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Zabriskie
Point
Die
Filmfarben sind leicht verblichen, so dass der für altes Filmmaterial so
typische Rotstich den Bildern eine Aura melancholischer Nostalgie verleiht.
Wer heute das Glück hat, im Kino eine Kopie von Michelangelo Antonionis
Zabriskie
Point
zu sehen, der wird kaum umhin kommen, zu den Bildern zunächst eine gewisse
Distanz zu wahren, allein auf Grund ihres längst begonnenen und deutlich
sichtbaren Verfallsprozesses. Auch die Geschichte, die Antonioni hier erzählt,
scheint gealtert. Die Revolution der späten 60er Jahre wirkt wie eine andere
Epoche. Marx ist längst aus den Köpfen gewichen, so dass es uns ergehen
könnte wie dem Polizisten in Zabriskie
Point,
der den soeben verhafteten Studenten nach seinem Namen fragt und dessen Antwort
für bare Münze nimmt und in seinem Protokoll unwissend mit "Marx,
Carl" vermerkt.
Zabriskie
Point ist
ein Film über das Weglaufen, über eine Auszeit aus der Gesellschaft.
Die Flucht in die Wüste: Daria (Daria Halprin)Tochter eines Industriellen,
den Weg verloren auf der Suche nach dem von ihrem Vater erbauten Ferienparadies
mitten im Sand und Mark (Mark Frechette), eben noch Student, nach einigen Schüssen
nun auf der Flucht vor dem verständnislosen Gesetz. Unvermeidlich ihr Zusammentreffen,
wie Magnete ziehen sie sich an in der endlosen Leere der Dünenlandschaft.
Die
Erzählstruktur von Zabriskie
Point
ist enorm gedehnt: in ausführlichster Weise wird erzählt, die einzelnen
Szenen werden endlos lange vorgeführt. In ihrem Rückgriff auf Klischees
ist die Erzählung des Filmes eine Art filmische Version der Arte Povera,
das Klischee als einfachstes Mittel des Hollywoodkinos wird benutzt, um einen
kunstvollen Film zu erstellen, der zwar somit aus zahllosen Klischees besteht,
aber dennoch einen Mehrwert erzeugt, der dem Zuschauer nahegebracht wird. Dieser
Mehrwert entsteht in den Bildern, den Bildern, die Antonioni zu hypnotischer
Dichte montiert. Wurde in seinen frühen Filmen scheinbar unendlich lang
geredet, so wird hier unendlich viel gezeigt. Die Bedeutungsschaffung verschiebt
sich ins Visuelle. Während in Antonionis Die
Nacht/La Notte
noch über die Dialoge ein ausführlicher Diskurs geführt wird
über den Künstler im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Selbstverwirklichung,
so vermittelt sich dem Kinogänger die Bedeutung von Zabriskie
Point
über das Sehen seiner stilisierten Bilder.
Über
das Sehen, wie in der Szene in der Mitte des Filmes, die beiden Liebenden beim
Sex in den Dünen. Die Kraft der Situation entsteht nicht aus dem Wort,
sondern über die Bilder des Regisseurs, der das Paar vervielfacht und die
ganze Wüste, endlose Dünen, mit Liebespaaren füllt, eine Orgie
mitten im Death Valley. Über das Sehen, wie in der Szene, in der Daria
nach dem Weg fragt in einer Bar mitten im Leeren, an einem Ort, an dem einer
Bar als Treffpunkt jeglicher Sinn abhanden kommt und all diese Leere, die Sinnlosigkeit
des Ortes sich manifestiert in Bildern von solcher Kraft, dass auch der Rotstich
des Materials es schließlich nicht mehr vermag, die Distanz zum Gesehen
so groß werden zu lassen, dass es nicht mehr wirken könnte.
Antonionis
Bilder wirken, auch heute noch. Auch in Rot. Und vielleicht ist der rote Schleier,
der sich über die Einzelbilder legt auch nichts weiter als eine Vorahnung
der grandiosen letzten Szene, die den Film in die Annalen der Filmgeschichte
eingehen ließ: Eine Explosion von solch ästhetischer Wucht, wie sie
keine Explosion in all den explosionsgeladenen Actionfilme der letzten Jahrzehnte
wiederholen konnte. Ein Feuerball, der seine Wucht aus dem Paradox nimmt - erneut
ein visueller Kunstgriff! - das am denkbar schnellsten ablaufende Ereignis in
der denkbar langsamsten Fassung zu zeigen, einer unfassbar langsamen, stilisierenden
Zeitlupe.
Und
wenn einem dann im Kinosaal von der Leinwand all die Konsumgüter entgegentanzen
in ihrem Ballet der Zerstörung, die Kühlschränke und tiefgekühlten
Hähnchen, die Kleider und Schuhe und Schränke, wenn das Ferienparadies
in der Wüste zum wiederholten Mal vor unseren Augen in die Luft gesprengt
wird, dann ist auch Karl Marx uns wieder ein bisschen näher gekommen, vermittelt
durch die zeitlose Ästhetik des Michelangelo Antonioni.
Benjamin
Happel
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken und diesen Antonioni-Nachruf von D. Diederichsen
Zabriskie
Point
ZABRISKIE POINT
USA 1969/70.
Regie: Michelangelo
Antonioni – Sujet, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Fred Gardner, Sam Shepard,
Tonino Guerra, Clare Peploe. - Kamera: Alfio Contini. - Schnitt: Michelangelo
Antonioni, - Schnitt-Mitarbeit: Franco Arcalli. - Ton: Franklin Milton. - Musik:
The Pink Floyd, Kaleidoscope, Jerry Garcia: Elektronische Musik: Musica Elettronica
Viva; Songs, Interpreten: Dance of Death« (John Fahey), »Dark Star«
(The Grateful Dead). –You Got the Silver« (The Rolling Stones), »Sugar
Babe« (The Youngbloods), »Tennessee Waltz« (Patti Page), »I
Wish I Were a Single Girl Again« (Roscoe Holcomb); Musikalische Beratung:
Don Hall. - Bauten: Dean Tavoularis. - Ausstattung: George Nelson. - Kostüme:
Ray Summers. – Special Effects: Earl McCoy. - Regie-Assistenz: Robert Rubin,
Rina Macrelli.
Darsteller:
Mark Frechette (Mark), Daria Halprin (Daria), Paul Fix (Cafe-Besitzer), G. D.
Spradlin (Lee Allens Partner), Bill Garaway (Morty), Kathleen Cleaver (Kathleen),
Rod Taylor (Lee Allen), The Open Theatre of Joe Chaikin. - Produktion: MGM.
- Produzent: Carlo Ponti. - Produktionsüberwachung: Harrison Starr. – Produktionsleitung:
Don Guest. - Gedreht vom 9. September
bis Dezember 1969 in Los Angeles, Kalifornien (Death Valley, Mojave Desert)
und Arizona. -Format: 35 mm (Panavision), Farbe (Metrocolor). – Original-Länge:
111 min. – Deutsche Länge: 105 min. - Uraufführung: 9.2. 1970,
New York. – Deutsche Länge: 3.9. 1970. - Verleih: Filmverleih Die Lupe
(35 mm).
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