkünstler, der seine Zuschauer veralbert; für die große
Mehrheit jedoch einer der letzten wirklich großen Regisseure - einer,
bei dem man Begriffe wie Genie und Visionär noch ohne bitteren Nachgeschmack
benutzen darf. Und gerade das Jahr 2002 wird als Festjahr in die Annalen der
Lynch-Anhänger eingehen. Liefert der Mann doch mal eben mit "Mulholland
Drive"
den verschachteltsten, durchdachtesten, stilistisch feinsten und schlichtweg
großartigsten Film des Jahres - und dann kehrt auch noch "Twin Peaks"
zurück. Zwar nicht ins Fernsehen - wo diese großartige Serie zumindest
hierzulande eh geschmäht und misshandelt wurde - sondern ins Heimkino.
Und da ist sie zugegebenermaßen auch besser aufgehoben, frei von Massenkompatibilität
und anderen Zwängen. So kann jetzt die kleine aber treue "Twin Peaks"-Gemeinde
vom heimischen Sofa aus zusammen mit Special Agent Dale B. Cooper some damn
fine coffee und leckeren Kirschkuchen genießen, zu dem jazzigen Soundtrack
von Lynchs Hofkomponist Angelo Badalamenti mitschnipsen und sich nochmals in
das verstörend dunkle, aber ebenso seltsam schöne Paralleluniversum
von "Twin Peaks" begeben.
Dass
"Twin Peaks" als Lynchs wahrscheinlich größter Triumph
gelten kann, liegt an dem Medium in dem er errungen wurde - dem ungeliebten
Fernsehen. Dass ausgerechnet hier ein Exzentriker wie Lynch nicht nur (wie erwartet)
künstlerischen sondern auch kommerziellen Erfolg hatte, bleibt fürwahr
ein Geheimnis. Denn damals, Anfang der 90er Jahre, gab es nichts in der amerikanischen
(oder jeder anderen) TV-Landschaft, das sich mit "Twin Peaks" vergleichen
ließe - oder messen. Vor allem aber gab es nichts, dass die Zuschauer
darauf vorbereitete. Außer vielleicht "Blue Velvet", der das
Thema der dunklen Abgründe in der amerikanischen Kleinstadt vorwegnahm,
aber dies eben doch im Kino und für die Eingeweihten. Dass aber die breite
Öffentlichkeit an Lynchs verschrobenen bis bizarren Ideen Gefallen finden
würde - ein Phänomen. Und daher schon mindestens mit dem Prädikat
"Kult" zu versehen. Dabei wäre es unfair, hier nur Lynchs Genie
abzufeiern ohne nicht seinen kongenialen Partner Mark Frost zu erwähnen.
Die beiden ergänzten sich perfekt und schufen mit "Twin Peaks"
die ultimative TV-Serie der frühen 90er: Drama und Komödie, Seifenoper
und deren Parodie, Thriller und Tragödie - "Twin Peaks" war dies
alles.
Die
Mörderhatz, die den roten Faden der Geschichte bildet, war dabei eher Nebensache.
Die Frage, wer Laura Palmer - das schöne Schulmädchen mit dem Doppelleben
- tötete, war für Lynch und Frost zweitrangig und sie entschieden
sich erst nach dem Pilotfilm und aus einer Verlegenheit heraus für einen
Mörder. Konventionelle Mörderjagd - das war es nicht, was Frost und
Lynch vorschwebte. "Wir wollen den Zuschauer jede Woche in eine andere
Welt, in eine andere Stimmung versetzen", das kam der Zielvorgabe schon
näher. Und tatsächlich ist "Twin Peaks" wie nahezu alles
in Lynchs Schaffen als Sinnerfahrung zu verstehen, mit einer Gefühlsrezeption,
in der Bilder und Musik genauso wichtig sind wie Geschichte oder Dialog. Und
so entwickelte "Twin Peaks" eine einzigartige Bildsprache voll zu
dekodierender Zeichen, die rein visuell eine atemberaubende Wirkung hat. Allein
der Vorspann reicht zur Bestätigung dieser These: Wenn Badalamentis fantastisches
Musikthema "Falling" anschwillt und dazu das Sägewerk oder die
Landschaft rund um das kleine Städtchen Twin Peaks gezeigt werden, reicht
dies um den Zuschauer bereits gefangen zu nehmen.
