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Wild
At Heart
In
Dreams
Beides ist ein Traum: „Der Zauberer von Oz“ von 1939 und David Lynchs „Wild At Heart“ von 1999. Beides ein amerikanischer Traum vom Weggehen, in „Der Zauberer von Oz“ eine Flucht vor einem grauen (schwarzweißen) Zuhause in eine technicolor-bunte Welt der Wunder. In „Wild At Heart“ ist es die Flucht in einen Traum von eben diesem Oz-Traum in Technicolor. Wenn im „Zauberer“ Dorothy sich in ihren Traum vom Wunderland flüchtet, dann flüchten sich Sailor (Nicholas Cage) und Lula (Laura Dern) in ihren Traum davon, jemand anderer zu sein, dem Wunderbares geschieht oder der wunderbar ist: Dorothy, Elvis Presley, Marilyn Monroe, Marlon Brando. Alles Märchenfiguren, egal ob sie einmal reale Menschen waren, oder Stars oder Mythen.
Doch Sailor und Lula –
und darin geht „Wild At Heart“ so weit wie kein Film vor ihm – fliehen ja in
Wahrheit gar nicht in diese Klischees von Ikonen der Popkultur, denn sie verkörpern
sie. Sie bestehen aus nichts anderem als Pop-Mythen und „Wild At Heart“ handelt
nicht etwa von einer „wahren“ Geschichte zweier junger Leute, sondern davon,
wie sich die Pop-Moderne, besonders die der fünfziger Jahre, zur Gegenwart
des auslaufenden 20. Jahrhunderts verhält, wie sich der Mythos „Zauberer
von Oz“, mit dem ganze Generationen in den USA heranwuchsen, der Mythos Elvis
Presley etc. in einer Nachmoderne des Pop zu behaupten versucht, in der sich
herumgesprochen hat, dass Pop-Ikonen nichts weiter repräsentieren als ihre
eigene Zeichenhaftigkeit, dass eine Schlangenlederjacke nicht mehr steht für
„Individualität und den Glauben an persönliche Freiheit“, wie Sailor
das noch ganz Marlon-Brando-mäßig empfindet. Eine Schlangenlederjacke
ist ein Konsumprodukt, ein „Outfit“, keine Überzeugung, denn die Zeit der
Überzeugungen, aber auch der Individualität ist vorbei, seit aus Individuen
Konsumenten geworden sind. Anders gesagt: Sailor und Lula existieren nicht.
Können gar nicht existieren, nicht hier und heute. Weder als vorstellbare
Figuren und auch nur noch sehr sonderbar und fremdartig in ihrer Eigenschaft
als Mythen, wie sich zeigen wird. Ihr Erscheinen in einer „falschen“ Epoche
ist ein gedankliches Experiment. „Wild At Heart“ ist ein Film darüber,
wie Paradigmen verschiedener Zeiten zueinander passen oder eben auch nicht mehr
passen, darin also eine Untersuchung von Kulturgeschichte. In dieser Eigenschaft
ist der Film übrigens verwandt mit dem vergleichsweise harmlosen Film „Zurück
in die Zukunft“,
in dem die (Pop-) Kultur der achtziger Jahre sich mit dem Leben in den Fünfzigern
auseinandersetzen muss - um wieder zurück in die Gegenwart zu gelangen....
In „Wild At Heart“ trifft
die amerikanische Kultur der fünfziger Jahre auf eine ausgemacht bösartige
amerikanische Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sailor und Lula, die
Inkarnationen amerikanischer Träume der Vergangenheit, sind wie Fremdkörper
hineingeboren worden in eine verrohte Gesellschaft ohne Werte, Überzeugungen,
Hoffnungen, in eine „Welt am Abgrund“, wie man häufig ziemlich abgedroschen
und manchmal dennoch treffend zu sagen pflegt. Der Erde drohen fahrlässig
herbeigeführte ökologische Katastrophen, wie die Folgen des „Ozonlochs“
(Lula: „Eines Morgens geht die Sonne auf und brennt wie ein Röntgenstrahl
ein Loch in die Erde.“) und die dominierende Spezies auf dem Planeten scheint
inzwischen das Raubtier Auto zu sein: Zweimal sehen wir den Schauplatz schlimmer,
todbringender Verkehrsunfälle, einmal, wie in Godards „Weekend“, die in ihren Autos
gefangenen, festsitzenden Menschen, ein alltägliches Bild, ein Stau. Dass
das Auto auch die Freiheit der Ferne bringen kann, davon träumt nur noch
der Mythos des Roadmovie und mit ihm Sailor und Lula, die sich in einem Fünfziger-Jahre-Cabriolet
auf die Reise ins Glück machen – in der Ära multinationaler Konzerne
ein reichlich blauäugiges Unterfangen, aber blauäugig sind unsere
Helden eben auch.
