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Das
Wort
Inhalt:
Eine
dänische Farm im Jahre 1925: Das Leben der Familie Borgen ist zerrüttet.
Einer der Söhne der Familie hält sich nach seinem Studium der Theologie
seit Jahren für den Messias, ein weiterer möchte ein Mädchen
aus dem Dorf heiraten, dessen Vater aber ihn ablehnt, weil er nur einen Schwiegersohn
vom eigenen Glauben akzeptieren kann, während daheim auf der Farm der alte
Patriarch Morten Borgen am Zustand seiner Familie fast zerbricht, und an seiner
eigenen religiösen Auffassung und an Gott zu zweifeln beginnt.
Kritik:
Johannes
Borgen: "Ich bin ein Maurer. Ich baue Häuser, aber niemand wird sie
bewohnen. Denn lieber bauen sie ihre Häuser selbst. Sie bauen sie selbst,
obwohl sie nicht wissen, wie. Deshalb leben einige von ihnen in halbfertigen
Hütten, andere in Ruinen und die meisten unter ihnen streifen heimatlos
umher. Bist du einer von diesen, die ein Haus brauchen?"
Der
Priester: "Ich bin der neue Pfarrer. Mein Name ist..."
Johannes
Borgen: "Mein Name ist Jesus von Nazareth." [...] "Hier stehe
ich und nochmals verstoßt ihr mich. Aber großes Leid möge unter
euch kommen, solltet ihr mich wieder ans Kreuz schlagen!"
Wenn
man sich einmal in die Filmkunst verliebt hat, vielleicht sogar selber Filme
macht, oder einmal machen möchte, so kommt man in seinem Leben immer wieder
an einigen Filmen vorbei, die man sich immer wieder anschaut. Man sieht ihnen
und ihren Schöpfern gebannt zu, nur um einen kleinen Eindruck vom Perfekten
zu erlangen, und in der absurden Hoffnung, vielleicht irgendwann und irgendwie
einmal das Geheimnis ihrer Größe entschlüsseln zu können.
Nicht selten gerät dies zu einer deprimierenden und degradierenden Erfahrung
im Angesicht der schieren Genialität. Das Gefühl, welches diese Kunstwerke
jedoch freisetzen können, nämlich Unsterbliches und gänzlich
"Vollbrachtes" erlebt zu haben, kann die Frustration der Erniedrigung
zumeist mühelos übertönen. In Sprachlosigkeit geworfen bleibt
man zurück, voller Bewunderung und Staunen über so viel Fantastisches,
allein geboren aus dem Zusammenspiel von Licht und Schatten.
Ordet
ist ein schlichter Film. Fehlerlos in seiner filmischen Beschaffenheit erscheint
er, jedoch auch rein naturalistischer Anlage und in seiner Darstellung von großer,
nüchterner Sachlichkeit. Dass sich gerade auf dem Boden dieses völligen
Naturalismus das Transzendente entwickeln, und mit seiner Wirkung über
alle rationalen Wahrnehmungsgrenzen hinweggehen kann, war schon seit jeher das
Wunder in vielen Meisterwerken der drei großen Filmemacher des "transzendenten
Stils", wie sie in Paul Schraders hoch einflussreichem Buch "Transcendental
Style In Film: Ozu, Bresson, Dreyer" definiert werden. Schrader geht hierbei
davon aus, dass es zwischen diesen drei Filmemachern - alle drei stammen aus
völlig verschiedenen kulturellen wie religiösen Verhältnissen
- eine gemeinsame Filmsprache zum Ausdruck des Transzendenten, des Jenseitigen,
ja sogar und vor allem des "Heiligen" gibt. Gerade auch in Ordet,
den Schrader als den am weitesten transzendenten Dreyer-Film im Sinne seiner
Theorie sieht, findet das "Heilige" Ausdruck, jedoch auf deutlichere
und klarere Weise, als etwa in Robert Bressons anthropomorphem und in seiner
Symbolbezogenheit schwer erfassbaren Drama Au
Hasard Balthazar
(Zum
Beispiel Balthasar,
1966), in dem einem Esel die Figur des leidenden Christus zugeordnet wird. Carl
Theodor Dreyer arbeitete in Ordet
quasi an keiner Stelle mit einem derart großen Symbolismus, sondern ist
viel geradliniger und anschaulicher (man ist versucht, "einfacher"
zu sagen, was aber wohl fehlleiten würde), wenngleich natürlich auch
alles andere als Ikonoklast, in der Art, wie etwa Sam Peckinpah einer war. In
seinen Händen wird trotz aller Freiheit von augenscheinlichen Kunstgriffen
das Transzendente geboren aus der "Symbiose des Metaphysischen mit dem
Materiellen" (Acquarello in "Senses Of Cinema"). Immer wieder
gelang es Dreyer hierüber, das auf der unantastbaren Ebene des Transzendenten
stattfindende Martyrium seiner Figuren in "irdischen" Ausdrucksformen
zu paraphrasieren. In seinen Filmen bekommt der Zuschauer ein Gefühl davon,
mit einer höheren Daseinsebene in Kommunikation zu treten, und bleibt in
der Form dennoch beinahe gänzlich in den Zyklen des säkularen Erdenlebens
haften. Dreyers Filme werden hierdurch, anders als eben Bressons Werke, irgendwo
verständlich und nachvollziehbar und ermöglichen auch ein auf einem
rein filmischen Level ablaufendes Erkennen.