Was
aber sind die bahnbrechenden Errungenschaften von "Twin Peaks"? Zum
einen der eben schon erwähnte Zusammenhang zwischen Inhalt und Form, bei
dem die Form nicht nur gleichwertig, sondern fast überlegen ist. Kunst
und TV-Serie - eine waghalsige Idee, atemberaubend umgesetzt. Was aber nicht
die Story mit ihren doppelten Böden herabmindert. Denn, wie einer der Regisseure
in seinem Audiokommentar zu einer Folge richtig feststellt: "Bei "Twin
Peaks" ging es eigentlich immer um den Subtext". Dazu dann die Charaktere.
Der spleenige FBI-Mann Dale Cooper (hinreißend dargestellt von Lynchs
Lieblingsdarsteller Kyle MacLachlan) ist gleichzeitig Mystiker und Rationalist
- und damit Blaupause für einen gewissen Fox Mulder, der das Serienhighlight
der mittleren 90er "Akte X" mit Leben erfüllte. Wenige wissen
übrigens, dass David Duchovny in "Twin Peaks" einen seiner ersten
großen Auftritte hatte, als Transvestit Dennis / Denise, der allerdings
erst in der zweiten Staffel auftaucht. Dafür versammelt Lynch ein großartiges
Ensemble aus alten Freunden (Everett McGill, MacLachlan) und damals neuen Gesichtern
(das Trio von Damenentdeckungen Sherilyn Fenn, Lara Flynn Boyle und Madchen
Amick). Und welch Rollen sie hier spielen! Damit kommen wir zur wahren Vorbildfunktion
der Serie, denn die Horden von schrulligen und skurrilen Charakteren die im
"etwas anderen" TV der 90er den Bildschirm heimsuchten - seien es
nun die verschrobenen Bewohner von Cycely aus "Ausgerechnet Alaska",
die ungewöhnlichen Charaktere in "Picket Fences" oder aber die
neurotischen Figuren rund um "Ally McBeal" - wären ohne die Pionierarbeit
von "Twin Peaks" so kaum möglich gewesen. Vor diesen erst in
Retrospektive richtig zu würdigenden Errungenschaften darf man aber nicht
vergessen, dass "Twin Peaks" auch ein gnadenlos spannender Thriller
mit ausgeklügelter Mörderhatz war.
Apropos:
Dabei wurde die Frage "Wer tötete Laura Palmer?" gerade hier
in Deutschland zu ungeahntem Zündstoff - und sorgte für einen Skandal.
Im damals auf Hochtouren laufenden Kleinkrieg zwischen den Privatsendern RTL
und Sat 1 meinte Sat 1, den "Twin Peaks"-Sender RTL damit vergrätzen
zu müssen, den Zuschauern den Mörder von Laura Palmer vorzeitig zu
verraten. Eine piefige, peinliche, kleinkarierte Aktion. Ob sie für den
kommerziellen Misserfolg von "Twin Peaks" hierzulande verantwortlich
war? Das denn vielleicht doch nicht. Vielmehr war es wohl so, dass Otto Normalzuschauer
von der Komplexität der Serie schlicht und einfach überfordert war.
Dazu kam noch, dass man hierzulande an Konventionen von Seifenopern nicht so
gewöhnt war wie die US-Zuschauer, daher auch die Parodie und Verdrehung
nicht richtig nachvollziehen konnte und das Ganze erstens zu skurril und zweitens
wohl zudem zu amerikanisch fand (ein Schicksal, dass nur kurze Zeit später
das bereits erwähnte "Ausgerechnet Alaska", ebenfalls ein solider
Kultklassiker, teilte). Jedenfalls ereilte "Twin Peaks" trotz mächtiger
Promotion von RTL das Schicksal der verschmähten Serie. Sie verlor ihren
Prime Time-Sendeplatz und die zweite Staffel wurde nicht einmal mehr zu Ende
ausgestrahlt. Zur Schmach noch die Schande: Als die Serie 1995 beim kleinen
Schmuddelbruder RTL 2 um Mitternacht ausgestrahlt wurde, waren selbst diese
Quoten schlechter als welche, die man mit Wiederholungen vom Tagesprogramm einfuhr.
