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Die
verlorene Ehre der Katharina Blum
Pressefreiheit
als Erpressungsfreiheit
"Wer
die Zeitung angreift,
greift
uns alle an."
Rheinische
Fröhlichkeit. Es wird getrunken. Es ist kalt. Aber niemand vertreibt die
Kälte. Der Alkohol nicht, die karnevalistischen Frohnaturen nicht. Im Gegenteil,
es wird kälter und kälter. Wie ein Strick schnürt sich die Kälte
um den Hals. Es gefriert in Deutschland. Ein Gespenst geht um in Deutschland,
nein, nicht das, was Karl Marx damit meinte. Die naive und bisweilen groteske
Lächerlichkeit einer radikalen Linken hat nichts mit einem Gespenst gemein,
kein Horror, nicht einmal ein kleiner Schrecken dieser Möchtegernrevolutionäre
durchstreift die Republik. Etwas anderes durchstreift Deutschland. Das Wort
vom "Sympathisanten" geht um. Endlich kann die zur medialen Unternehmermacht
gekommene Presse beweisen, was Pressefreiheit wirklich bedeutet. Nicht nur die
Millionen Exemplare aus dem Hause Springer haben zur Jagd geblasen: auf alle,
die in den Verdacht gerückt werden, mit Baader, Meinhof und den anderen
zu "sympathisieren". "Sympathisant" und "Intellektuelle"
werden zu bedeutungsgleichen Begriffen erkoren. Heinrich Böll, einer, den
insbesondere die Springer-Presse in den Dunstkreis des "Sympathisantensumpfs"
stellte, reagierte - kurz nach Eröffnung des Baader-Meinhof-Prozesses -
mit einem Roman, der zunächst im "Spiegel" veröffentlicht
wurde. Ein Jahr später nahmen sich Volker Schlöndorff und Margarethe
von Trotta des Stoffes an und adaptierten - in enger Zusammenarbeit mit Böll
- den Stoff für's Kino.
Böll
selbst, dessen Haus von Polizei im Rahmen der "Terroristenfahndung"
am Tag der Festnahme Baaders umstellt worden war, hatte in Hetzartikeln von
"BILD" bereits 1971 und 1972 zu spüren bekommen, in welches Fahrwasser
Menschen gestellt werden, die Kritik am Vorgehen staatlicher Sicherheitsorgane
im Zusammenhang mit der Fahndung nach RAF-Mitgliedern bugsiert werden: "BILD"
verglich ihn mit Goebbels und dem SED-Fernsehagitator Karl Eduard von Schnitzler
und die "Quick" schrieb: "Die Bölls sind gefährlicher
als Baader-Meinhof."
"Katharina
Blum ist keine politische Person,
sie
ist keine Anarchistin, sie ist ein sehr
braves,
tüchtiges Mädchen, das voll, ganz
voll
im Wirtschaftswunderdenken verankert
ist.
Sie ist also eine tüchtige Konformistin -
ob
sympathisch oder nicht, das ist mir gleichgültig."
(aus
dem Roman Heinrich Bölls)
Karneval
in Köln. Ausgelassenheit. Katharina Blum (Angela Winkler) lernt auf einer
feucht-fröhlichen Faschingsparty bei ihrer Patentante Else Woltersheim
(Regine Lutz) den gut aussehenden Ludwig Götten (Jürgen Prochnow)
kennen, verliebt sich und verbringt die Nacht mit ihm - seit langem der erste
Mann, der ihr zusagt. Männer vorher gab es, einen biederen Ehemann, von
dem sie sich trennte, reiche Honoratioren, die sie über die Blornas kennen
gelernt hatte, ein zudringlicher früherer Arbeitgeber, dem sie daraufhin
den Dienst quittierte. Jetzt arbeitet Katharina als Hausangestellte bei dem
wohlhabenden Rechtsanwalt Dr. Blorna (Heinz Bennent) und seiner Frau Trude (Hannelore
Hoger), einer Architektin, die wohl vor langer Zeit mal eine "rote Gesinnung"
gehabt haben soll. Abends geht Katharina putzen.