Im
1955 nach einem Schauspiel von Kaj Munk (ein Pastor, der von den Nazis während
deren Besetzung Dänemarks ermordet wurde) entstandenen Ordet
wird diese Paraphrasierung "höherer Vorgänge" vielleicht
am deutlichsten vollzogen: Ordet
ist ein vollständig "irdischer" Film, angesiedelt in einer absolut
"irdischen" Welt mit gänzlich "irdischen" Problemen.
Im Gegensatz etwa zu Dreyers La
Passion De Jeanne D'Arc
(Die
Passion der Jungfrau von Orléans,
1928) sind in Ordet
selbst die Charaktere von reiner Weltlichkeit, haben wenig zu tun mit der unabstreitbaren
Heiligkeit der Jeanne D'Arc und die Liste der auftretenden Personen wird aufgebaut
aus typischen Alltagsmenschen des Jahres 1925: Eine Farmerfamilie (bestehend
aus dem Oberhaupt, dem alten Witwer Morten Borgen, seinen drei Söhnen,
Mikkel, Anders und Johannes, seiner Schwiegertochter Inger (Mikkels Frau) und
seinen zwei Enkeltöchtern), ein Arzt, ein Pastor und die Familie des Schneiders
Peter, in dessen Tochter Anders Borgen verliebt ist, bilden den Kreis der am
meisten relevanten Charaktere (die wenigen weiteren Rollen sind praktisch nur
die von Komparsen). Zwei entscheidende Konflikte prägen Ordet
und seine Wirkung: Zum einen ein solcher, in den der Zuschauer schon unmittelbar
zu Beginn des Filmes, praktisch schon mit den ersten Einstellungen, eingeführt
wird: Nicht zum ersten Mal steht Johannes im Morgengrauen auf einer Düne
vor dem Haus, hat die Hände ausgebreitet und ruft mit zitternder, dennoch
deutlicher Stimme: "Das Leid komme unter euch, ihr Heuchler; unter euch
und euch und euch. Leid unter euch für euren mangelnden Glauben. Leid unter
euch, die ihr nicht glaubt an mich, den erstandenen Christus, der zu euch geschickt
wurde, von dem, der die Himmel und die Erde schuf." Fassungslos und dennoch
wie gewohnt stehen seine Brüder und sein Vater in seiner Nähe und
holen ihn schließlich ins Haus zurück. Das Dilemma, mit dem die Familie
zu ringen hat, scheint uns nun auf seltsame Weise sofort klar zu sein: Johannes
ist geisteskrank - hart ausgedrückt ein Schwachsinniger, der sich tatsächlich
für den Auferstandenen, den Erlöser der Welt hält. Die Familie
sorgt sich zwar rührend um ihn, ist aber dennoch nicht im Stande, zu rekapitulieren,
was seine Krankheit ausgelöst haben könnte. Von Johannes' Theologiestudium
ist da die Rede, von der intensiven Beschäftigung mit dem dänischen
Philosophen Sören Kierkegaard, von Zweifeln und Unsicherheiten im Glauben.
Letztlich aber weiß niemand genau, was geschehen ist; welches präzise
Ereignis Johannes dazu führte, sich für den Messias zu halten. Vielmehr
treibt Johannes gerade seinen Vater, der sich beschuldigt, nicht ernsthaft und
ehrlich genug für seinen Sohn gebetet zu haben, in tiefe Verzweiflung und
in einen großen Konflikt mit den eigenen Glaubensauffassungen.
