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The Green Wave
Einladung zur Empörung
Der Festivalfilm über die Stimmung in Teheran vor
und nach den Präsidentschaftswahlen 2009. Massen auf den Plätzen,
grün dominiert, Hoffnung auf die Wende, auf Reformen. Euphorie! Dann der
Abfall. Depression, Frust, Terror. Ahmadineschad wird zum Sieger erklärt,
69 Prozent, angeblich. Es ist schlimmer als zuvor. Der Film fügt den bekannten
News nichts Neues hinzu. Er hat einen anderen Fokus. Im Blick sind die Betroffenen
mit ihren Handys. Iran, blogger nation. So gibt es Hunderttausende von Zeitzeugen, die die
große Euphorie und dann die große Frustration dokumentiert haben.
„The Green Wave" ist ein Film der Emotionalisierung, des jähen Stimmungsumschwungs,
des verhängnisvollen Rückschlags.
Regisseur Ali Samadi Ahadi, eigentlich ein Meister der Stimmungsmache, tschuldigung,
die Stimmung im Lande zu spüren, zu gestalten und filmische Formen dafür
zu finden („Salami
Aleikum“ = Bollywood im VEB Textile Freuden,
Niederoberwalde), hat in „The Green Wave“ des Guten zu viel getan. Von 1.500
Seiten blogs habe er 15 ausgewählt, sagt er, und die zu sehen, weckt Beteiligung
und Gefühl genug. So weit sind wir in einem Dokumentarfilm. Ahadi wollte
jedoch einen Spielfilm machen, und das ist ihm ja auch gelungen. Aber, so ist
meine Meinung, auf Kosten des authentischen Materials. Denn versetzt sind die
originalen, eher unscharfen Handyaufnahmen mit reenactments: mit Szenen, vorzüglich fotografiert, die von Schauspielern
nachgestellt sind. Und das ist nicht alles. Um die Spielfilmdramaturgie zu wahren,
werden die reenactments und die originalen Zeugnisse auf zwei Personen projiziert,
fiktive Studenten, die den Film hindurch die Hauptdarsteller abgeben. Dieses
Studipaar sagt zwar sehr wahre Worte, die aber als Worthülsen funktionieren
wie Sprechblasen im Comic. Die Studenten sind Animationen. Den Film hindurch
werden sie zu einer Zeichen-Struktur, übrigens einer sehr guten im Stil
von „Waltz
with Bashir“. Kommen wir ihnen näher?
Eher nicht. Dass man sich nicht recht auf sie einlassen kann, mag auch daran
liegen, dass die verschiedenen Strukturen des Films hippelig und überschnell
geschnitten sind. Man könnte sagen, das schafft Distanz und schont die
Wahrnehmung, womit allerdings das Doku-Entertainment umschrieben ist.
Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Es bleibt der Sache nach genug, sich über
die Repression in Teheran zu empören, über Gewalt, Folter und Mord
im Namen der Religion. Einige eingestreute Professorenstatements weisen die
Richtung. Das ist eine Empörung, die uns angeht, den Westen, der die aufbegehrenden
Massen, die Studenten und Hauptstadtbewohner, 2009 allein gelassen hat, im Blick
nur die Ölversorgung, nicht aber die Menschenrechte im Iran. Korrekt. Aber.
Wird die Botschaft nicht durch die Häppchenkollage entschärft? Ich
konnte sie nicht mehr hören, die Begleitmusik, Geige und Klavier, die die
großen Gefühle des Films verniedlicht. Die Musik verantwortet Ali
N. Askin. In „Salami Aleikum“ hatte ich seine Musik geliebt... – Genug
genörgelt. „The Green Wave“ wird schließlich im Gewand, das er hat,
als Festivalfilm wahrgenommen (Hamburg, Sundance, Amsterdam). Ich wünsche
ihm auf Leinwand und Monitor alles Gute.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
The
Green Wave
OT: The Green Wave
Deutschland 2010 - 80 min.
Regie: Ali Samadi Ahadi - Drehbuch: Ali Samadi Ahadi - Produktion: Barbara Toennieshen, Andreas Menn - Kamera:
Ali Samadi Ahadi, Peter Jeschke - Schnitt: Jan Krüger, Oliver Stoltz - Musik:
Ali N. Askin - Verleih: Neue Visionen - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: (Mitwirkende) Pegah Ferydoni, Navid Akhavan, Dr. Shirin
Ebadi, Prof. Dr. Payam Akhavan, Dr. Mohsen Kadivar, Mehdi Mohseni, Mitra Khalatbari
Kinostart (D): 24.02.2011
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