Was für groteske Verschiebungen sorgte: "Twin Peaks" wurde immer
weiter ins Niemandsland des Nachtfernsehens geschoben, bis man die Serie morgens
um drei Uhr (!) verfolgen musste. Für Fans ohne Videorekorder eine Zumutung
und schlichtweg nicht machbar. Was Wunder, dass die ohnehin mageren Quoten noch
weiter fielen und dies das letzte TV-Lebenszeichen dieser Serie war.
Umso
erfreulicher, dass man sich jetzt der gebeutelten "Twin Peaks"-Gefolgschaft
erbarmte und (vorerst) die erste Staffel auf DVD veröffentlichte.
Die
Freude beginnt schon mit der Verpackung: Um das obligate Digipack gibt es eine
kleine Plastikhülle, so dass man quasi zwei Cover hat: einmal Laura als
Schönheitskönigin, und dann als engelsgleiche Leiche in dem Motiv,
das sie zur ersten nekrophilen Popikone der TV-Geschichte machte. Ein sehr schöner
Einfall. Doch nun zum Inhalt. Als erstes gilt es mit einem Missverständnis
aufzuräumen, das auch Kollegen wie die "Hamburger Morgenpost"
unverständlicherweise weitertrugen, nämlich dass auf diesem Set der
Pilotfilm der Serie nicht enthalten ist. Er ist enthalten. Und hat damit der
US-Box einiges voraus. Wegen lizenzrechtlichen Streitigkeiten durfte der Pilotfilm
dort nicht veröffentlicht werden und startete die US-Box gleich mit Folge
1. Was freilich sowohl Effektivität und Wert des dortigen Sets enorm mindert,
denn wer will für sein teures Geld etwas im Prinzip Unvollständiges?
Daher gibt auch das deutsche Booklet (als Übertragung des amerikanischen)
eine Inhaltsangabe und Personenzusammenfassung des Pilotfilms, die hier im Grunde
überflüssig ist. Nicht, dass dies als Ausrede für die Kollegenschaft
herhalten könnte, denn sich weder die DVDs noch auch nur die Hülle
richtig anzusehen, ist einfach schlampig gearbeitet, liebe Mopo!
Jedenfalls
werden der Pilotfilm und die Folgen 1-7 auf die ersten drei DVDs verteilt. Zu
allen Teilen gibt es sehr brauchbare Textanmerkungen, die etwa beim Drehen gestrichene
Szenen erläutern und so Kontinuitätsfragen hilfreich beantworten.
Zu den sieben Folgen gibt es eine kurze (bei der US-TV-Zweitausstrahlung hinzugefügte)
Einleitung der "Log Lady" sowie jeweils einen Audiokommentar - sowohl
von den handverlesenen Regisseuren (außer Herrn Lynch und Herrn Frost,
of all people), als auch Autoren, Kameramann oder Set Designer. Diese variieren
freilich in Sachen Qualität und Interesse, ein toller Bonus sind sie aber
zweifellos.
