Zugvögel - Einmal nach Inari
ANDERLAND
Der Film zur Fußmassage
Dem Zugunglück vom 5.Juni zum Trotz preist der Mann
die Vorzüge des ICE. Sobald er von der Eisenbahn
spricht, blüht Hannes richtig auf, und wenn er nicht
schon Bierfahrer wäre, könnte er sich sehr gut ein
Leben als Bahnexperte vorstellen. Fahrplanberatung
und Rosenzucht, so sähe sein Paradies aus. Den Anfang
nimmt „Zugvögel“ in der Prolo-Idylle Dortmund, wo
Verkäuferinnen auf Bierfahrer stehen, und die Männer
am Samstag „auf Borussia“ gehen. Dort läßt der
Regiedebütant Peter Lichtefeld sein Fernweh-Märchen
beginnen, nicht weil Dortmund so schrecklich wäre,
aber woanders ist es eben auch schön.
Um sein Spezialwissen einmal gewinnbringend
verwenden zu können, reist Hannes nach Inari in
Finnland, um dort an einem internationalen
Fahrplanwettbewerb teilnehmen zu können. Zuhause hält
man ihn fälschlicherweise für einen Mörder, und so
wird er Zug um Zug von einem Kommissar verfolgt, der
für seine Jagd die besten Reiseverbindungen aufspüren
und damit selbst zum Bahnexperten werden muß. Weil
sich Hannes aber auf seiner Fahrt in die finnische
Rosenzüchterin Sirpa verliebt und deshalb
ausnahmsweise Umwege in Kauf nimmt, ist der Polizist
vor ihm am Zielort, was einem großen Triumph
polizeilicher Ermittlungsarbeit gleichkommt.
In den Siebzigern gab’s mal eine Kinderserie, in
der alle lieb, zärtlich und nachdenklich waren,
selbst der Straßenkehrer der Wohnsilo-Siedlung war
eine Märchenfigur. Wie in „Anderland“, einer
typischen Sozpäd-Serie, sehen sich die Menschen in
„Zugvögel“ freundlich und offen in die Augen und fragen sich „Wovon
träumst du?“. In langen, langen Einstellungen sitzen
sie da und schweigen sich größtenteils an. Tiefpunkte
haben sie nur, wenn sie z.B. nach Hause kommen und
der Freund hat vergessen die Blumen zu gießen.
Lichtefeld streckt sein sympathisches, aber auch ein
bißchen apathisches Road-Movie mit Kaurismäki- und
Westernzitaten und labt sich an seiner eigenen
Ziellosigkeit, was durchaus dem Inhalt seines Filmes
entspricht. Peter Lohmeyer ist ein versonnener
Sheriff, der seinen Privatehrgeiz, einen Bahnexperten
zur Strecke zu bringen, beharrlich weiterverfolgt,
obwohl der Verdächtige längst als unschuldig gemeldet
ist, während Joachim Krol, als Hannes den
Cartoon-Figuren Loriots ähnlicher als je zuvor, erst
von seiner Reisebekanntschaft Sirpa
(Kaurismäki-Schauspielerin Outi Mäenpää lernt, daß
die schnellste Verbindung nicht unbedingt die
schönste ist.
In der skandinavischen Nacht taucht zwischendurch
ein saufendes Finnenpärchen auf und behauptet „It’s
the same bullshit all over.“ Das stimmt aber
überhaupt nicht, denn in Wahrheit sind wir, die Zugreisenden dieser Welt, alle
gute Freunde, die Polizei will nur ein bißchen mit
uns spielen, und nach dem Kino lesen wir alle den
„kleinen Prinz“ und massieren uns gegenseitig die Füße.
Richard Oehmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zugvögel - Einmal nach Inari
D 1998 - 87 Minuten -
Regie: Peter Lichtefeld
Kamera:
Drehbuch: Peter Lichtefeld
Besetzung: Joachim Król, Peter Lohmeyer, Outi Mäenpää, Oliver
Marlo u.a.