Der
zweite wichtige Konflikt verstärkt dieses Ringen mit der Aufrichtigkeit
seiner Beziehung zu Gott noch dazu, als sich Mortens Sohn, Anders, ausgerechnet
in die Tochter des Dorfschneiders Peter verliebt: Ein christlicher Fundamentalist,
der eine Religion des Leidens und der Entbehrungen predigt, und keinesfalls
bereit ist, Anders als seinen Schwiegersohn anzuerkennen, meint er doch, dass
nur jemand "vom eigenen Glauben" für seine Tochter Anne (die
ebenfalls in Anders verliebt ist) geeignet sei. Für Morten Borgen ist dies
eine unerträgliche Provokation, verachtet er doch seit Jahrzehnten die
Auffassungen des Schneiders hinsichtlich eines Christentums des Leidens. Für
den Alten, den auch der Agnostizismus seines Sohnes Mikkel längst nicht
mehr unberührt lässt, projizieren sich beide Situationen auf ihn selbst,
und beide lassen ihn scheinbar von Gott "wegtreiben": Zum einen muss
er sich angesichts der Geisteskrankheit von Johannes immer wieder fragen, ob
sein Flehen vor Gott durch Ehrlichkeit im Bitten berechtigt und angemessen war,
zum anderen macht ihm der Schneider bei einem Treffen unmissverständlich
deutlich, dass er ihn für "verloren" hält, ja, er stellt
ihm, dem von Zweifeln zerfressenen Morten Borgen, sogar die Frage, wie "zufrieden"
er überhaupt noch mit "seinem" Gott ist.
Das
Portrait des Christentums, das Ordet
zeichnet, ist das von Zweiflern, Agnostikern und Atheisten. "Ungläubigen
Gläubigen" quasi, die zwar allesamt in der protestantischen Katechese
groß geworden und verwurzelt sind, wie es in einem skandinavischen Land
in den 20er-Jahren selbstverständlich war, für die der Glaube aber
entweder zum "lauwarmen" Alltag geronnen, oder durch die für
einen Gläubigen immer qualvollen Fragen und Erkenntnisse aus Philosophie
und Naturwissenschaften ins schmerzhafte Halbdunkel des Strebens nach neuem
Halt gestoßen worden ist. Diese Konflikte im Glauben artikulieren sich
bei fast allen Charakteren insofern, als dass diese gerade in Extremsituationen
entweder ihre Zweifel bestätigt vorfinden, oder aber auf heuchlerische
Weise an Gottes Macht appellieren, wie etwa der neue, namentlich nicht vorgestellte
Pfarrer, der zwar scheinbar tiefchristlich motivierte und überzeugte Grabreden
herunterleiern kann, gleichzeitig aber ohne Scheu ausspricht, dass "heute
keine Wunder mehr passieren". Nur wenige Figuren des Films entgehen dem
Zweifeln, sind in ihrem natürlichen Glauben stark und bedingungslos, gleichzeitig
aber auch schlicht und kindlich genug. Eine dieser Figuren ist Mikkels Frau,
die hochschwangere Inger. Sie ist eine typische Ideal-Frauengestalt, wie sie
in Carl Theodor Dreyers Filmen nach diesem Muster öfter erscheint: Pragmatisch
und eigentlich überaus "weltlich", jedoch versehen mit einem
ganz ureigenen, festen und höchst simplen Glauben an Gott. Sie ist eine
Figur, die ihren Glauben nicht hinterfragt, sondern ihn als etwas einfach Anwesendes,
unumstößlich Vorhandenes annimmt und ab und zu sogar versucht ist,
ihrem agnostischen Mann Mikkel diese endlose Freude des Glaubens, "das
innere Glühen", wie sie es nennt, doch irgendwie näher zu bringen.
Für Dreyer, Adoptivsohn einer streng lutherischen Familie, der sich selber
sogar als "nicht absonderlich religiös" bezeichnete, ist sie
die Identifikationsfigur in Ordet.
Diejenige, die Dreyers eigenen, einfachen religiösen Bezug am ehesten verkörpert;
anders also als zum Beispiel beim thematisch oftmals verwandten Agnostiker Ingmar
Bergman, für den immer diejenigen die Bezugscharaktere in seinen Filmen
waren, die mit ihrem Glauben im Argen lagen, die glauben wollten, es aber nicht
konnten. In Bergmans Viskningar
Och Rop
(Schreie
und Flüstern,
1972) etwa hat sich Bergman in religiöser Hinsicht sicherlich näher
bei den praktisch glaubenslosen Schwestern Karin und Maria gewähnt, während
die einfache und geistig eher schlichte, jedoch offenkundig fast schon naiv
gläubige Dienerin Anna sicher für Dreyer ein Identifikationscharakter
gewesen wäre. Bei Bergman wurde sie zwar quasi in den Stand einer Heiligen
erhoben (typisch für die Glaubenssehnsucht und den Glaubensneid des Filmemachers),
bleibt aber ein Nebencharakter, während der Fokus auf den verachtenswerten
und gleichzeitig bemitleidenswerten Schwestern lag.