Eine
Tür wird eingetreten. Die Wohnungstür bei Katharina. Maskierte Spezialeinheiten
der Polizei, der bärbeißige Kommissar Beizmenne (Mario Adorf) und
Staatsanwalt Hach (Rolf Becker) breiten sich in Katharinas Wohnung aus. Sie
suchen Götten, angeblich weil er ein Deserteur ist, ein Anarchist, wie
die Presse später schreiben wird, der zudem eine Bank beraubt haben soll.
Doch Götten ist spurlos verschwunden, obwohl die Polizei, die einen Spitzel
auf der Faschingsparty eingesetzt und die Götten schon vorher beobachtet
hatte, das Haus seit dem Vorabend umstellt hatte.
Man
durchsucht die Wohnung, nimmt Katharina fest. Sie wird verhört, als ob
ihre Schuld, ihre Mitwisserschaft, ihre tatkräftige Unterstützung
Göttens schon feststünde. Beizmenne kennt kein Pardon: Mit Zuckerbrot
und Peitsche führt er die Verhöre, macht aus jedem noch so unwichtigen
Detail ein Indiz und reimt sich den verbrecherischen Hintergrund zusammen, in
deren Zentrum nicht nur Götten, sondern auch Katharina stehe. Ein teurer
Ring Katharinas, hohe Benzinkosten - all das passe nicht zu dem eher mageren
Einkommen der jungen Frau.
Katharina
lässt sich in eine Zelle sperren. Lieber ist sie allein eingesperrt, als
sich den Erniedrigungen Hachs und Beizmennes weiter auszusetzen.
"Beizmenne:
Die Zudringlichkeiten von Götten
haben
Sie nicht gestört?
Katharina:
Ludwig war nicht zudringlich
-
er war zärtlich.
Beizmenne:
Das kommt aufs selbe raus.
Katharina:
Nein, eben nicht! Zudringlichkeit ist
eine
einseitige Handlung - und Zärtlichkeit,
das
ist etwas ganz anderes - das geht von beiden aus.
Beizmenne:
Das interessiert doch keinen Menschen."
Es
kommt schlimmer. Die überregionale Gazette "ZEITUNG" stilisiert
aufgrund von "Recherchen" des Journalisten Tötges (Dieter Laser)
und seines Fotografen Schönner (Leo Weisse) Katharina zum Anarchisten-Liebchen
und zur Verbrecherin. Tötges schnüffelt im Privatleben Katharinas
herum; was ihm an zurecht gebogenen Informationen fehlt, lügt er hinzu.
Und er begibt sich ohne Erlaubnis der Ärzte auf die Intensivstation, wo
Katharinas Mutter nach einer schweren Operation liegt, und löchert die
todkranke Frau, die wenige Stunden später stirbt.
Dr.
Blorna und seine Frau sind entsetzt über die Hetzkampagne gegen Katharina,
brechen ihren Urlaub aber zunächst nicht ab. Währenddessen schweigt
Katharina über die Identität des Mannes, der ihr den teuren Ring geschenkt
hat: Alois Sträubleder (Karl-Heinz Vosgerau), Unternehmer und Hochschulprofessor,
Klient Blornas, ein angesehener Mann der rheinischen besseren Gesellschaft,
der nun Angst bekommt, in die Affäre mit hineingezogen zu werden. Seine
frühere Liaison mit Katharina könnte ihn ruinieren. Denn Katharina
hatte er den Schlüssel zu seinem Landhaus gegeben, und Sträubleder
befürchtet, Katharina könnte den Schlüssel Götten zugesteckt
haben, damit der sich dort versteckt ...
"Siehste,
Blümelein, du bist berühmt
geworden
... Warte nur ab, du kannst
mit
deinem Namen noch viel Geld
machen,
in der Story ist noch viel drin.
Nur
müssen wir jetzt gleich etwas
nachschießen,
... immer nachschießen,
Mädchen,
sonst vergessen die Leute dich
...
Ich respektiere dich, sehr ... Ich
schlage
vor, dass wir jetzt erst mal ein
bisschen
bumsen."
(Tötges
zu Katharina)
Am
Schluss: Tötges betritt Katharinas Wohnung. Die junge Frau sitzt dort regungslos
auf einem Stuhl. Tötges schmeißt mit Geld um sich. Reich könne
sie werden, meint er, man müsse die Geschichte nun noch mehr ausschlachten.