Apropos
Boni: Die hat man sich dann hauptsächlich für Disc 4 aufgehoben. Die
"Special Features"-Disc besteht hauptsächlich aus Featuretten
wie einem knapp 10-minütigen Interview mit der Besitzerin des wirklichen
Diners, welches in der Serie das Double R Diner darstellt, einer recht amüsanten
etwa dreiminütigen "Anweisung zum Rückwärtsreden" im
Roten Raum mit Michael Anderson und einem fast viertelstündigem, sehr aufschlussreichen
Interview mit Mark Frost, der einen Hälfte des genialen Duos. Dass Lynch,
der sich zu seinen Werken eigentlich gar nicht und wenn dann nur sehr kryptisch
äußert, hier nicht auftaucht, darf dann auch weder überraschen
noch enttäuschen. Trotzdem versucht man sich an einer 21-minütigen
"Einführung zu David Lynch", welche sich als recht brauchbare
Dokumentation erweist - freilich ohne das Phänomen Lynch wirklich ergründen
zu können, aber dafür mit genügend Anekdoten und Einschätzungen,
um dieser Mission Impossible wenigstens ein bisschen näher zu kommen. Wie
überhaupt Anekdoten in familiärer Atmosphäre aufzeigen, welch
ein eingeschworener Kreis die "Twin Peaks"-Leute sind. Denn in den
das Extrapaket abrundenden "Postkarten der Darsteller" - unterschiedlich
lange Statements von immerhin 17 Darstellern - wimmelt es nur so von interessanten
Kleinigkeiten, und wird auch nicht nur über die Serie selbst gesprochen,
sondern u.a. über erste selbst gekaufte Autos, Reisen im Amazonas oder
schädliche Nagetiere im Garten. Dass die Darsteller also genauso individuell
und interessant wie ihre Rollen daherkommen, passt ganz wunderbar. Insgesamt
ist die Ausbeute der "Special Features" also nicht überragend,
aber doch mehr als passabel. Allerdings wäre vielleicht der ein oder andere
aufschlussreiche Essay - eventuell auch aus dem Twin Peaks-Magazin "Wrapped
in Plastic" - zur Thematisierung wünschenswert gewesen, wenn man auf
der Hülle schon von der "meistdiskutierten TV-Serie in der Geschichte
des Fernsehens" spricht.
Am
technischen Aspekt gibt es nur Kleinigkeiten auszusetzen, welche sicherlich
auch auf das Alter des Materials zurückzuführen sind. Das Vollbild
kommt in satten Farben (immens wichtig für diese farbintensive und mit
Farben als Stilmitteln arbeitende Serie) und stabilem Bildverlauf daher, könnte
allerdings besonders bei Hintergründen etwas schärfer sein und hat
kurze Aussetzer wie Momente der Grobkörnigkeit und des Flächenrauschens,
besonders bei dunkleren Passagen. Insgesamt dennoch ein sehr guter Transfer,
denn in solcher immer noch exzellenter Qualität war "Twin Peaks"
bisher nicht zu bekommen. Dass der deutsche Ton nur in schlappem Mono daherkommt,
ist für Fans von Heimsystemen natürlich ein Schlag ins Gesicht. Aber
Hand aufs Herz: Wahre Fans sehen eh nur das englische Original und das kommt
im akzeptablen 5.1-Mix daher (den aus offensichtlichen Gründen nicht in
den USA tontechnisch polierten Pilotfilm gibt es immerhin noch in 2.0 Dolby
Surround).
Können
wir dieses Set also unseren Lesern zum Kauf empfehlen? Absolut. Und das aus
gleich zwei Gründen. Zum einen ist die Serie selbst ein absoluter moderner
Klassiker der TV-Geschichte, der in keiner guten DVD-Sammlung fehlen sollte
und zudem in einer sehr ansprechenden Aufmachung daherkommt. Zum anderen wird
es eine Box mit der zweiten Staffel wohl nur geben, wenn die erste sich akzeptabel
verkauft. Und das wäre mehr als wünschenswert. Denn "Twin Peaks"
lässt sich - wie eigentlich alles im Lynchschen Schaffen - nur als Gesamtkunstwerk
verstehen und fassen. Und so bleibt zu hoffen, dass auch bei dieser vorbildlichen
Wiederveröffentlichung eines Klassikers gilt: Fortsetzung folgt.
P.S.:
Eine kleine Warnung an Nicht-Eingeweihte muss der Fairness halber erlaubt sein,
auch weil die Zukunft eines zweiten Boxsets noch in den Sternen steht: Wer die
Serie hauptsächlich aus Interesse an Laura Palmers Mörder verfolgt,
wird mit dieser Box nicht recht glücklich werden. Die Auflösung des
Täters gibt es nämlich erst in der siebten Folge der zweiten Staffel...
Simon
Staake
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
dieser Serie und zum Film "Twin Peaks - Fire Walk With Me" gibt’s
im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Die ersten 17 Folgen von "Twin Peaks" laufen zur Zeit (ab Juni 2003) im TV. Mehr Infos dazu bei Kabel 1 .
zur
startseite
zum
archiv