Mitten
hinein in die vom echten Gottesbezug entfremdete Welt von Ordet
bricht nun mit Johannes die Figur, bei der scheinbar alle Entwicklungen der
meisten übrigen Charaktere völlig diametral verlaufen sein müssen:
Johannes ist ein "heiliger Thor" (Paul Schrader), einer, bei dem sich
die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Glauben ins gegenteilige Extrem
gewendet hat, wie es sie bei den anderen, nun zweifelnden und unsicheren Charakteren
mit einem vorgeblich "komplexeren" Glauben als Ingers, tat. Die Auftritte
des "Verrückten" sind von gespenstischer Natur. Er tritt wie
tatsächlich vom Himmel gefallen plötzlich ins Bild, hat ein ausdrucksloses,
leichenblasses Gesicht, sieht seltsame Dinge in den kleinen Räumen der
Farm und wettert gegen die, die nur an seine "Wunder von vor 2000 Jahren
glauben". Preben Lerdorff Rye verleiht seiner Figur (deren ungewöhnlich
langsame, überbetonte Sprechweise Dreyer, laut einiger Interviews mit seinen
Mitarbeitern, angeblich nach dem Besuch einer psychiatrischen Anstalt kreierte)
eine überragende mythische Tiefe und Qualität. Seine Bewegungen und
Gesten sind so ausdrücklich, überdacht und scheinbar in jeder Sekunde
so "wichtig", dass dem Zuschauer der Atem stocken will, sobald Johannes
wieder zu einem seiner langen Semimonologe ansetzt. Gleichzeitig werden Johannes'
Prophezeiungen immer finsterer und unheilvollerer Natur: Von einem Leichnam
in der Farm beginnt er wie aus dem Nichts zu sprechen, den Tod scheint er zu
sehen, wie er mit Sense und Sanduhr unter die Familie Borgen kommt. Es dauert
nicht lange, bis dem Zuschauer klar wird, dass Johannes Visionen nicht zwangsläufig
die eines Wahnsinnigen sind. Komplikationen bei der Geburt ihres Kindes lassen
Inger versterben, nachdem sie zu Beginn noch wie vorausahnend und in ihrer großen
Naivität im Glauben bemerkte, dass Johannes wohl näher bei Gott sei,
"als alle anderen". Ingers Sterben, das Dreyer in eine endlos qualvolle
Sequenz einbettet, stürzt die Familie in Depressionen - allein beim alten
Morten scheint aus der tiefsten Verzweiflung so etwas wie ein neuer, ernster
Glaube geboren worden zu sein. "Der Herr gab und der Herr hat genommen",
murmelt er immer wieder voller Schmerz vor sich hin. Lediglich für Johannes
gibt es scheinbar keine Trauer, kein Gefühl des Verlusts. "Sie ist
nicht tot, sie schläft", sagt er wie in Trance unmittelbar nach Ingers
Dahinscheiden und geht sogar soweit, anzukündigen, sie von den Toten zurückzuholen,
sie auferstehen zu lassen. Als gerade diese erneute Prophezeiung von allen,
außer der kleinen Tochter Ingers ("Nur Kinder und Narren sprechen
die Wahrheit.") als wahnsinniges, blasphemisches Gerede abgetan wird, klagt
Johannes voller Kummer und Enttäuschen darüber, wie groß die
Not noch werden müsse, bis die Menschen endlich sein Wort hören.
Ab
diesem Zeitpunkt wird dem Zuschauer endgültig gegenwärtig, dass Johannes
aus Ordet
wohl die deutlichste Christusfigur der Filmgeschichte ist. Mehr noch, bei Johannes
verschwimmen die Grenzen zwischen dem von Gott berufenen Propheten und dem tatsächlich
wiedergekehrten Christus. Die Ankündigung der "Lazarus-Sequenz",
wie ich die berühmte Endszene titulieren möchte, können wir aber
nur als tatsächlich eintretend antizipieren, weil wir das Wunder der Prophezeiung
von Ingers Tod erlebt haben. Auf unangenehme Weise muss der Zuschauer daher
feststellen, dass er selbst die Rolle des biblischen Thomas eingenommen hat,
der erst glauben konnte, als er seine Hand in die Wunden des Auferstandenen
legte.