Die Flucht aus unschönen
Verhältnissen führt im amerikanischen Film nicht selten in das Roadmovie
– auch die „Yellow Brick Road“ im „Zauberer von Oz“ schließlich ist eine
Straße, auf der Dorothy ihr Glück sucht, dem Unglück entflieht.
So ist vielleicht der „Zauberer von Oz“ eines der ersten Roadmovies, und darin
schon genau so ein amerikanischer Lösungs-/Fluchtversuch wie 1970 „Easy
Rider“.
In „Wild At Heart“ gelingt weder die (Ab-)Lösung, noch wirklich die Flucht.
Nicht einmal der Weg ist das Ziel. Denn die (naiven) Idealisten Sailor und Lula
sind inkompatibel mit der (erst in den Neunzigern so richtig anbrechenden -
deshalb ist „Wild At Heart“ auch so visionär) Zeit des Turbokapitalismus,
des Werteverfalls, des Endes der Utopien. Sailor und Lula sind „rasende Leichenbeschauer“,
die Leiche ist ein Amerika der Perversion, der Gewalt und der Lust daran. Und
wohin sie auch reisen, die „böse Hexe des Ostens“ begleitet sie und mit
ihr der Tod und die Gewalt. Ein Märchen von der Hölle. Am Horizont
steht die untergehende Sonne, aber das Auto ist zu langsam. Die Sonne holen
sie nicht mehr ein, und ob ein neuer Tag kommen wird, das ist unwahrscheinlich.
Rot, blutrot, feuerrot wie die Hölle ist der Himmel und so ist die Vergangenheit,
der sie entkommen wollten.
Beiden Film-Träumen
voraus geht die Katastrophe. Im „Zauberer...“ wirbelt ein Sturm Dorothy aus
ihrer gemeinen kleinen Mädchenexistenz in Kansas. Statt der Natur hat dagegen
Menschengewalt dafür gesorgt, dass es in „Wild At Heart“ eigentlich gar
kein Zuhause mehr gibt. Von bösen Menschen gelegtes Feuer hat das Haus
von Lulas Vater - und den Vater mit – verbrannt. Lulas Freund Sailor ist verstrickt
und mitschuldig an der Tat, ihre Mutter dafür verantwortlich. Weil seine
Liebe zu Lula ihn zu einem moralischen Gewissen, zur Reue befähigt und
zu einer Abkehr von seiner kriminellen Vergangenheit motiviert, will ihn Lulas
Mutter umbringen lassen. Wegen seiner brachial-expressiven Notwehr wird er zum
Totschläger – der Versuch der Sünde zu entkommen führt zwangsläufig
wieder zur Sünde. Das Böse in Sailors und Lulas Zuhause ist total,
die einzige Verheißung einer Zukunft ist am Ende einer langen Straße,
jenseits des Regenbogens, im Traum, im Mythos, schließlich in einem Klischee
von „Freiheit und Individualität“. Das ist der einzige Ort, an dem sie
leben können. Nur dort existieren sie, und wenn sie nicht mehr sich selbst
erträumen, sind sie verloren in dieser (Lynchschen) Hölle von einer
realen Welt.