Was die "ZEITUNG" aus seinen "Recherchen" gemacht habe,
dafür könne er nichts. Jetzt aber käme es darauf an, "nachzuschießen".
Katharina zieht eine Pistole. Vier Schüsse fallen. Tötges bricht tot
zusammen. Noch einmal begegnen sich Katharina und der inzwischen festgenommene
Götten, als sie unabhängig voneinander abgeführt werden. Auf
der Beerdigung von Tötges spricht der Konzernherr der "ZEITUNG"
über die Bedeutung der Pressefreiheit und die Bedrohung der Freiheit.
"ANARCHISTENLIEBCHEN
VERWEIGERT
AUSSAGEN
ÜBER HERRENBESUCH"
"10
000 MARK FÜR EINE NACHT
DER
ZÄRTLICHKEIT"
(Schlagzeilen
der "ZEITUNG")
Im
Gegensatz zu Bölls Roman, der die Geschichte der Katharina Blum in verschachtelten
Rückblenden erzählte, setzten Schlöndorff und von Trotta auf
eine chronologische Erzählung, die auf Rückblenden weitgehend verzichtet.
Insgesamt drei Drehbücher entstanden in Kooperation mit Böll, der
allerdings in die inhaltliche Konzeption des Films nicht eingegriffen haben
soll.
Roman
wie Film zeichnen in extremer Weise Schwarz-Weiß: hier die Guten, die
Opfer, dort die Miesen, die Täter. Gerade die Rede des Zeitungsunternehmers
Lüding am Schluss während der Beerdigung von Tötges - gespielt
von dem Kabarettisten Achim Strietzel - ist derart plakativ überzeichnet,
dass man meinen könnte, Film wie Roman bedienten sich genau jener konturlosen
Methoden der Journaille, die sie doch gerade angreifen wollten. Das ist auch
in gewisser Weise richtig und war schon von Böll bewusst eingesetzt worden.
Allerdings geht der Film im Gegensatz zum Roman hier noch weiter. Das Grelle,
Kontroverse wird hier noch dadurch mehr zum Pamphlet als Bölls Roman, als
uns mit Angela Winkler in der Hauptrolle eine Frau präsentiert wird, die
in dieser Form ausschließlich Sympathieträger sein kann. Zudem wird
jeder politische Kontext aus der Darstellung verbannt. Über den zudem dem
Publikum im Lauf der Handlung unbekannt bleibenden Götten weiß man
nur, dass er desertiert sein und eine Bank ausgeraubt haben soll. Katharinas
Motive in Bezug auf Götten beschränken sich auf etwas ganz Subjektives,
ja Intimes: auf ihre Liebe zu diesem Mann. Dadurch wird die Nähe zur Figur
der Katharina auf Seiten des Publikums noch verstärkt.
Der
bewusste Einsatz der Schwarz-Weiß-Malerei ist aber in diesem Fall vor
dem zeitgeschichtlichen Hintergrund eben der große Vorteil des Films (wie
des Romans). Böll schlug in gewisser Weise die Journaille sowie die Machtmechanismen,
resultierend aus der Verflechtung von Staatsmacht, Medien und wirtschaftlich
Mächtigen, mit ihren eigenen Waffen, im Film dargestellt durch die gegenseitige
"Informationspolitik" zwischen Tötges und Beizmenne. So aktuell
die "Sympathisantenhatz" der Springerpresse und anderer - und dass
mit der "ZEITUNG" eben die Bildzeitung gemeint war, dürfte damals
wohl niemandem entgangen sein - im politisch-gesellschaftlichen Klima war, umso
prononcierter und im positiven Sinne plakativer musste ein Roman - und dann
eben auch ein Film - sein, der dieses Klima der Denunziation, Erniedrigung vieler
usw. in dieser Weise vorführte.
Böll
erzählte die Geschichte einer "einfachen", "normalen"
Frau, die - in die Enge getrieben von Polizei, Staatsanwälten, Presse und
auch Öffentlichkeit (sie erhält Drohbriefe und -anrufe) - nicht mehr
anders reagieren kann als durch einen Akt der Gewalt, nachdem ihre Ehre, ihr
Ruf zerstört worden ist. Durch die Entpolitisierung der Geschichte (Götten
ist keine RAF-Figur, bleibt fast anonym) wird zudem verdeutlicht - was im übrigen
den Tatsachen entspricht -, dass jeder in eine solche Situation der öffentlichen
Verunglimpfung durch eine Presse geraten kann, die Pressefreiheit mit Denunziation,
Lüge und uneingeschränkter Macht gleichsetzt.