Unmittelbar
nach seiner Ankündigung von der Zurückbringung Ingers verlässt
Johannes die Familie, bleibt unauffindbar. Er hinterlässt lediglich ein
Zitat aus dem Johannes-Evangelium: "Meine Kinder, ich bin nur noch kurze
Zeit bei euch. Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen."
Die Zeit von Johannes' Verschollenheit wird zu einer Phase seltsamer Läuterung
der Charaktere: Es kommt gar zur Versöhnung zwischen den Erzfeinden Peter,
dem Schneider, und Morten Borgen. Als Johannes zurückkehrt, und am Sarg
Ingers das größte Wunder vollbringt, scheint er wieder bei Sinnen
zu sein, scheint geheilt von dem irrsinnigen Funkeln, das vorher in seinen Augen
lag und nennt Morten wieder "Vater". Zu erklären ist dies (die
"Heilung" und die Versöhnung zwischen Morten und Peter) auf zweierlei
Wegen: Johannes "Genesung" kann nur dadurch erfolgt sein, dass während
seiner Abwesenheit ähnliches mit ihm geschehen sein muss, wie in jenem
Abschnitt seines Lebens, als er begann, sich für den Messias zu halten,
und - ganz getreu der Lehren Kierkegaards - alles "Irdische" von sich
wies. Was das gewesen sein könnte, das kann wohl nur in der Befragung eines
jeden Einzelnen durch sich selbst erklärt werden. Das "Wunder"
von der Versöhnung zwischen Morten und Peter finden wir hingegen vielleicht
schon einfach darin begründet, wenn wir das Johannes-Evangelium, Kapitel
13 (Vers 33 war die Passage, die Johannes beim Verlassen zurückließ)
ein kleines Stückchen weiter lesen, und einmal Vers 34 zur Kenntnis nehmen.
Da heißt es: "Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie
ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben." Das letzte Gebot
des Herrn ist vielleicht die Quintessenz von Ordet.
Das Ideal, das immer wieder an einigen Stellen hervordringt, und nicht zuletzt
von Inger natürlich ganz am Anfang des Films aufgegriffen wird, als sie
ihrem Mann erklärt, dass es eben nicht nur reiche, einen starken Glauben
zu haben, sondern, dass auch und gerade Wärme und Liebe Wege zu Gott seien.
In
der letzten Sequenz, in der der zurückgekehrte Johannes, Inger allein mit
einigen wenigen Worten und ohne jede theatralische Geste wieder ins Leben holt,
und der am Tode seiner Frau verzweifelnde Mikkel, der eindeutigste "ungläubige
Thomas" des Films, seinen Glauben findet, offeriert sich uns endlich Dreyers
"transzendenter Stil" in seiner ganzen Urgewalt, seiner Kraft und
Schönheit. Es ist die unvergleichliche Kunst, eine Szene in die Unendlichkeit
zu versetzen, das Kino sich in diesem einen Moment selbst überwinden zu
lassen und Unsterblichkeit auf 24 Bildern pro Sekunde zu schaffen. In das Natürlichste
dringt das am wenigsten Rationale und am meisten Transzendente ein, ein Bruchteil
seines Antlitzes wird auch für unsere profane Existenz auf einmal erkennbar,
sodass wir das Gefühl erhalten, für wenige Augenblicke in Kommunikation
mit der höchsten Ebene getreten zu sein; dem endlosen Etwas, das sich in
unserer Welt vielleicht nur und allein noch in der Kunst so erfahrbar offenbaren
kann. Manche Menschen spüren hierin nichts Geringeres als die Nähe
Gottes.
Janis
El-Bira
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Das
Wort
(Ordet,
1955)
Regie:
Carl Theodor Dreyer
Premiere:
10. Januar 1955 (Dänemark)
Drehbuch:
Kaj Munk & Carl Theodor Dreyer
Land:
Dänemark
Länge:
126 min
Darsteller:
Henrik
Malberg (Morten Borgen), Preben Lerdorff Rye (Johannes Borgen), Brigitte Federspiel
(Inger, Mikkels Frau), Cay Kristiansen (Anders Borgen), Emil Hass Christensen
(Mikkel Borgen), Ann Elisabth Rud (Maren Borgen), Ejner Federspiel (Peter Skraedder),
Gerda Nielsen (Anne Skraedder), Ove Rud (der Pastor), Henry Skjaer (der Doktor)
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