Allein der Geist des in
den fünfziger Jahren geborenen Rock and Roll scheint die Jahre überdauert
zu haben und immer noch passende Antworten für sie bereit zu halten. Gleichberechtigt
neben den für sie bedeutungsaufgeladenen Songs von Elvis („Warum singst
du nicht für mich: Love
me Tender,
Sailor? – „Love
me Tender
werde ich nur für meine Frau singen“) steht die Speed-Metal-Band Powermad,
Lulas und Sailors Lieblingsband. Und wo Elvis das Herz (und den Schmerz) intoniert,
da bietet Powermad den zeitgemäßen Soundtrack zum Ausbruch in die
Wildheit. Aber Elvis/Sailor ist im Gegensatz zum Anarcho-Headbanger, der auf
dem Powermad-Konzert Lula belästigt, noch ein Mann mit Anstand und Prinzipien
(„Entschuldige dich bei der Dame!“) Dass er sich als Gentleman versteht (und
Lula eigentlich Marilyn Monroe ist), verrät Sailor an anderer Stelle, als
er ihr lächelnd sagt: „Gentlemen prefer blondes!“
Der Rock and Roll und
die Wildheit sind es, die Sailor und (Be-Bop-A-)Lula mit dieser brennenden,
apokalyptischen Welt verbindet: Alles steht in Flammen, das Vaterhaus, der Abendhimmel,
aber auch die Marlboros, die Sailor raucht, seit er „vier war. Meine Mutter
war zu diesem Zeitpunkt schon an Lungenkrebs gestorben“. Sailor und Lula zelebrieren
das Rauchen, als wäre der Rauch ihre Hauptnahrung und als wären sie
einem Marlboro-Werbespot entsprungen. Das sich entzündende Streichholz
in der Makroaufnahme ist gleichzeitig Zerstörung, aber auch eine energetische
Explosion, reine Wildheit. Die Szene an der Tankstelle, mit der unablässig
posierenden Lula, gelehnt an den Wagen, wieder ist einer dieser Jeanswerbungen
zum Verwechseln ähnlich. Auch hier funktioniert ihre Verortung in dieser
Welt nur, wenn sie mediale Vorbilder, lässige und glückliche Idealtypen
darstellen, besser: wirklich sind – und natürlich gerade, weil in Werbeflächen
eben nicht viel wahres Sein drinsteckt, wirken sie auch so wie Parodien! Genau
so, wie das Fernsehen eben nicht durch seine Nachrichten sondern nur mittels
seiner Werbeblöcke Glück verheißt, ist Sailors und Lulas Glück
nur in einer Welt der medialen Illusion denkbar.
Je weiter sich die beiden
von ihrem Zuhause entfernen, desto ähnlicher werden sie „normalen“ Menschen,
und desto gefährdeter sind sie konsequenterweise auch. Lula wird schwanger,
außer dem Mythos Maria geschieht so etwas keiner Idealgestalt, und wir
wissen aus Anschauung, dass nicht der Heilige Geist da sein Ding im Spiel hatte.
Beide sind nun ganz von ihren irdischen, materiellen Bedingungen abhängig
und auf andere „normale“ Menschen angewiesen, und die sind entweder „normal“
verrückt oder „normal“ böse, also sehr böse – darin auch verzerrte,
übertriebene aber umso bedrohlichere Klischees dessen, was wir so über
Psychopathen gehört haben. Dass ganz am Ende alles nicht so schlimm endet,
wie es zwangsläufig müsste, dafür ist natürlich wieder ein
Wunder verantwortlich. Das endgültig die beiden ins kleinbürgerliche
Eheglück erlösende Wunder ist die Fee Laura Palmer, bzw. deren Darstellerin
Sheryl Lee, die sozusagen in einem Gastauftritt direkt aus dem Himmel daran
erinnert, dass Lynch kurz zuvor die erste Staffel von „Twin
Peaks“
abgedreht hatte.
An „Twin Peaks“ erinnert
übrigens auch manchmal die Filmmusik von Lynchs Hofkomponist Angelo Badalamenti,
besonders dann, wenn dieser morbide Nightclub-Swing ertönt.
Der Gangster Bobby Peru
(Willem Dafoe), einer dieser allerliebst hochperfiden Lynch-Arschlöcher
und die böse, hochneurotische Mutter-Hexe Mariella, von Diane Ladd (der
echten Mutter von Laura Dern) hinreißend verkörpert, übrigens
sind die beiden zweiten Stars des Films, es muss ihnen einen diabolischen Spaß
gemacht haben, so uferlos psychopathisch und krankhaft agieren zu dürfen
– und zu können!, dass der Zuschauer am Ende nicht mehr weiß, ob
er Angst haben oder sich totlachen soll, denn irgendwie ist alles ja auch so
unwahrscheinlich wahrscheinlich. Eine ganz ähnliche Verwirrung der Gefühle
machte übrigens später auch „Pulp
Fiction“
zu einem Hit.
