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Happy-Go-Lucky
Schnattern und Kichern
Poppy ist lustig. Poppy ist fröhlich. Poppy ist die Heldin des
neuen Films von Mike Leigh. Es gibt Leute, die behaupten, an Poppy würden
sich die Geister scheiden, und zwar die von Männern und Frauen, weil Frauen
sie nämlich lieben und Männer sie hassen würden. So eine Einteilung
nach Geschlechterschubladen ist allerdings nicht nur für Filme, sondern
auch für Menschen irgendwie entwürdigend, also werfen wir erstmal
einen Blick ins Presseheft, da müsste ja stehen, wie der Film überhaupt
gedacht ist. Da steht zum Beispiel:
»Das Gespräch der beiden Grundschullehrerinnen schwenkt auf didaktisches
Fachgebiet über. Es geht um Tiere mit Migrationshintergrund, einfacher
gesagt, um das Leben der Zugvögel, das nächste Woche der zwergenhaften
Klientel näher zu bringen ist. Und übrigens wird Poppy, wie sie nun
im Tonfall eines Fanfarenchores ankündigt, ihren entwendeten Drahtesel
nicht etwa durch einen neuen ersetzen, sondern statt dessen Fahrstunden nehmen!«
Das ist zwar betulicher Blödsinn – aber eins muss man ihm zugutehalten:
Der Tonfall des Textes trifft die Stimmung des Films recht genau. Man geht nicht
in einen Club, sondern, in einen »sündigen Vergnügungstempel«,
am nächsten Morgen steht man »von den Toten auf« oder bleibt
als »ungeduschter Matratzenbelag« liegen. Wie neckisch! Das hätte
einige meiner Großtanten sehr erfreut, und die hätten vielleicht
auch Spaß mit Poppy, deren fortwährendes Kichern und Quietschen auf
mich ungefähr so herzerfrischend wirkte wie drei schreiende Babys. Manchmal
kann man über nervtötende Hauptfiguren hinwegsehen, wenn der Film
wenigstens eine funktionierende Handlung zu bieten hat, aber da ist leider wenig
zu holen. Poppy schnattert und kichert und lernt Autofahren, was vor lauter
Schnattern und Kichern nicht so recht funktioniert, dann lernt sie einen Typen
kennen und schläft mit ihm. Viel mehr passiert nicht. Mike Leigh, den großen
Realisten, erkennt man nur in ein paar Szenen mit einem grummeligen Fahrlehrer,
der eigentlich nur seinen Job machen will, bevor Leigh ihn zur Witzfigur degradiert.
All das ist schlimm, aber nicht so schlimm. Richtig schlimm wird es erst am
Ende, da wird es altherrenhaft, denn das erste Mal, dass die ach so quirlige
Poppy innehält und Ruhe gibt und wie ein halbwegs normaler Mensch rüberkommt,
ist nach dem Sex. Willkommen im 19. Jahrhundert, meine Herren, wir erinnern
uns: Das hysterische Weib muss nur mal anständig rangenommen werden. Diese
Haltung sollte man Mike Leigh nicht direkt unterstellen, aber dass die Interpretation
sich aufdrängt, ist allein schon ganz schön doof. Da spielt es auch
keine große Rolle mehr, ob der Zuschauer männlich oder weiblich ist.
Dietrich Brüggemann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt
Happy-Go-Lucky
Großbritannien 2008 - Regie: Mike Leigh - Darsteller: Sally Hawkins, Alexis
Zegerman, Eddie Marsan, Samuel Roukin, Kate O'Flynn, Sylvestra Le Touzel, Karina
Fernandez, Andrea Riseborough, Sinéad Matthews - FSK: ab 6 - Länge:
118 min. - Start: 3.7.2008
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