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Les
Misérables
Der Aufrührer Victor Hugo hatte Les
Misérables in der Verbannung verfaßt, 1862 auf der Kanalinsel Guernsey.
Er warf in seinem Roman dem herrschenden politischen System vor, die Verelendung
des Proletariats durch Klassenjustiz zu befördern. Zur Schadensbegrenzung
schlug er vor, den Kriminalisierten zumindest die Chance der Resozialisierung
zu eröffnen. – Das war damals Tabubruch, Revolution und Demagogie, denn
Hugo hatte seine Elenden im Roman Fleisch und Blut werden lassen. Die Charaktere
lebten sich in einem Kriminalroman aus. Sie erreichten mitsamt den transportierten
Thesen ein enormes Publikum. Sie wollten gefallen. Auch das.
125 Jahre später wären sie sicherlich
mit Billigung des Autors in einem Musical aufgetreten. Musik von Schönberg.
Vorname: Claude-Michel (»Miss Saigon«). Das Musical »Les Misérables«
hat das Thema zur publikumswirksamen Liebesgeschichte umgemodelt. Die Produktion
von Lloyd Webber (»Cats«, »Das Phantom der Oper«) ist
ein globaler Erfolg. Da Hugos Anliegen immer noch nicht erledigt ist, ist es
ein »Revolutionsepos«, an dem sich bereits 40 Millionen Menschen
erbauten. Vor genau drei Jahren errichtete Duisburg gar ein eigenes Theater
für »Les Misérables«: für das prächtige Bühnenbild,
fünfundvierzig aus Echthaar geknüpfte Perücken, die fesselnde
Geschichte und wunderschöne Melodien.
Auch der Film will nun gefallen. Und mehr:
Wie wäre es, seine Vorführung mit dem Publikum von »Schindlers
Liste«, »Shine«,
»Pulp
Fiction« und »Romeo
und Julia« zu bereichern?
Dann kann die Presse schreiben: »Oscar-Regisseur Bille August erzählt
Victor Hugos Meisterwerk der Weltliteratur als ergreifendes Liebesdrama mit
Starbesetzung: Liam Neeson (›Schindlers Liste‹), Geoffrey Rush (›Shine‹), Uma
Thurman (›Pulp Fiction‹) und Claire Danes (›Romeo und Julia‹) erwecken ›Die
Elenden‹ zum Leben voller Liebe und Haß, Glück und Schmerz – und
grenzenloser Leidenschaft«. Perfekt. Jedes weitere Wort wäre zuviel.
Aber weil sich bei jeder guten Story der
Kreis schließen muß, müssen wir nun zur Literatur zurück
und den Rezeptionshorizont abermals bereichern – mit Bret Easton Ellis: American
Psycho. Dann wissen wir, warum die Klasse-Yuppies der Endachtziger, die sich
das Musical »Les Misérables« antun, zu unresozialisierbaren
Kriminellen werden.
Gibt’s das Buch noch immer nur unterm
Ladentisch? Greifen wir also doch lieber zum nagelneuen Fischer Taschenbuch.
Es ist das Buch zum Film »Les Misérables« nach Victor Hugo.
Zu lesen zum Original Soundtrack von Hollywood Records.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 01/1999
Les
Misérables (1998)
LES
MISÉRABLES
USA
- 1998 - 133 min. - Verleih: Constantin, Constantin (VCL) (Video) - Erstaufführung:
24.12.1998/22.6.1999 Video - Produktionsfirma: Mandalay Entertainment/TriStar
- Produktion: Sarah Radclyffe, James Gorman
Regie:
Bille August
Buch:
Rafael Yglesias
Vorlage:
nach dem Roman "Les Misérables" von Victor Hugo
Kamera:
Jörgen Persson
Musik:
Basil Poledouris
Schnitt:
Janus Billeskov Jansen
Darsteller:
Liam
Neeson (Jean Valjean)
Geoffrey
Rush (Javert)
Uma
Thurman (Fantine)
Claire
Danes (Cosette)
Hans
Matheson (Marius)
Peter
Vaughan (Bischof)
Jon
Kenny (Thénardier)
Shane
Hervey (Gavroche)
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