Diese Grenze zwischen
dem Entsetzen (Gleich die erste Szene, in der Sailor zum Inbegriff eines Totschlägers
wird, hat 1990 etliche Besucher der Erstaufführung in Cannes zum Verlassen
des Saales veranlasst. Trotzdem erhielt der Film die ‚Goldene Palme’) und absurder,
surrealer Komik, nie ist sie in „Wild At Heart“ wirklich aufzufinden, weil beides
immer gleichzeitig auf uns lauert. Das war allerdings schon bei Lynchs erstem
Film „Eraserhead“ nicht anders. Zugegeben:
Der Schluss von „Wild At Heart“ tendiert schon ein wenig ins Lächerliche,
aber der wahrhaft große Schritt, den Lynch mit seinem Film geschafft hat,
ist der, dass er sich in ihm erstmals völlig von „authentischen“, das heißt
hier, noch irgendwie vorstellbaren Figuren befreien und dennoch, auf einer Metaebene,
eine faszinierende Geschichte erzählen konnte. Nicht mehr eine Geschichte
über Menschen mit Macken und Problemen sondern eine Geschichte über
Gesellschaft, über Kultur und Unkultur, über den Rock and Roll, über
die fünfziger Jahre und was von ihnen blieb, über Amerika und über
seinen Traum und seine Träume, über das Fernsehen und das Kino, und
über das Ende der achtziger Jahre, das Ende des Träumens. Dass er
dabei zufällig den „postmodernen Film“ schlechthin gedreht hat - ich glaube,
David Lynch war und ist viel zu sehr mit seiner Arbeit, d.h. mit seinen Visionen
und seinen Inventionen beschäftigt, als dass ihn das besonders irritieren
würde.
„Wild At Heart“ ist wie
Elvis Presley und Marilyn Monroe, die durch ein Zeitloch von den Fünfzigern
in die Achtziger lugen und sagen: „Wow! The
whole world has been getting wild at heart and weird on top!” Hatte
dieser Film noch parodistische Einschläge, produzierte der nächste
Kinofilm von Lynch „Twin
Peaks – Fire Walk With Me“
(1992) das endgültige Erschlaffen der Lachmuskulatur. In „Fire Walk With
Me“ gibt es kein Aufbäumen der letzten teenage
rebels
mehr. Die Welt von „Fire Walk With Me“ hat weder eine Vergangenheit, deren Verlust
noch zu beklagen oder überhaupt zu bemerken wäre, noch eine Zukunft,
die einen Ausweg versprechen könnte. Sie ist nur noch eine reine kalte
Gegenwart der Verlorenen.
Diese
Kritik ist erschienen bei www.ciao.de
und in der www.filmzentrale.com
Wild
at Heart - Die Geschichte von Sailor und Lula
WILD
AT HEART
USA
- 1990 - 124 min. - Scope
FSK:
ab 16; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders wertvoll
Erstaufführung:
20.9.1990/20.2.1991
Video/4.5.1992 premiere
Produktion:
Monty
Montgomery
Steve
Golin
Joni
Sighvatsson
Regie:
David Lynch
Buch:
David Lynch
Vorlage:
nach
einem Roman von Barry Gifford
Kamera:
Frederick Elmes
Musik:
Angelo Badalamenti, The Gypsi Band, Pee Wee Taylor
Schnitt:
Duwayne Dunham
Darsteller:
Nicolas
Cage (Sailor Ripley)
Laura
Dern (Lula Pace Fortune)
Diane
Ladd (Marietta Pace)
Willem
Dafoe (Bobby Peru)
Isabella
Rossellini (Perdita Durango)
Harry
Dean Stanton (Johnnie Farragut)
Crispin
Glover (Dell)
Grace
Zabriskie (Juana)
J.E.
Freeman (Marcello Santos)
Morgan
Sheppard (Mr. Reindeer)
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