Diesem
Konzept entspringen auch die restlichen Personen: Hach, der Staatsanwalt, einer,
der jedem Regime dienen würde, nur am Wochenende nicht, da will er privat
bleiben; Beizmenne, von Adorf als rauer, gefühlloser Machtmensch gespielt,
der nur dann menschlich zu werden scheint, wenn er sein Mittagessen auspackt
und Katharina zum Mitessen einlädt, die daraufhin es jedoch vorzieht, in
eine Zelle abgeführt zu werden, weil sie diesen Anblick nicht erträgt;
die taktischen Liberalen Blorna und Frau, taktisch empört über das,
was Katharina widerfährt, sich aber um der eigenen sozialen Stellung willen
zurückhaltend verhaltend; Tötges, ein wirklich realistisch beschriebener
widerlicher Kerl, der über Leichen geht und seine eigene Mutter verkaufen
würde, um einen Knüller zu landen; der schmierige Sträubleder,
ein zu Ansehen und Geld gekommener Feigling - und nicht zuletzt eine Öffentlichkeit,
die auf die ekelhaften Methoden der "ZEITUNG" "anspringt".
•
D V D •
Regionalcode:
Region 1
Format:
Farbe, Widescreen / 1.78:1
Dolby
Digital 2.0 Mono
Studio:
Criterion Collection
DVD-Erscheinungsdatum:
25.2.2003
Untertitel:
English
Sprachen:
Englisch und Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Es
nimmt nicht Wunder, dass der Film bislang in Deutschland nicht auf DVD erschienen
ist, obwohl Bölls Roman an deutschen Schulen, wie man hört, doch als
eine Art Lehrstück über einen wichtigen Teil bundesrepublikanischer
Geschichte Eingang gefunden hatte. So muss man auf die englische Criterion-DVD
zurückgreifen, die nicht nur (wie zumeist bei Criterion) ein digital sauber
"übersetztes" Bild liefert, sondern auch Interviews mit Schlöndorff
und von Trotta sowie dem exzellenten Kameramann Jost Vacano. Am interessantesten
dürften allerdings die Auszüge einer 1977 entstandenen Dokumentation
über Heinrich Böll sein, in der über die politische Situation
in Deutschland Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre sowie Bölls Auseinandersetzungen
mit der Springer-Presse berichtet wird. Die DVD enthält zudem eine deutsche
Tonspur und kostet $ 26,96 (etwa € 21,51).
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Wertung
DVD: 10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: http://www.follow-me-now.de
Die
verlorene Ehre der Katharina Blum, oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie
führen kann
(Intern.
Titel: The Lost Honor of Katharina Blum)
Deutschland
1975, 106 Minuten
Regie:
Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta
Drehbuch:
Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Heinrich Böll, nach dem
Roman von Heinrich Böll
Musik:
Hans Werner Henze
Kamera:
Jost Vacano
Schnitt:
Peter Przygodda
Darsteller:
Angela Winkler (Katharina Blum), Mario Adorf (Kommissar Beizmenne), Dieter Laser
(Werner Tötges, Journalist "Die Zeitung"), Jürgen Prochnow
(Ludwig Götten), Heinz Bennent (Dr. Blorna, Anwalt), Hannelore Hoger (Trude
Blorna), Rolf Becker (Staatsanwalt Hach), Harald Kuhlmann (Moeding, Polizist),
Herbert Fux (Weninger, Journalist "Die Zeitung"), Regine Lutz (Else
Woltersheim, Patentante Katharinas), Werner Eichhorn (Konrad Beiters), Karl-Heinz
Vosgerau (Alois Sträubleder, Unternehmer), Angelika Hillebrecht (Frau Pletzer),
Horatius Häberle (Staatsanwalt Dr. Korten), Achim Strietzel (Lüding,
Konzernherr)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0073858
©
Ulrich Behrens 2005
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